Dienstag, 23. April 2024

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Norbert Walter-Borjans (SPD)
"Reiche sollen mehr einspringen als die Kleinen"

Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans hat eine stärkere Belastung hoher Einkommen zur Finanzierung der Kosten durch die Coronakrise gefordert. Kleinere und mittlere Einkommen bräuchten eine höhere Entlastung, um überhaupt über die Runden zu kommen, sagte Walter-Borjans im Dlf.

Norbert Walter-Borjans im Gespräch mit Jasper Barenberg | 20.04.2020
24.01.2020, Thüringen, Erfurt: Norbert Walter-Borjans, einer der beiden Bundesvorsitzenden der SPD, spricht beim außerordentlichen SPD-Landesparteitag Thüringen. Im Mittelpunkt steht die Beteiligung der Sozialdemokraten an einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung in Thüringen. Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Norbert Walter-Borjans fordert eine stärkere Mitbeiligung reicher Leute zur Finanzierung der Lasten in der Corona-Krise (ZB)
156 Milliarden Schulden sind in Deutschland von Staatsseite für Unterstützungsleistungen bereits beschlossen. Die Frage sei, wie dieser Schuldenberg wieder abgetragen werden könne, sagte Walter-Borjans. "Der Staat gibt mehr, als er je gegeben hat. Ich finde es nicht unanständig zu sagen, dass starke Schultern bei diesem Abtragen einen größeren Beitrag leisten müssen", sagte der Bundesvorsitzender der SPD.
Die Alternative zu einer höheren Belastung der Reichen wäre noch mehr Schulden aufzunehmen oder den Sozialstaat abzubauen und auf wichtige Investitionen etwa für Kitas, Schulen oder Straßenbau zu verzichten. Zudem argumentiert Walter-Borjans, dass das Geld der kleineren und mittleren Einkommen direkt wieder ausgegeben und damit die Wirtschaft angekurbelt werde, während das Geld der Reichen nicht in den Konsumkreislauf gelange.
"Wenn wir das Prinzip befolgen wollen, dass starke Schultern mehr tragen als schwache, dann ist es angezeigt, dass der obere Bereich mehr zu dem Gemeinwesen beizutragen hat als der untere", sagte der SPD-Politiker.
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Das Interview mit Norbert Walter-Borjans in voller Länge.
Jasper Barenberg: In der Corona-Krise war die lange verteidigte schwarze Null im Haushalt des Staates schnell Geschichte: 156 Milliarden Euro neuer Schulden hat der Bundestag schon beschlossen, und viele rechnen damit, dass weitere Schuldenmilliarden dazukommen werden – je nachdem, wie lange das Wirtschaftsleben in der Krise noch lahmt. Dafür zahlt der Staat auf der anderen Seite Kurzarbeitergeld, unterstützt Betriebe, er übernimmt Sozialversicherungsbeiträge. Wer Schulden macht, muss allerdings auch klären, wer die Schulden später zurückzahlen soll, das ist eine politische Frage. Schon vor Wochen hat SPD-Chefin Saskia Esken eine einmalige Vermögensabgabe ins Spiel gebracht, jetzt hat auch Co-Chef Norbert Walter-Borjans eine stärkere Belastung hoher Einkommen zur Finanzierung der Lasten in der Corona-Krise gefordert. Jetzt ist er am Telefon, einen schönen guten Morgen, Herr Walter-Borjans!
Norbert Walter-Borjans: Guten Morgen, Herr Barenberg!
Wie wird der Schuldenberg wieder abgetragen?
Barenberg: Wenn der Staat dringend Geld braucht, dann sollen die Reichen einspringen. Ist das der Grundgedanke der Sozialdemokraten?
Walter-Borjans: Sie haben als Erstes mal was ganz Wichtiges gesagt, was im Moment in der Debatte untergeht, nämlich, dass der Staat erst mal im Augenblick mehr gibt, als er je gegeben hat, nämlich für kleine und mittlere Unternehmen, für Kurzarbeiter, für Menschen, die jetzt wirklich an den Rand ihrer Existenz kommen. Das ist ja der Grund, warum er zunächst mal das Geld beschaffen musste auf dem schnellstmöglichen Weg, der auch erlaubt ist in einer solchen Situation, nämlich Kredite aufzunehmen. Und dann kommt man auf den Punkt, dass man sagen muss, der Staat, wer ist das, der kann kein Geld drucken, sondern das sind wir alle gemeinsam. Die Frage ist also, wie wird es denn anschließend wieder abgetragen. Und ich muss sagen, ich finde es dann nicht unanständig zu sagen, dass starke Schultern bei diesem Abtragen einen größeren Beitrag leisten müssen als die Kleinen, weil die Alternative, die wäre dann nämlich, dass man entweder noch mal neue Schulden machen muss, um die bisherigen abzutragen, oder dass man den Sozialstaat abbaut oder dass man wichtige Investitionen in Kindergärten, in Schulen, in Straßen verzichtet. Wir können sozusagen Adam Riese nicht einfach wegschicken und sagen, das interessiert uns nicht, sondern die Frage ist, wer kommt am Ende dafür auf. Da geht es nicht darum, dass nur Menschen mit hohem Einkommen bezahlen sollen, aber dass sie natürlich ein Stück mehr tragen als die kleinen und mittleren Einkommen, die jetzt gerade ohne Puffer gucken müssen, dass sie über die Runden kommen, ist eigentlich eine sehr naheliegende Überlegung.
