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Nordmazedonien
Land ohne Leute

Viele junge Menschen verlassen Nordmazedonien, vor allem Richtung Deutschland und Österreich. Sie hoffen dort auf Jobs und höhere Löhne. Aber die Hoffnungen auf ein besseres Leben können auch schnell enttäuscht werden.

Von Clemens Verenkotte | 04.02.2020
Die Flagge der Republik Nordmazedonien
Die Flagge der Republik Nordmazedonien (imago stock&people)
Vor der deutschen Botschaft in Skopje: Fatima steht mit ihrer halbwüchsigen Tochter vor dem Eingang der diplomatischen Vertretung – sie will eine Arbeitsgenehmigung beantragen: "Fast alle Freunde und Familienmitglieder befinden sich bereits in Deutschland."
In Skopje könne man zwar Arbeitsplätze finden, doch auf dem Land – und sie komme aus dem Osten des kleinen Balkanstaates – gebe es nichts. Auch hätte meist nur ein Familienmitglied einen Arbeitsplatz, und davon könne man nicht leben:
"Zu allererst werde ich mich mit der Sprache beschäftigen und Deutsch lernen, so wie ich jetzt Mazedonisch spreche. Dann werde ich Arbeit suchen. Ich würde gerne als Chefin in einem Restaurant sehen, ich will mit Menschen arbeiten."
"Ein Sohn ist schon weg, dies ist jetzt der zweite."
Er warte auf seinen Sohn, der gerade in dem Botschaftsgebäude sei, sagt ein älterer Mann aus Tetovo:
"Ein Sohn ist schon gegangen, dies ist jetzt der zweite. Wir, meine Frau und ich, werden alleine zurückbleiben. Ich bin 59, sie ist 60. In ein paar Jahren können wir dann selbst auch nicht mehr arbeiten. Unser älterer Sohn lebt in der Nähe von Berlin und arbeitet als Kellner in einem Restaurant."
Das Thema Abwanderung nach Deutschland – und auch nach Österreich – ist für viele Arbeitskräfte in Nordmazedonien seit Jahresbeginn noch verlockender geworden als bislang schon. Denn es gibt neue, leichtere Regeln für die Einwanderung von Fachkräften.
Vor allem Deutschland und Österreich sind das Ziel
Ab dem 1. Januar können sich qualifizierte Arbeitnehmer aus Nicht-EU-Ländern in Österreich bereits bewerben – das Wiener Bundesarbeitsministerium veröffentlicht eine lange Liste von 56 verschiedenen Berufsgruppen, vom Landmaschinenbauer über Dachdecker, Pflegeassistenten und Köche. Deutschland wird zum 1. März mit einer vergleichbaren Regelung nachziehen. Als Berufskraftfahrer verdient Shefajet jetzt umgerechnet rund 300 Euro – das sei zu wenig. So wie er, denke auch seine Familie:
"Ich begleite den Sohn meines Schwagers hierher. Er wird auch gehen, weil – was soll er hier machen. Gäbe es in Mazedonien Löhne von 500 bis 600 Euro, niemand würde nach Deutschland wegziehen, auch wenn man dort 1500 bis 2000 Euro verdienen würde. Niemand verlässt gerne die Familie, um fern von Haus und Kindern zu sein."
Hohe Lebenshaltungskosten in Deutschland
Für Nordmazedonien, so sagt Patrick Martens, Delegierter der Deutschen Wirtschaft in Skopje, sei die Anziehungskraft des deutschen Arbeitsmarktes groß – allerdings würde viele hiesige Arbeitnehmer die erheblich höheren Lebenshaltungskosten in Deutschland nicht bedenken:
"Also der Magnet ist gegeben. Wir haben natürlich auch so einen Peergruppen-Zwang und jeder hat irgendwelche Verwandte in Deutschland, die davon berichten, wie sie leben und was sie verdienen. Man muss aber natürlich auch differenzieren, weil hier vor Ort immer das Nettogehalt als Summe relevant ist, und in Deutschland spricht man natürlich von Bruttogehältern. Was weniger bekannt ist, sind die Lebenshaltungskosten, die in Deutschland damit auch verbunden sind und die letztendlich häufig zum Nullsummenspiel führen."
Politische Enttäuschungen
Es sind allerdings nicht allein die höheren Löhne, die den deutschen Arbeitsmarkt so anziehend machen für Arbeitskräfte aus Nordmazedonien. Es ist auch die mangelnde innenpolitische Stabilität; die von der Europäischen Union zurückgewiesene Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, auf Druck des französischen Staatspräsidenten Macron; die derzeit amtierende Technokraten-Regierung, die bis zu den Neuwahlen im April alle Vorurteile über Missmanagement und Vetternwirtschaft nahezu schulbuchartig erfüllt.
Für den 59-jährigen Vater aus Tetovo, der vor der deutschen Botschaft auf seinen Sohn wartet, steht fest: "Es ist fürchterlich, was in Mazedonien geschieht. Ich rede über Mazedonien, aber auch den anderen Ländern geht es nicht viel besser. Die sagen, dass wir zwei Millionen Einwohner sind, aber hier sind sie bestimmt nicht, diese zwei Millionen Einwohner. Ich selbst habe zwei Kinder. Der eine ist bereits seit sieben Monaten in Deutschland, und jetzt wird auch der zweite Sohn seine Papiere bekommen. Er will nicht weiterhin hier bleiben, weil er keine Perspektive mehr sieht."