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Nordatlantik als Wetterhellseher

Offenbar hat der Nordatlantik als riesiger thermischer Speicher mehr Einfluss auf das Wetter in Europa als vermutet. Diese Erkenntnis machen sich jetzt Hamburger Meteorologen bei der Entwicklung eines neuen Klimamodells zunutze. Es soll Temperaturprognosen erstellen, die Jahre in die Zukunft reichen.

Von Volker Mrasek | 19.02.2013
    Wie werden die Sommer in Mitteleuropa in den nächsten Jahren? Eher kühler? Oder eher heißer? Für Land-, Wasser- und Energiewirtschaft wären Trendvorhersagen dieser Art sicher nützlich. Und vielleicht sind sie auch schon bald möglich. Ableiten könnte man sie aus längerfristigen Veränderungen der Wärmemenge, die im Nordatlantik gespeichert ist. Davon gehen Forscher vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg aus, nach Simulationen mit ihrem leistungsfähigsten Klimamodell.

    Die Ergebnisse präsentieren sie jetzt in der Fachzeitschrift "Geophysical Research Letters". Wolfgang Müller, Leiter der Forschungsgruppe "Dekadische Vorhersagen" in dem Hamburger Institut:

    "Wir haben Jahreszeiten angeschaut. Und haben festgestellt, dass es doch eine sehr starke Verbindung gibt zwischen dem Nordatlantik und Zentral-Osteuropa im Sommer. Und das ist halt sehr vielversprechend. Dann könnten wir – ich sag' jetzt mal ,könnten' - wir in Zukunft dann Vorhersagen machen für Zentral- oder Osteuropa. Also sprich: Wie wird der Temperaturtrend in den nächsten fünf bis zehn Jahren? Das wäre natürlich schon toll, wenn das geht."

    Das Meer ist ein riesiger thermischer Speicher, der sehr träge reagiert und Temperaturimpulse nur langsam verarbeitet. Das gilt auch für den Nordatlantik. Gerade im Sommer, bei vorherrschenden Westwinden, hat er großen Einfluss auf das Wetter in Europa.
    "Die Vorhersageexperimente, die wir gemacht haben, zeigen, dass wir eine recht hohe Vorhersagegüte im Nordatlantik haben. Tatsächlich kann man sagen: Für die nächsten fünf bis zehn Jahre hat der Nordatlantik den und den Trend beim Wärmeinhalt, respektive Temperatur."

    Das ist schon mal eine ganz gute Ausgangslage. Doch dann wird es auch schon kompliziert. Der Ozean steht im Austausch mit der Atmosphäre, und die ist nicht so leicht kalkulierbar.

    "Die hat einen sehr hohen chaotischen Anteil. Deswegen wird das Vorhersage-Signal verschmiert. Deswegen ist es halt auch relativ schwierig, über Land oder speziell über Europa eine saubere Vorhersage-Güte herauszufinden. Das ist eine der großen Herausforderungen."

    Doch immerhin: Für einen gewissen Zeitraum scheint es zu funktionieren. Auch wenn Wolfgang Müller im Moment noch jede Euphorie dämpft:

    "Also, man sieht tatsächlich ein Vorhersagesignal für die nächsten fünf Jahre, aber man muss noch klar sagen: Dieses Wechselspiel zwischen Nordatlantik und Sommertemperaturen in Zentraleuropa ist noch nicht eindeutig simuliert im Modell. Also, ich würde jetzt auch keine Vorhersage machen wollen, ob sich das jetzt für die nächsten fünf Jahre so oder so entwickelt. Weil ich eben weiß, dass das Modell noch einige Defizite hat."

    Vor allem hapert es immer noch an der räumlichen Auflösung. 200 Mal 200 Kilometer beträgt sie bei dem Erdsystem-Modell, das Müllers Arbeitsgruppe nutzt. Die Maschen des Rechengitters sind also ziemlich weit – zu weit für verlässlichere Jahresvorhersagen der Sommermitteltemperatur in Europa. Jedenfalls im Moment noch.

    Das Problem haben auch andere Forschungsstätten, etwa das Hadley-Zentrum für Klimavorhersage- und forschung im englischen Exeter. Dort versucht sich Doug Smith ebenfalls an längerfristigen Prognosen und wartet noch auf den großen Durchbruch:

    "Es sind die Veränderungen im Ozean, die wir in unseren Versuchen ganz gut vorhersagen können. Wie die Atmosphäre reagiert, wird in heutigen Klimamodellen dagegen nur ungenügend simuliert. Wir hoffen, dass sich das ändert, wenn die Modelle besser werden. Und dass wir dann zum Beispiel auch Veränderungen im Auftreten von Winterstürmen über Europa vorhersagen können."

    Reif für die Praxis seien solche Vorhersagen zwar noch nicht, betont Wolfgang Müller noch einmal. Aber man sei auf einem vielversprechenden Weg:

    "Wir haben zumindest mal zeigen können, dass es einen kausalen Link gibt zwischen dem Nordatlantik und der Temperatur in Zentraleuropa. Die Vorhersagegüte ist noch relativ gering. Aber es geht in die richtige Richtung."