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Notfallmedizin
Neues Forschungsprojekt könnte Ausbildung revolutionieren

Bisher haben es Notfallsanitäter während ihrer Ausbildung nur selten mit echten Notfällen zu tun. Das soll sich dank des medizinisch-digitalen Forschungsprojekts "Epicsave" künftig ändern. Per Datenbrille können Auszubildende dabei echte Einsätze hautnah miterleben.

Von Peter Kolakowski | 16.08.2016
    Blaulicht eines Polizeiautos, das von einer Pkw-Fensterscheibe reflektiert wird
    Das Projekt "Epicsave" soll Notfallsanitätern in Ausbildung helfen, sich an Kriseneinsätze zu gewöhnen. (picture alliance / dpa)
    Ausbildungen für Notfallsanitäter "kranken" oft an viel Theorie und wenig Praxisbezug. Während einer Ausbildung kommt ein echter Notfall-Einsatz so gut wie nie, nämlich nur in 0,5 Prozent aller Lehrfahrten vor.
    Mit einer neuen virtuellen Lerntechnik sollen angehende Notfallsanitäter Szenarien zukünftig direkt vor Ort miterleben und sogar entsprechende Handlungen durchführen können. Hierfür haben die Wissenschaftler Dr. Jonas Schild und Sven Seele von der Hochschule Bonn Rhein/Sieg Datenbrillen aufgesetzt, wie man sie von Videospielen her kennt. Und befinden sich visuell nun inmitten des Geschehens, erklärt Sven Seele.
    "Also für diesen Prototypfall haben wir jetzt eine Trainingssituation abgefilmt mit einer 360-Grad-Kamera, in dem Fall war das hier so eine Badezimmersituation, wir hatten aber auch eine Parksituation. Und das können wir dann besuchen sozusagen, in diese Szene dann eintauchen."
    Die Sanitäter wurden in die Wohnung einer Familie gerufen. Das Kind hat plötzlich offenbar einen allergischen Schock erlitten. Mit hochrotem Kopf und verzweifelt nach Luft schnappend liegt der Junge vor der Badewanne auf dem Boden, beschreibt Jonas Schild die Situation.
    "Die Notfallsanitäter sind jetzt vor Ort, ich habe hier zwei Kollegen, die das Kind versorgen, die Lagesituation verbessert, dass das Kind schon mal besser atmen kann.
    Es wird eine Erstuntersuchung gemacht, welche Probleme der Atmung und der Kreislaufstabilität vorliegen und dann mit der Versorgung begonnen."
    Bisher nur eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten
    Direkt mit den Kollegen und dem Patienten im Film interagieren kann der mittels Datenbrille anwesende Kollege -noch - nicht. Bislang beschränkt sich der Einsatz aufs Zuschauen und das Anklicken von Befehlen, die dann von den Sanitätern im Film befolgt werden. Sven Seele:
    "Wir können hier sehen ein Menü eingeblendet in 3D in dieser Szene über der Badewanne schwebend und dort kann ich zum Beispiel Videos auswählen, ich könnte aber auch Befehle auswählen, die ich dann eben delegiere an meine Kollegen oder an das Personal.
    Wir wollen wirklich dorthin, dass man Dinge auch greift und an der entsprechenden Stelle appliziert."
    Anschließend werten die Wissenschaftler zusammen mit Psychologen die notfallmedizinische Vorgehensweise der Probanden genau aus. Sie analysieren dabei auch deren Körper- und Augenbewegungen in der konkreten Situation. Sven Seele:
    "Wir werten aus, worauf haben die geachtet, worauf haben sie nicht geachtet, in welche Richtung ist der Kopf gedreht, wo sind die Augen in dieser 3D-Szene."
    Neue Ausbildungsmöglichkeiten
    Mit dem Projekt unter dem Titel "Epcisave" eröffnen sich damit völlig neue Ausbildungsmöglichkeiten in der medizinischen Versorgung, um realitätsnah Notfälle mitzuerleben.
    Neben allergischen Schocks können dies auch beispielsweise ein Herzinfarkt oder Schlaganfall sein. Dr. Jonas Schild:
    "Was aber jetzt vor allem in der virtuellen Realität eine Rolle spielt, was man sonst nicht simulieren kann, das sind emotionale Reize, wir können hier simulieren, wie vielleicht auch Erwachsene beteiligt werden können, die teilweise auch von den Notfallsanitätern versorgt werden müssen.
    Und es kann vorkommen, dass sie mit ihren Ängsten und Fragen den Einsatz auch behindern. Das führt zu Stresssituationen bei den Sanitätern, die sie ohne einen realen Einsatz gar nicht trainieren können."