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Regionalkonferenz zum SPD-Vorsitz
"Hinter Walter-Borjans und Esken steht Glaubwürdigkeit"

Nach der ersten Regionalkonferenz, auf der sich die potenziellen SPD-Vorsitzenden den Mitgliedern präsentieren, hat der SPD-Politiker Jo Leinen ein Favoriten-Team: den ehemaligen NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Den Auftritt von Olaf Scholz nannte Leinen "verhalten".

Jo Leinen im Gespräch mit Dirk Müller | 05.09.2019
Die Kandidaten für den SPD Vorsitz Norbert Walter-Borjans (l-r), Saskia Esken, Nina Scheer, Karl Lauterbach, Karl-Heinz Brunner, Petra Köpping, Boris Pistorius
Die Kandidaten für den SPD Vorsitz Norbert Walter-Borjans (l-r), Saskia Esken, Nina Scheer, Karl Lauterbach, Karl-Heinz Brunner, Petra Köpping, Boris Pistorius (dpa/Oliver Dietze)
Dirk Müller: Ein Mammutverfahren, ellenlang, höchst kompliziert, Monate dauert das Ganze. Die Kandidatinnen und Kandidaten stellen sich auf 23 Regionalkonferenzen vor. SPD, quer durch die Republik, von Süd nach Nord, von Ost nach West. 17 Politiker sind gestern aufgetreten. Ein Kandidat geht als Solitär ins Rennen. Die SPD ist auf der Suche einer neuen Parteispitze. Zur Wahl stehen zumeist Doppelspitzen, die in vielen Fällen nicht besonders bekannt sind. Die wohl bekanntesten sind Olaf Scholz, Gesine Schwan, Ralf Stegner, Boris Pistorius und Karl Lauterbach. Das ist, zugegeben, eine sehr subjektive Auswahl. Gestern Abend der Auftakt des Vorstellungsreigen in Saarbrücken.
23 Regionalkonferenzen insgesamt, 22 bleiben noch. 17 Kandidaten, Bewerber und Bewerberinnen. Von diesen 17 sind seit gestern Abend noch 15 übrig geblieben, eine riesen Auswahl, die bleibt. Wie schwer ist das bloß für die Wähler, für die SPD-Mitglieder, die es letztendlich entscheiden müssen? – Das alles miterlebt und mitgesehen in Saarbrücken gestern Abend hat auch der Saarländer und langjährige SPD-Europaabgeordnete Jo Leinen. Guten Morgen!
Jo Leinen: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Wer war denn am besten?
Leinen: Das ist die Qual der Wahl, die die Mitglieder haben werden. Es war wirklich ein breites Spektrum an Ideen. Wie in der Anmoderation gesagt, steht ein bisschen Aufbruch versus Bewahrung, und da wird letztendlich dann entschieden, wollen wir raus aus der GroKo, wollen wir in der GroKo bleiben, wollen wir mehr nach links oder wo sind die Zukunftsthemen, die das Profil der SPD ausmachen.
"Die Steuer CDs anzukaufen, war mutig"
Müller: Herr Leinen, ich möchte das jetzt mal so formulieren: Wir kennen uns gut durch die vielen Interviews, die wir geführt haben. Machen Sie sich doch frei, beenden Sie Ihre Qualen und sagen Sie uns, wen Sie wählen.
Leinen: Ich habe in der Tat Favoriten und es ist gar keine Frage, dass Borjans und Esken ein gutes Duo sind. Da steht Glaubwürdigkeit dahinter, da steht auch Aufbruch dahinter. Norbert Walter-Borjans hat bewiesen, dass er für Gerechtigkeit steht. Die Steuer-CDs anzukaufen, das war mutig, das zeigt Profil. Und die Saskia Esken, die hat das Thema Digitalisierung drauf. Das wird den jungen Leuten gut gefallen.
Jo Leinen, SPD
Jo Leinen (dpa/Oliver Dietze)
Müller: Das hat Sie auch gestern überzeugt? Dieses Paar, das waren diejenigen, die bei Ihnen auch am besten angekommen sind?
