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Nikola Roßbach
"Achtung Zensur!"

Viele haben heute das Gefühl, ihre Meinung nicht mehr offen sagen zu können – und so ist das Wort Zensur zum Kampfbegriff der Stunde geworden. Woher das kommt und was dran ist, das beleuchtet die Literaturwissenschaftlerin Nikola Roßbach in ihrem Buch.

Von Angela Gutzeit | 21.01.2019
    Der Mund einer Frau ist mit zwei Heftplastern zugeklebt.
    Viele haben heute das Gefühl, ihre Meinung nicht mehr offen sagen zu können. (picture alliance / imageBROKER)
    "Das Thema Zensur ist brandaktuell, vielleicht sogar aktueller denn je. Weiterhin werden auf der ganzen Welt Menschen aufgrund ihrer Meinungen und Einstellungen verfolgt, Presse- und Medienfreiheit eingeschränkt, Wissenszugänge blockiert, sogar Bücher werden weiterhin verbrannt. Von einem allgemeinen Scheitern der Zensur kann keine Rede sein."
    Diese Feststellung in Nikola Roßbachs jüngster Publikation "Achtung Zensur! Über Meinungsfreiheit und ihre Grenzen" entspricht leider den Tatsachen. Türkei, China, Russland, Ägypten, Iran, Saudi-Arabien – die Schwarze Liste der Staaten, die die freie Meinungsäußerung mit Füßen treten, Kunst und Literatur zensieren, Menschen wegen ihres geschriebenen oder gesprochenen Wortes verhaften oder sogar ermorden - siehe der Fall Kashoggi - ließe sich formatfüllend verlängern.
    Allerdings geht es Roßbach in ihrem Buch nicht vorrangig um die Thematisierung besonders autoritärer Staaten und ihrer Unterdrückungsmethoden. Sie werden nur am Rande erwähnt. Im Mittelpunkt stehen unsere freiheitlich-westliche Kultur und damit unser Verhältnis zur Meinungsfreiheit.
    "In der Tat ist das Thema auch in offenen, demokratischen Gesellschaften nicht erledigt. Die Zensur hat heute andere Gesichter, die schwerer zu erkennen sind. Ihre Player sind andere geworden, ihre Methoden subtiler, versteckter. Damit stellen sich auch andere Fragen zu freier Rede und Zensur. [...] Gewöhnen wir uns an eine neue Unfreiheit?"
    Der Zensor in uns selbst
    Auch wird die Geschichte der Zensur nur insoweit rekapituliert, wie es zur Verdeutlichung eines Wandels notwendig ist. Nicht mehr der Staat und seine Organe sind klassischerweise die zensurausübende Instanz. Die Gefahr geht heute überwiegend von globalen Playern und Wirtschaftsmächten aus wie aber auch, und das wird von Roßbach zunächst ausführlich thematisiert, von uns selbst und einem bedenklich überhitzten gesellschaftlichen Diskurs.
    "Doch es gibt auch den umgekehrten Fall, dass Zensur zwar nicht in Sicht, aber in aller Munde ist. Sie wird zum inflationär verwendeten polemischen Kampfbegriff, in der Politik ebenso wie in der Kunst und Kultur. Doch was passiert, wenn der Zensurbegriff überstrapaziert wird, wenn er sich abnutzt? Wenn wir überall Zensur wittern, wo eigentlich nur Kritik geübt wird?"
    Die Skandalisierungslust der Rechten
    Wir leben in einer nervösen, hypersensibilisierten Zeit. Ein Hashtag jagt den nächsten. Hassreden im Internet verbreiten sich in Windeseile. Empörungswellen, wo man hinschaut - über die Präsenz rechter Verlage auf einer Buchmesse, über die Entfernung eines angeblich sexistischen Gedichtes an der Fassade einer Berliner Hochschule, über politisch inkorrekte Kunst in Museen. Eine der Ursachen für die aufgeheizte und überspannte Stimmung in unserem Land sieht die Autorin zu Recht in der Skandalisierungslust der Rechtspopulisten:
    "Rechtspopulistinnen und –populisten haben eindeutig eine Schwäche für den Kampfbegriff 'Zensur', sie lieben ihn heiß und innig. Er ist in den letzten Jahren ihr Schutzschild geworden, ihr Versteck. Sie haben ihn regelrecht gekapert. Gefühlt jedes dritte Wort, das sie aussprechen ist 'Zensur'. Im Umkehrschluss nennen sie alles, was sie selbst äußern, 'unzensiert' und 'frei'. Man wird ja wohl noch sagen dürfen! Zum Beispiel, dass man auf unregistrierte Flüchtlinge schießen dürfen soll."
