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Nordirak
Mutter Jesidin, Vater IS-Terrorist – was wird aus den Kindern?

Tausende Jesidinnen wurden von IS-Terroristen verschleppt und vergewaltigt. Viele bekamen von den Vergewaltigern Kinder, die nach jesidischem Glauben nicht Teil der Gemeinschaft sind. Eine Rückkehr der Mütter mit ihren Kindern ist eigentlich ausgeschlossen. Doch jetzt gibt es Hoffnung für die Frauen.

Von Uschi Götz | 26.04.2019
Zwei Kuscheltiere hängen am 15.12.2016 an einem Zaun vor einem Massengrab nahe des Sindschar-Gebirges. Sindschar ist einer von mehr als 30 namenlosen Orten im Nordwesten des Iraks, an denen Massengräber gefunden wurden. Hier tötete die Terrormiliz IS massenhaft Jesiden. (zu dpa-KORR.: «Die Massengräber der Terrormiliz IS - Zeugen eines Völkermords» vom 02.01.2017) Foto: Benno Schwinghammer/dpa | Verwendung weltweit
In der nordirakische Region Sindschar liegen Massengräber mit tausenden ermordeten Jesiden. Die jesidischen Frauen wurden oft verschleppt. (dpa / picture alliance / Benno Schwinghammer)
In der nordirakische Region Sindschar legen zurzeit internationale Experten Massengräber frei. Tausende jesidische Männer wurden dort im August 2014 von IS-Terroristen in ihren Dörfern hingerichtet. Über 6.000 Frauen und Kinder verschleppten der IS, die meisten davon ins benachbarte Syrien.
Dort wurden sie von den Islamisten vergewaltigt und gefoltert, zum Teil jahrelang. Einigen Frauen gelang die Flucht, wie etwa Nadia Murad, der aktuellen Friedensnobelpreisträgerin.
Andere Frauen wurden frei gekauft. Zwar gilt der sogenannte Islamische Staat offiziell als besiegt, doch noch gelten über 2. 000 jesidische Frauen als vermisst. Etwa 200 Frauen wurden nun in Syrien entdeckt, doch sie können bislang nicht zurück in den Nordirak. Der Grund: Sie haben von ihren Peinigern Kinder bekommen. Psychologe und Traumaexperte Jan Kizilhan:
"Die Jesiden sind eine alte Religion, die auf ein Kastensystem aufbaut und davon ausgeht, dass man nur durch Geburt Jeside werden kann. Das heißt, die Kinder, die durch die Vergewaltigung entstanden sind, waren per Religion bis heute keine Jesiden und sollten daher nicht aufgenommen werden."
Psycholge Kizilhan lehrt in Deutschland ebenso an der nordirakischen Universität Dohuk. Mit finanzieller Unterstützung der baden-württembergischen Landesregierung wurde in Dohuk ein psychologisches Institut aufgebaut, einheimische Fachkräfte werden hier zu Traumtherapeuten weiter qualifiziert. Aktuell leben rund 300.000 Flüchtlinge nahe Dohuk, die meisten davon sind Jesiden, viele von ihnen sind schwerst traumatisiert.
Ein Signal an die Frauen in Syrie
Gemeinsam mit einer baden-württembergischen Delegation führte Traumaexperte Kizilianh im Nordirak jüngst Gespräche mit dem Hohen Geistlichen Rat der Jesiden. In der Folge entschied sich der Rat zu einer Stellungnahme. Man habe eine religiöse Entscheidung getroffen, heißt es darin, konkret – alle befreiten Personen werden aufgenommen. Das ist als Signal an die Frauen in Syrien zu deuten, auch mit ihren Kindern in den Nordirak zu kommen, so Kizilhan:
"Sie sagen, es ist ein sehr sensibles Thema, aber es geht tatsächlich darum, dass die Frauen und die Kinder willkommen sind, akzeptiert werden sollen und sie vor allem auch zu schützen sind."
Eine Delegation aus Baden-Württemberg beim Treffen mit dem Hohen geistlichen Rat der Jesiden. Der Herr in weiß ist das geistliche Oberhaupt der Jesiden, Baba Scheich. Neben ihm links Staatministerin Theresa Schopper, rechts von ihm der Psychologe Jan Kizilhan
Eine Delegation aus Baden-Württemberg beim Treffen mit dem Hohen geistlichen Rat der Jesiden. Der Herr in weiß ist das geistliche Oberhaupt der Jesiden, Baba Scheich. Neben ihm links Staatministerin Theresa Schopper, rechts von ihm der Psychologe Jan Kizilhan (Uschi Götz)
Allerdings gebe es aktuell laut Kizilhan Probleme mit der irakischen Regierung:
"Bagdad wehrt sich im Augenblick dagegen, weil sie nach dem islamischen Gesetz davon ausgehen, dass die Kinder als Muslime einzutragen sind, weil deren Täter, die Väter, Muslime sind."
Die baden-württembergische Landesregierung spricht indes von einem diplomatischen Erfolg. Staatsministerin Theresa Schopper von den Grünen war im Nordirak an den Gesprächen mit dem Hohen Geistlichen Rat der Jesiden beteiligt:
"Das war mit auch ein Ziel auf der Reise zu erreichen, dass diese Kinder nicht abgelehnt werden. So dass die Kinder weiterhin mit ihren Müttern, so sie wollen, gemeinsam in den jesidischen Verbünden leben können. Und mit dieser Erklärung haben wir es geschafft, dass die jesidischen Mütter gemeinsam mit ihren Kindern weiterhin vom Hohen Rat der Jesiden, von den höchsten Glaubensvertreten aufgenommen werden, quasi eine Absolution dazu bekommen."
Im Rahmen eines Sonderkontingents hat Baden-Württemberg 2015 über 1.000 jesidische Frauen und Kinder im Land aufgenommen. Bis heute fördert die Landesregierung außerdem Selbsthilfeprojekte im Nordirak. Der Hohe Geistliche Rat der Jesiden bat in der gestern veröffentlichten Stellungnahme die Internationale Gemeinschaft zur weiteren Unterstützung der Geflüchteten auf.