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Nordirland
Zweifel am Ende der IRA

Vor zehn Jahren hat sich die Irisch-Republikanische Armee (IRA) offiziell aufgelöst. Mehrere Morde an früheren IRA-Mitgliedern in den letzten Monaten wecken aber Zweifel, ob die Organisation tatsächlich nicht mehr existiert. Es scheint, als ob es noch alte Rechnungen zu begleichen gebe.

Von Friedbert Meurer | 03.09.2015
    Noch immer allgegenwärtig in Nordirland: die IRA. Ein Wandbild an der Falls Road in Belfast erinnert an Bobby Sands, der 1981 beim Hungerstreik der IRA-Häftlinge ums Leben kam.
    Noch immer allgegenwärtig in Nordirland: die IRA. Ein Wandbild erinnert an Bobby Sands, der 1981 beim Hungerstreik der IRA-Häftlinge ums Leben kam. (imago / ecomedia / Robert Fishman)
    Es ist Mittwochabend, der 12. August, im Stadtteil Short Strand im Osten von Belfast. Eine katholisch-republikanische Enklave im ansonsten eher protestantischen Ost-Belfast. Kevin McGuigan, 53 Jahre alt, Vater von neun Kindern, hat gerade gemeinsam mit seiner Frau ein Hockeyspiel seiner Tochter verfolgt. Das Ehepaar fährt anschließend nach Hause. Was dann geschieht, schildert ein Polizeisprecher auf der späteren Pressekonferenz:
    "Mehrmals wird McGuigan mit einer Waffe ins Gesicht geschossen. Der ehemalige IRA-Mann stirbt eine halbe Stunde nach dem Anschlag an seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus. Es war eine ruchlose Tat, die vor den Augen seiner Frau Dolores vor ihrem gemeinsamen Haus verübt wurde."
    Die beiden Täter trugen Masken: Bisher wurden sie nicht gefasst, es gibt aber erste Festnahmen.Die Tat sorgtfür große Aufregung in Short Strand - einem Stadtteil, vor dem auch heute noch in Reiseführern gewarnt wird, nachts könne es gefährlich werden. Ein Verwandter McGuigans taucht Stunden nach dem Mord mit seinem Wagen am Tatort auf, kurbelt die Scheibe herunter und droht Rache an für den Toten: "Ich werde alle von der IRA umbringen."
    Polizeichef löst politische Krise aus
    Die IRA? Die irische Untergrundarmee hat sich offiziell 2005 aufgelöst. Aber in Short Strand bezweifelt niemand, dass es die IRA war, die ihr ehemaliges und abtrünniges Mitglied Kevin McGuigan umgebracht hat. Erst im Mai gab es nicht weit entfernt einen ersten Mord, das Opfer war ein ehemaliger IRA-Anführer. Tatverdächtiger damals war - Kevin McGuigan, der jetzt selbst erschossen wurde. Die Polizei dementierte später. McGuigan sei kein Tatverdächtiger gewesen, sondern nur ein Augenzeuge des Mordes vom Mai.
    "Wir stellen fest, dass es auf der Führungsebene der IRA immer noch eine Infrastruktur gibt. Die IRA existiert noch, sagte der Chef der Nordirland-Polizei George Hamilton und löste damit eine handfeste politische Krise in Nordirland aus. Aber die IRA hat den bewaffneten Kampf aufgegeben, betonte Hamilton, sie verfolgt ausschließlich politische Ziele. Es waren aber nur einzelne IRA-Mitglieder, die McGuigan ermordet haben, das geschah nicht auf Anordnung oder mit der Autorisierung der IRA-Führung."
    Was folgte, ist ein mittleres politisches Erdbeben. Wenn die IRA weiter existiert, stehen der Friedensprozess und die gemeinsame Nordirland-Regierung und -Vertretung auf dem Spiel. Die Partei der nordirischen Katholiken, Sinn Fein, dementierte deswegen sofort. "Es gibt überhaupt keine Hinweise, die IRA ist nicht involviert in den Mord - es gibt überhaupt keine IRA mehr", sagt Alex Maskey von Sinn Fein.
    Offene Rechnungen werden beglichen
    Seinen Dementis glaubt in Nordirland auf protestantischer Seite niemand. Die beiden Mordopfer kannten sich, waren beide Top-Leute der IRA bis in die 90er-Jahre, saßen zusammen im berüchtigten Gefängnis "The Maze". Irgendwann kam es zum Bruch. Und zu einem ersten brutalen Überfall auf Kevin McGuigan. Ihm wird ein Sixpack verpasst: ein äußerst zynischer Begriff. Zwei Schüsse in die Fußknöchel, in beide Knie, in beide Ellenbogen. McGuigan lag lange im Krankenhaus.
    Das hätte ihm eine Warnung sein müssen, meint ein befreundeter Ex-IRA-Mann. Aber bis zuletzt wollte Kevin weiter in Short Strand wohnen. Das war Wahnsinn.
    Peter Robinson, der erste Minister Nordirlands, wollte nach dem Mord die erste Sitzung des Stormond, des nordirischen Parlaments, um vier Wochen verschieben. Er scheiterte, die anderen Parteien lehnten ab. Ausgenommen die UUP, die Unionistenpartei Ulsters. Sie beschloss sogar, die Allparteienregierung zu verlassen. Robinson fragte: warum verlässt ein protestantischer Politiker die Regierung, wenn es auf der katholischen Seite ein großes Problem gibt? Es gehe um Prinzipien, lautete die Antwort.
    In Short Strand in Belfast hat man Angst, dass zwei Morde nicht genug sind. Die IRA mag sich zu einer politischen Organisation gewandelt haben, die der Gewalt abgeschworen hat. Aber einzelne Mitglieder und ehemalige IRA-Leute haben offenbar noch die ein oder andere Rechnung offen.