    "Sollte man da nicht die Lautsprecherkabel kappen?" fragte kürzlich der Schriftsteller Gert Heidenreich in der Süddeutschen Zeitung - um sich im gleichen Atemzug vehement für die Meinungsfreiheit einzusetzen, so lange Äußerungen keine Gesetze verletzen. Auch dann, wenn es manchmal hart an die Schmerzgrenze geht.
    Safe Spaces in den USA
    Ganz in diesem Sinne diskutiert Nikola Roßbach in ihrem Buch konkrete Fälle, die einer gesellschaftlichen Überempfindlichkeit geschuldet sind und geradezu eine Zensursehnsucht ausgelöst haben. Zu nennen sind da die sogenannten safe spaces an etlichen US-Hochschulen, die Studierenden ursprünglich Schutz bieten sollten gegen Diskriminierung und Belästigung, in denen aber mittlerweile von ihnen selbst Sprachregelungen eingeführt wurden, um angeblich verletzende Worte und Formulierungen einfach zu verbieten. Was emanzipatorisch gedacht war, kann bedenkliche Formen annehmen, die nach Ausschluss und Unterbindung rufen. Alle Fälle, die Roßbach anführt, debattiert sie gewissermaßen kontrovers mit sich selbst, um die Grenzen des Sagbaren und Zumutbaren auszuloten. Wie ist es zu bewerten, wenn eine schwarze Künstlerin, wie in den USA geschehen, einer weißen Künstlerin das Recht abspricht, schwarzes Leid in ihrem Bild zu thematisieren? Freiheit findet dort ihre Grenzen, wo sie die Rechte und die Würde anderer Menschen einschränkt. Dies immer wieder auszuhandeln, so das Credo der Autorin, ist überlebensnotwendig für die Demokratie.
    Manipulation im Netz
    Was aber, wenn die Bedrohung der Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit von Schaltstellen ausgeht, die keiner Regulierung mehr unterliegen und deren Manipulation von uns nicht mehr bewusst wahrgenommen wird?
    "In der Tat schaffen die großen Internetplayer globale Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten in bislang nicht gekanntem Ausmaß und steuern diese zugleich. Ihre Richtlinien kommen Gesetzbüchern gleich, die nicht in einem demokratischen Prozess entwickelt wurden - und dennoch zum Maßstab für Milliarden Menschen erhoben werden. Ihre Urteile werden nicht öffentlich gefällt, sie basieren auf einer Art Privatrecht, etabliert inmitten freiheitlich-demokratischer Gesellschaften."
    Oder wie die Autorin den Journalisten und Publizisten Rüdiger Wischenbart zitiert: "Aus dieser Macht erwächst eine Macht zur Zensur." Die bereits entwickelte "Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union", so Nikola Roßbach, dürfe aus diesem Grund keine Utopie bleiben. Der verfassungsrechtliche Zensurbegriff müsse unbedingt neu gefasst, Kontrollmechanismen dem digitalen Zeitalter angepasst werden. Das seit Oktober 2017 gültige deutsche "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" lasse da zu viele Lücken. Es sei letztlich nichts anderes als ein Freibrief für die Provider für noch mehr Netzkontrolle und Meinungsmacht.
    Der Kampf um die Meinungsfreiheit, so sagt uns dieses lesenswerte Buch, bewegt sich heute entlang unterschiedlicher Konfliktlinien, die sich immer wieder aufs Neue verschieben. Zu gewinnen sei dieser Kampf nur mit Klarheit, Klugheit und Kompromissen.
    Nikola Roßbach: "Achtung Zensur! Über Meinungsfreiheit und ihre Grenzen",
    Ullstein Verlag, 267 Seiten, 20,00 Euro.