Barenberg: Gut, dann präzisiere ich meine Frage noch mal, oder meine These war es ja eher: Wenn der Staat dringend Geld braucht, sollen also vor allem die Reichen einspringen.
Walter-Borjans: Ja, sie sollen mehr einspringen als die Kleinen, weil alles andere ist, glaube ich, niemandem zu vermitteln, und zwar nicht nur, weil es unfair wäre, Menschen, die gerade mit ihrem Geld auskommen, noch einmal zur Kasse zu bitten, sondern auch deshalb, weil genau der Kreis der Normalverdiener und der Kleinverdiener derjenige ist, der eher Entlastung braucht – erst mal um über die Runden zu kommen, aber weil das auch die Wirtschaft ankurbelt. Kleine und mittlere Einkommen, die geben ihr Geld, die müssen ihr Geld im Prinzip ausgeben, während in sehr hohen Einkommensbereichen das etwas ist, was nicht in den Konsumkreislauf läuft.
Im mittleren Bereich der Einkommen eine höhere Belastung
Barenberg: Nun ist es ja bei den Steuern – und Sie reden, denke ich, von Steuern – ja immer so, dass nach Leistungsfähigkeit ohnehin die Bürgerinnen und Bürger herangezogen werden. Diese Balance würden sie ja dann verlassen, weil es eben ein besonderer Beitrag ist. Es würde also nicht die Regel gelten, wer wenig leisten kann, trägt wenig bei, und wer viel leisten kann, trägt viel bei – das ist ja schon bisher der Fall –, sondern da kommt noch was obendrauf.
Walter-Borjans: Das ist leider im Moment nicht der Fall. Wenn Sie sich einmal angucken, wer welche Steuerlast trägt, dann ist erkennbar, dass es im mittleren Bereich der Einkommen eher eine höhere Belastung gibt und dass die in den ganz hohen Einkommensregionen aus den unterschiedlichen Gründen runtergeht. Ich erinnere nur daran, dass da viele Einkommen aus Kapital erzielt wird und die Kapitalertragssteuer viel geringer ist als die Einkommenssteuer. Es gibt viel mehr Möglichkeiten, seine Steuern so zu gestalten, dass am Ende der Steuerbetrag oder der Steueranteil geringer ausfällt. Wenn wir das Prinzip "starke Schultern tragen mehr als schwache" wieder zur Geltung bringen wollen, dann ist es sogar angezeigt, dass im oberen Bereich auch ein Stück mehr zu diesem Gemeinwesen beigetragen wird.
Barenberg: Jetzt haben Sie, Herr Walter-Borjans, noch nicht genau gesagt, wie Sie sich das vorstellen, ein Wort haben Sie nicht gebraucht, das Wort Vermögensabgabe – einmalige Vermögensabgabe, das Ihre Co-Vorsitzende Saskia Esken ja ins Spiel gebracht hat. Heißt das, Sie haben eingesehen in der SPD, dass ein Sonderopfer der Wohlhabenden vom Grundgesetz nicht gedeckt wäre?
Walter-Borjans: Nein, das ist nicht so, sondern wir müssen ja nur mal in die Geschichte dieser Bundesrepublik gucken. Die schwersten Krisen, die dieses Land je erlebt hat, waren Kriege, und da gab es eine Menge wiederaufzubauen. Damals war es im Prinzip klar, dass es eine stärkere Progression, also eine stärkere Mitbeteiligung der hohen Einkommen und Vermögen gab. Es gab auch damals Vermögensabgaben, es gab einen Lastenausgleich. Wir haben uns nicht festgelegt darauf, in genau welcher Form das zu erfolgen kann, aber dass man dieses Prinzip in der größten Krise, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg in dieser Bundesrepublik haben, dass man das Prinzip wieder zur Geltung bringen muss, wir müssen jetzt alle zusammenstehen, und dabei müssen die, die es sich am besten leisten können, einen größeren Beitrag bezahlen, ich glaube, an diesem Prinzip hat sich nichts geändert. Die Verfassung, die jetzt gilt, ist die gleiche, die auch in den Jahren 1949 folgende gegolten hat.
