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Nordirland-Konflikt
Anklage wegen Mordes am "Bloody Sunday"

Im Januar 1972 erschossen Soldaten der britischen Armee im nordirischen Londonderry eine Gruppe von Demonstranten. Einen der Soldaten hat die Staatsanwaltschaft nun angeklagt – enttäuschend für die Familien der Opfer.

Von Ramona Westhof | 28.03.2019
Am 30. Januar 1972 wurden 13 katholische Demonstranten während einer friedlichen, jedoch verbotenen Kundgebung in der nordirischen Stadt Londonderry von britischen Fallschirmjägern erschossen.
Am 30. Januar 1972 wurden 13 katholische Demonstranten während einer friedlichen, jedoch verbotenen Kundgebung in der nordirischen Stadt Londonderry von britischen Fallschirmjägern erschossen. (dpa / picture alliance / UPI)
Paul Doherty war acht Jahre alt als sein Vater starb.
"Ich war das vierte von sechs Kindern. Meine Eltern waren sehr jung, mein Vater war 32 und meine Mutter 29. Mein Vater war das 12. der 13 Todesopfer an diesem Tag."
Patrick Doherty starb am 30. Januar 1972, am "Bloody Sunday", dem "Blutsonntag", wie dieser Tag auch genannt wird. Britische Soldaten hatten damals im nordirischen Derry, das offiziell Londonderry heißt, auf eine Gruppe von Demonstranten geschossen und damit den Nordirlandkonflikt weiter befeuert.
Die Opfer waren unbewaffnet gewesen, auch wenn die Armee lange das Gegenteil behauptet hatte. Gestützt wurde diese Version von einer Untersuchung, die nur wenige Wochen nach dem Bloody Sunday zu dem Schluss kam, die Demonstranten hätten zuerst auf die Soldaten geschossen.
"Mein Vater und diese Männer lagen in ihren Gräbern als Terroristen. Dabei waren sie alle unschuldige Demonstranten. Von hinten erschossen, als sie wegrannten, mein Vater kroch auf allen Vieren, ein anderer Mann war auf dem Weg zu ihm und hielt ein weißes Taschentuch als er erschossen wurde."
Touristenführungen im Konfliktgebiet
Dohertys Schilderungen wirken ein wenig einstudiert. Einige Formulierungen wiederholt er mehrmals. Er erzählt häufig von diesem Tag und vom Tod seines Vaters, gibt Touristenführungen durch Derry, zeigt den Besuchern auch die Stelle, an der sein Vater starb.
"Ich finde das therapeutisch. Ich bin stolz auf das, was ich tue, ich bin stolz, diese Geschichten zu erzählen. Manchmal kann es ein bisschen emotional werden. Aber ich tue das für die Öffentlichkeit und für mich selbst. Ich meine, es geht nicht besser als die Geschichten gewissermaßen aus erster Hand zu erfahren. Ich werde so lange damit weitermachen, wie ich kann."
Doherty selbst erfuhr erst später durch seine Mutter vom Tod des Vaters. Aber die Ereignisse des Bloody Sunday sind inzwischen gut dokumentiert. Auch Dohertys Version vom Tod seines Vaters ist offiziell bestätigt: Anfang der 2000er Jahre begann eine zweite, umfassende Untersuchung, bei der über mehrere Jahre fast 1.000 Zeugen gehört wurden. Neue forensische Methoden wurden eingesetzt und auch Soldaten befragt, die weiterhin aussagten, nur auf Bewaffnete geschossen zu haben.
Möglicherweise eine Bombe
Die Untersuchung kam jedoch zu dem Ergebnis, dass keines der Opfer eine Schusswaffe trug. Nur einer der Männer hatte möglicherweise eine Bombe bei sich. Ein erster Erfolg für die Familien der Opfer, die sich jahrzehntelang für die Aufarbeitung des Bloody Sunday eingesetzt hatten.
Dass nun 47 Jahre später nur ein einziger der Soldaten wegen Mordes angeklagt werden soll, ist für die Angehörigen ein herber Rückschlag. Auch für Paul Doherty.
Der Mann, der laut Untersuchung seinen Vater erschossen haben soll, muss sich nun zwar wegen zweier Morde und mehrerer versuchter Morde vor Gericht verantworten, allerdings nicht für den an seinem Vater.
Für weitere Anklagen, auch gegen andere Soldaten, reiche die Beweislage nicht aus, so die Staatsanwaltschaft. Paul Doherty ist anderer Meinung. Noch wenige Tage vor der Bekanntgabe der Entscheidung hatte er sich optimistisch gezeigt:
Kein Grund zum Feiern
"Sie werden mich im Fernsehen sehen, wie ich nach der Verkündung im Pub sitze und anstoße. Meine Familie wird nicht feiern, sondern wir werden der Ermordeten gedenken und auf unseren langen Kampf für Gerechtigkeit anstoßen."
Nun geht der Kampf weiter. Doherty und andere Angehörige der Opfer wollen rechtliche Schritte prüfen. Sie werden weitermachen, sagt Doherty.
Immerhin den Namen des Mannes, der seinen Vater erschossen hat, könnte er im Laufe des kommenden Prozesses erfahren. Bisher war "Soldat F" Anonymität gewährt worden.