Leinen: Man hat natürlich andere, die auch sehr frisch daherkommen. Gesine Schwan ist trotz ihrem hohen Alter frisch und ist munter und spricht das Publikum an.
Müller: Sie hat ja auch keine Zeit.
Leinen: Ja, vielleicht ist da auch ein bisschen Professionalität dabei, was auch schaden kann. Aber es gibt ein junges Team wie der Michael Roth und die Frau Kampmann. Die waren sehr frisch. Das ist das jüngste Team. Wir haben einen bunten Mix an Leuten, die sich zutrauen, diese 160-jährige sozialdemokratische Partei führen zu wollen.
"Scholz war etwas verhalten"
Müller: Derjenige, der am bekanntesten ist, Olaf Scholz, was halten Sie von ihm?
Leinen: Das war gestern etwas eine Ernüchterung. Er hatte das Pech, dass sein Duo als letztes dran war, schon viel gesagt wurde, und dann kam Olaf Scholz und Klara Geywitz. Ja, er war etwas verhalten und er muss aus sich rausgehen. Wie die eine Zuhörerin auch gefragt hat, steht er am meisten im Brennpunkt. Dass er ja in der Regierung ist und zur gleichen Zeit den Aufbruch verkörpern soll, das wird eine schwierige Nummer für ihn.
Müller: Ist es denn wichtig oder so wichtig jetzt bei diesen Konferenzen, was man sagt, oder was man ist?
Leinen: Man muss Glaubwürdigkeit zeigen und überzeugen. Das hat man gespürt im Saal. Es sind vor allen Dingen junge Leute da gewesen, das freut einen, und die schauen genau hin. Die sagen, steht die Person für das, was sie sagt. Die SPD leidet ja ein bisschen an Glaubwürdigkeit. Wir machen viel, wir haben auch Erfolge, aber irgendwie wurde das auch immer wieder betont, kommt das nicht rüber. Das muss ja irgendwo dran liegen. Das liegt entweder an den Personen, die das überbringen müssen, und natürlich an der Art und Weise, wie die Partei mit sich selbst umgeht und wie sie selbstbewusst ist und wie sie auch überzeugend wirken kann nach außen.
Leere Stimmzettel-Boxen stehen beim SPD-Landesparteitag vor der Bühne. 
Rennen um den Vorsitz - Die SPD und die Suche nach Kandidaten
Wer soll die SPD führen? Und wer will das überhaupt? Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles hatten SPD-Spitzenpolitiker zunächst reihenweise abgewunken. Doch nun ist es eng geworden: Es gibt acht Duos und einen Einzelbewerber.
Müller: Wenn die Überzeugung so wichtig ist – noch eine andere Frage, Herr Leinen. Wir haben vor gut 20 Jahren auch über die Urwahl damals schon mal gesprochen. Da ist Gerhard Schröder angetreten, Roland Scharping, Heidemarie Wieczorek-Zeul. Da hat auch das SPD-Publikum, die Mitglieder haben dann gesagt, am überzeugendsten ist Scharping, und dann gab es hinterher bei der Bundestagswahl eine krachende Niederlage. Besser angekommen wäre, ein bisschen spekulativ, definitiv Gerhard Schröder. Der hat das nachher auch gezeigt. Inwieweit kommt es darauf an, wer die besten Chancen hat?
Leinen: Das Verfahren vor 20 Jahren kann man mit heute nicht vergleichen. Das war eine Kampagne von Oskar Lafontaine für Rudolf Scharping, um Gerhard Schröder zu verhindern. Ich war ja nahe dabei. Das war ziemlich einseitig und es wurde auch im Wesentlichen nur Kampagne gemacht in NRW, Rheinland-Pfalz und im Saarland. Da hatte Gerhard Schröder keine Chance.