Option: Zuschlag zur Einkommenssteuer
Barenberg: Und da hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages ja einige Gutachten erstellt, und da kam, jedenfalls bei meiner Lektüre, unter dem Strich heraus, dass es doch erhebliche Zweifel gibt, ob die Voraussetzungen beispielsweise für eine einmalige Vermögensabgabe erfüllt sind. Da ist ja die Rede davon, dass eine existenzbedrohliche einmalige Notlage des Staates vorliegen muss, und das scheint den Autoren, jedenfalls der wissenschaftlichen Gutachten gar nicht gegeben.
Walter-Borjans: Gut, es gibt unterschiedliche Auffassungen. Wir sind auch untereinander in der Diskussion darüber, in welcher Form das erfolgen kann. Man kann sich ja auch überlegen, an welcher Stelle es dann auch ein Zuschlag zur Einkommenssteuer ist. Ich erinnere mal daran, dass Olaf Scholz gerade daran arbeitet, den Soli für die kleineren Einkommen, das heißt für 90 Prozent der Einkommen abzuschaffen, aber ihn für 10 Prozent zu halten. Wir erleben gerade einen Koalitionspartner, der nicht davon redet, dass die starken Schultern etwas mehr tragen können, sondern er sagt, nein, genau in dem Bereich muss auch noch der Soli abgeschafft werden. Das wären zehn Milliarden pro Jahr, die jetzt dringend gebraucht würden. Es geht als Erstes mal darum, dass man sagen muss, wir brauchen Entlastung im unteren und mittleren Bereich. Wir können keine Entlastung in den hohen Regionen gewähren, weil das dieser Staat gar nicht finanzieren könnte, weil es dann wieder zulasten aller anderen ginge, etwa durch die Investitionsausfälle. Aber es gibt auch eine Menge Ansatzpunkte dafür, dass diejenigen, die vielleicht im Augenblick auch durchaus zusätzliche Einkommen haben durch die Krise. Ich erinnere mal an die großen globalen Internetdienste, es geht also nicht ja nur um Privatpersonen mit hohem Einkommen und Vermögen, sondern es geht auch darum, dass wir uns angucken müssen, wer hat sich eigentlich in den letzten Jahren alles aus dem Staub gemacht, wenn es ums Steuerzahlen ging, in welcher Größenordnung gibt es in Deutschland Geldwäsche. Da gibt es eine Menge Ansatzpunkte, die ich als Allererstes angehen würde, aber es geht auch um die Verteilung auf die Schultern der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.
Barenberg: In der Finanzkrise lag die Schuldenquote ja noch weit über dem, was sich jetzt abzeichnet, und der Staat ist ohne die zusätzliche Belastung von bestimmten Steuerzahlern oder höhere Steuern ausgekommen. Warum wird das jetzt nicht reichen?
Walter-Borjans: Wir reden ja eben über eine Mischung, und zwar wir jedenfalls, die SPD, auch darüber, dass man einen Teil tatsächlich gerechtfertigt auch über Kredite finanziert. Nur das Interessante ist ja, dass genau diejenigen, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, hohe Einkommen und Vermögen zu beteiligen, auch gegen die Finanzierung über Kredite wehren. Und dann muss man natürlich die Frage stellen, ja, bitte schön, woher soll es denn dann kommen. Dann kommen wir an die Frage, dass man dann merkt, es geht darum, dass dann eher die Kleinen nicht entlastet oder sogar zusätzlich belastet werden, und das wäre mit uns nicht zu machen.
Zur Stützung der Wirtschaft - überhaupt keine Frage
Barenberg: Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen für all die, die das sehr kritisch sehen, beispielsweise von der FDP, die ja sagen, das meiste Vermögen steckt in Familienunternehmen, produktives Vermögen steckt in Familienunternehmen, produktives Betriebsvermögen steckt in mittelständischen Betrieben. Die sind ja jetzt gerade besonders belastet, die gehen an ihre Reserven und müssten danach eben gerade entlastet werden und nicht noch zusätzlich bestraft nach der Krise. Sie haben jetzt gesagt, die Kleinen müssten entlastet werden, aber gilt das für Unternehmen und eben dann auch für vermögendere, sagen wir Selbstständige nicht auch gleichermaßen?
Walter-Borjans: Erstens muss ich sagen, das größte Hilfspaket, das je in dieser Bundesrepublik geschnürt wurde, nämlich für die die 156 Milliarden Kredit auch aufgenommen worden sind, dient in einem ganz wesentlichen Ausmaß gerade auch der Stützung der Wirtschaft, die es braucht – das ist überhaupt keine Frage. Es kann anschließend auch nicht darum gehen, auf der Einnahmenseite, um diese Schulden auszugleichen, dann die zu belasten, die man gerade entlastet hat. Das gilt nicht nur für die Klein- und Mittelverdiener, das gilt natürlich auch für eine Reihe von Unternehmen, deswegen darf man sicher nicht alle über einen Kamm scheren. Aber damit gleichzeitig zu sagen, es gibt sozusagen niemanden in dieser Republik, der am Ende mit für das aufkommen könnte, was wir jetzt brauchen, das wäre ein Armutszeugnis für diese Bundesrepublik.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.