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Nordrhein-Westfalen
Lehramtsstudenten klagen über lange Anfahrtswege

Seit drei Jahren müssen Lehramtsstudenten in Nordrhein–Westfalen ein Praxissemester in Schulen absolvieren. Mehr Berufspraxis schon im Studium, das ist die Idee. Doch die langen Anfahrtswege bringen einigen Studierenden handfeste Probleme.

Von Moritz Börner | 21.07.2016
    Eine junge Frau wartet am späten Abend vom 06.11.2014 am Bahnhof in Hildesheim (Niedersachsen) auf einen Zug.
    Viele Lehramtsstudenten müssen in ihrem Praxissemester lange Anfahrtswege in Kauf nehmen. (pa/dpa/Stratenschulte)
    Französisch und Sport sind die beiden Fächer, die Lehramtsstudentin Anna Remus bald unterrichten will. Und ganz schön sportlich ist auch die Fahrtzeit, die sie demnächst auf sich nehmen muss. Die 24-Jährige wohnt in Köln, die Schule, an der sie ihr Praxissemester absolvieren wird, ist im 40 Kilometer entfernten Wermelskirchen. Um pünktlich zur ersten Stunde da zu sein, muss sie früh aufstehen:
    "Ich müsste um 4:00 Uhr das Haus schon verlassen, um die erste Bahn dann zu nehmen, ich müsste insgesamt fünfmal umsteigen, um dann um 7:45 Uhr zur ersten Stunde pünktlich erscheinen zu können, ich würde um 7:20 an der letzten Haltestelle ankommen, und das setzt natürlich voraus, dass alle Busse und Bahnen dann pünktlich vorankommen, ob das morgens dann realistisch ist, im Berufsverkehr, ist fraglich."
    Wichtige Nebenjobs in Gefahr
    Selbst wenn sie erst zur zweiten oder dritten Stunde an der Wermelskirchener Schule sein muss, braucht Anna Remus immer noch fast zwei Stunden. Und das an drei bis vier Tagen in der Woche. Ihren Nebenjob als Kellnerin muss sie bald an den Nagel hängen:
    "Ich habe auch einen Nebenjob, das beginnt meistens im späten Nachmittagsbereich und wenn die letzte Stunde bis 15:40 Uhr in Wermelskirchen geht und ich dann noch nach Hause fahren muss, wird es erstmal zeitlich knapp und danach ist man wahrscheinlich auch erschöpft."
    Ohne Nebenjob wird sie Schwierigkeiten haben, ihr Studium zu finanzieren. Auch an anderen nordrhein-westfälischen Universitäten, zum Beispiel in Wuppertal, Münster oder Siegen klagen die Studenten über lange Fahrtzeiten zu ihren Praktikumsplätzen.
    Max Schnitzerling, der in Köln Deutsch und Sport studiert, wurde eine Schule in Lindlar zugewiesen. Das ist ein kleiner Ort bei Gummersbach.
    Kompliziertes Verteilungssystem
    Die Fahrt dorthin mit öffentlichen Verkehrsmitteln dauert gut zwei Stunden und 15 Minuten. Für ihn ein Unding, denn für ein Auto, mit dem er die Fahrtzeit deutlich verkürzen könnte, fehlt ihm das Geld - auch ein Zimmer vor Ort mieten ist zu teuer. Doch als er sich beschweren und einen besseren Praktikumsplatz fordern wollte, begann eine irrwitzige Suche nach den Verantwortlichen, die beim ZFL, dem Zentrum für LehrerInnenbildung in Köln begann:
    "Als ich meine Schule bekomme habe, habe ich erstmal versucht, Kontakt zum ZFL in Köln aufzunehmen, weil die mir die Schule zugewiesen haben. Die sagen dort, die Verantwortlichkeit liegt bei der Bezirksregierung, daraufhin habe ich mich an die Bezirksregierung gewendet, die schieben die Verantwortung an die ZFL Köln, weil sie sagen, sie haben genug Plätze zur Verfügung gestellt."
    Das Verteilungssystem ist kompliziert: Jeder Student darf fünf verschiedene Schulen wählen, an denen er das Praxissemester absolvieren will. Die Verteilung der Studenten auf die Schulen erfolgt per Software. 75 Prozent der Studenten in Köln bekamen eine ihrer Wunschschulen, der Rest aber wurde an Schulen verteilt, die weiter weg sind. Rund zwanzig Studenten müssen Fahrtzeiten von über anderthalb Stunden in Kauf nehmen, erklärt Christian Friebe vom Praktikumsmanagement der ZFL:
    "Der entscheidende Punkt ist, dass es nicht nur um die Schulplätze geht, die zur Verfügung stehen, gerade im Bereich Gymnasium Gesamtschule haben wir viele Gymnasien, aber auch viele Studierende, das heißt, gerade in diesem Bereich kommt es zu Engpässen, und da ist es so, dass wir zwar Schulplätze zur Verfügung haben, aber keine Plätze bei den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung*."
    Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung brauchen mehr Personal
    Die Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung betreuen die Studenten und das ist das Problem. Sie sind über das ganze Land verteilt, weil eigentlich ihre Kernaufgabe ist, die Lehramtsreferendare zu betreuen, die nach dem Studium ebenfalls über das ganze Land verteilt werden. Das Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Köln zum Beispiel, das in unmittelbarer Nähe der meisten Studenten liegt, kann darum nur eine begrenzte Zahl Studenten betreuen. Das Problem ließe sich also nur lösen, wenn an den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung in den Universitätsstädten mehr Betreuer eingestellt würden:
    "Da ist es auch so, wenn man immer wieder neue Fachleiter einstellen müsste, auch da ist es der finanzielle Aspekt, da käme wieder das Ministerium ins Spiel, das heißt, da müssten Gelder zur Verfügung gestellt werden."
    Eine weitere Lösung, die diskutiert wird, wäre ein Härtefallfond. Der würde Studenten, die nur weit weg von ihrem Wohnort einen Praktikumsplatz finden, zum Beispiel ein Zimmer finanzieren. Sportstudent Max Schnitzerling aus Köln hatte mit seiner Beschwerde übrigens Erfolg, er hat jetzt eine neue Schule zugewiesen bekommen. Seine Kommilitonin Anna Remus dagegen nicht, sie wird ab September viel Zeit in Bussen und Bahnen verbringen müssen.
    * In einer früheren Version wurde fälschlicherweise von Zentren für Lehrerbildung gesprochen.