Diesmal geht es quer durch die Republik. Wir haben jetzt 15 Personen noch und das sind Bundesminister, das sind Landesminister, es sind Bundestagsabgeordnete. Das ist nicht die hintere Reihe. Da sind schon sehr qualifizierte Menschen dabei, 23 Veranstaltungen. Da wird viel drüber kommuniziert und geschrieben. Die Mitglieder bekommen schon ein Gefühl dafür, wo die Reise hingeht, und haben ja dann auch – das ist das Schöne – Mitsprache. Dieses Verfahren – ich war auch skeptisch am Anfang, ob wir uns das zumuten sollen, aber davor waren ja diese Hinterzimmer-Deals, wo man aus der Zeitung erfahren hat, wer der nächste Parteivorsitzende oder die Parteivorsitzende wird. Das war unmöglich und konnte so nicht weitergehen. Das hier ist eigentlich das Ergebnis auch von vielen Geschichten, die in den letzten Jahren zuhauf passiert sind.
"Es zeigt auch eine Verlegenheitslösung"
Müller: Wir wissen das nicht genau, aber es kommt vielen ja vor wie das längste Verfahren in der Weltgeschichte vielleicht - wir wollen jetzt ein bisschen übertreiben -, damit die SPD eine neue Spitze bekommt. In Großbritannien hat das drei Wochen gedauert: Neuer Parteichef, neuer Ministerpräsident, acht, neun, zehn, elf Kandidaten, sofort ins Fernsehen, in die Diskussionen rein, pro und contra, und dann wurde dementsprechend abgestimmt. Zeigt das auch dieses zerrissene Bild der SPD, dass jetzt so viele gegeneinander antreten?
Leinen: Das zeigt einmal die Vielfalt, die wir haben, was ganz gut ist. Es zeigt aber auch eine Verlegenheitslösung, dass niemand quasi in der ersten Reihe angetreten ist und dann so ein Verfahren gewählt wurde.
"Parteivorsitzender ist ein Fulltime-Job"
Müller: Wie kommt das denn, Herr Leinen, dass sich niemand traut, Regierungschefinnen, Regierungschefs in den Ländern, egal an wen wir denken, nehmen wir Manuela Schwesig beispielsweise, Ministerpräsidentin zu sein? Das ist doch ein Pfund. Gehören die nicht in die erste Reihe und an die Spitze der Partei?
Leinen: Politik heutzutage ist viel komplizierter und schwieriger. Herr Pistorius hat ja auch gesagt, sollte ich gewählt werden, trete ich in Niedersachsen als Justizminister zurück. Ich glaube, dass ein Amt und das Parteiamt schwer miteinander vereinbar sind, und von daher muss man frei sein und die Ministerpräsidenten sind nicht frei. Die haben ihr Land zu regieren. Ein Bundesminister muss Bundespolitik und vielleicht darüber hinaus noch internationale Politik machen. Ein Parteivorsitzender in der heutigen Zeit ist gefordert. Das ist ein Fulltime-Job. Von daher war da eine Scheu in der ersten Reihe, diese Doppelbelastung dann auf die Schultern zu nehmen.
Müller: Oder dann SPD-Chef, SPD-Chefin, wie auch immer in Tandem zu werden. Kramp-Karrenbauer hat das ja auch gemacht und hat das alte Amt aufgegeben, und es ging dann weiter vorwärts, wie auch immer. Das Ergebnis kennen wir noch nicht. Wer wird das Rennen, losgelöst von Ihrer Wahl, gewinnen?
Leinen: Ich glaube, es sind zwei, drei Favoriten. Olaf Scholz hat natürlich das Gewicht des Vizekanzlers, er ist bekannt. Er ist nach wie vor im Rennen, wenn auch das gestern Abend in Saarbrücken für ihn nicht so gut lief. Ich glaube, dass Borjans-Esken und auch Pistorius-Köpping, dass die wirklich ganz vorne sind. Die anderen werden sich weiter schlagen in den 22 Konferenzen, aber da sehe ich nicht, dass das am Ende ganz oben rauskommt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.