Samstag, 27. April 2024

Kommentar zur Niger-Krise
Ein Arrangement mit den Putschisten ist wahrscheinlich

Die Drohungen der ECOWAS gegen die Putschisten im Niger sind verpufft. Statt eines Militäreinsatzes sieht es nach einem Arrangement mit den neuen Machthabern aus, meint Jens Borchers.

Von Jens Borchers | 11.08.2023
General Abdourahmane Tchiani umringt von Gefolgsleuten in Nigers Hauptstadt Niamey.
General Abdourahmane Tchiani hat sich zum Machthaber in Niger geputscht. (picture alliance / AA / Balima Boureima)
Zwei Wochen nach dem Militärputsch lässt sich nur wenig Gesichertes sagen. Vielleicht so viel:
Erstens, die Putschisten haben die erste Druckwelle der Reaktionen aus der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten, der ECOWAS, und aus dem Westen über sich hinwegrauschen lassen. Kein Anzeichen, dass die Generäle einknicken.
Zweitens, die Drohung der ECOWAS, unterstützt unter anderem von Frankreich, militärisch einzugreifen – diese Drohung ist verpufft.
Drittens: Ernüchterung regiert. Die ECOWAS scheint verstanden zu haben, dass eine Militärintervention hochriskant wäre. Sie kündigt jetzt zwar an, eine Eingreiftruppe aufzustellen zu wollen, aber bis wann und mit welchen Truppen – unklar. Stattdessen wurde als erste Priorität gestern beim Sondergipfel in Nigerias Hauptstadt Abuja der diplomatische Weg herausgestellt.

Ein Militäreinsatz wäre zu riskant

Gut so. Das Risiko, durch einen Militäreinsatz in Niger dort einen Bürgerkrieg auszulösen, ist viel zu groß. Militärische Kräfte aus den ECOWAS-Staaten nach Niger zu schicken würde auch bedeuten, die ohnehin schwachen Kapazitäten für den Kampf gegen die Bedrohung durch Dschihadisten weiter zu reduzieren.
Vielleicht ist allen Beteiligten dann doch klar geworden: Ein Erfolg wäre mit Gewalt keineswegs garantiert. Und weder Frankreich, noch Deutschland, noch die Europäische Union stehen wirklich und ernsthaft hinter dem Gedanken eines Militärschlages gegen die Militärjunta in Niger.
Alle starren auf ihre Interessen in Niger. Nur ein paar Beispiele:
Frankreich hat etwa 1.500 Soldaten dort. Sein Stützpunkt in Niger ist seit den Militärcoups in Burkina Faso und Mali der wichtigste, um in der Region noch militärisch präsent sein zu können. Hinzu kommt: Bis zu 15 Prozent des Urans, das Frankreich für den Betrieb seiner Kernkraftwerke importiert, kommt aus Niger.

Eine Migrationsroute als Druckmittel

Deutschland und andere EU-Staaten fürchten, dass die Migrationsroute durch Niger von den neuen Machthabern dort als Druckmittel genutzt werden könnte. Nach dem Motto: Ihr kooperiert nicht mit uns, dann lassen wir die Migranten Richtung Mittelmeer wieder durch.
Und dann sind da noch die USA. Sie haben eine Drohnen-Basis in Agadez im Niger. Eine strategisch enorm wichtige Station für Anti-Terror-Operationen in der Region. Das wollen die US-Amerikaner nicht aufs Spiel setzen.
All das, das enorme Risiko einer ECOWAS-Militäroperation samt den strategischen Interessen westlicher Staaten führt sehr wahrscheinlich zu diesem Punkt: einem Arrangement mit den Generälen, also den neuen Machthabern in Niger.