Kommunalwahl
Was bedeutet das NRW-Ergebnis für die Bundespolitik?

Historisch schlechtestes Ergebnis für die SPD, kräftige Zugewinne für die AfD: Bei der Kommunalwahl in NRW haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben. Welche Bedeutung haben die Ergebnisse für die Bundespolitik? Und warum verliert die SPD im Pott?

    Briefwahlunterlagen zur Kommunalwahl in NRW liegen im Briefwahlzentrum Köln auf Tischen in Kisten.
    Bei den Kommunalwahlen in NRW stieg die Wahlbeteiligung nach vorläufigen Zahlen auf 56,8 Prozent. Das wäre die beste Beteiligung an NRW-Kommunalwahlen seit 1994. (picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
    Die Kommunahlwahl in NRW hat nach Ansicht von Beobachtern auch bundespolitische Bedeutung. Unter anderem galt sie als politischer Stimmungstest für die schwarz-rote Koalition in Berlin. Ein Ergebnis der Wahl könnte für neuen Streit in der Bundesregierung sorgen.

    Inhalt

    Wie haben die Parteien abgeschnitten?

    Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen hat sich die CDU laut vorläufigem Ergebnis mit 33 Prozent klar als stärkste Kraft behauptet. Zu den Gewinnern im bevölkerungsreichsten Bundesland gehört aber auch die AfD: Sie konnte ihr Ergebnis mit 14,5 Prozent fast verdreifachen und landete auf dem dritten Platz hinter der SPD. Die Sozialdemokraten fuhren mit 22 Prozent das schlechteste Ergebnis bei einer Kommunalwahl in NRW ein. Die Grünen mussten herbe Einbußen hinnehmen und erreichten 13,5 Prozent. Die Linke legte auf 5,6 Prozent zu. Auf die FDP entfielen 3,7 und auf das BSW gut ein Prozent. Bei der Wahl wurden unter anderem Bürgermeister, Landräte, Gemeinderäte und Kreistage gewählt.
    Dass sich das Kräfteverhältnis in NRW ändern und die AfD stark hinzugewinnen würde, war vor der Wahl erwartet worden. Umfragen sahen die Partei in NRW bei bis zu 16 Prozent. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl im Frühjahr hatte die AfD auf 16,8 Prozent zugelegt. 
    Die AfD war in NRW 2017 erstmals mit einem einstelligen Ergebnis in den Düsseldorfer Landtag eingezogen. Lange Zeit lagen die Ergebnisse der Partei dort aber deutlich unter denen anderer Bundesländer wie Bayern, Hessen oder Niedersachsen. 
    In Nordrhein-Westfalen gilt die AfD nicht als gesichert rechtsextrem – anders als in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg.

    Redaktionell empfohlener externer Inhalt

    Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

    Welche bundespolitische Bedeutung hat die Wahl?

    Nordrhein-Westfalen ist das bevölkerungsreichste Bundesland: 22 Prozent der Einwohner Deutschlands leben dort. 13,7 Millionen Wahlberechtigte waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Schon das allein verleiht den Kommunalwahlen ein besonderes Gewicht.
    Hinzu kommt, dass es sich um die erste Wahl seit dem Amtsantritt der schwarz-roten Bundesregierung vor gut vier Monaten handelte.  Entsprechend waren die NRW-Wahlen nach Ansicht vieler Beobachter ein Stimmungstest für die schwarz-rote Bundesregierung.
    Nach Ansicht des Politikwissenschaftlers Conrad Ziller seien die Wahlergebnisse allerdings „kein Denkzettel“ für die schwarz-rote Koalition in Berlin. Die Ergebnisse würden vielmehr den allgemeinen Bundestrend widerspiegeln. Wie andere Kommunalwahlen auch sei die Wahl insgesamt von Bundesthemen und vom bundesdeutschen Trend überschattet gewesen.  
    Bundespolitische Bedeutung wird auch dem Abschneiden der AfD zugeschrieben. Dabei stehen vor allem die Ergebnisse im Ruhrgebiet im Fokus, der einstigen „Herzkammer der Sozialdemokratie“. Die Bundes-AfD sieht sich durch ihre starken Zugewinne im Westen gestärkt und fester verankert. Viele Beobachter bezeichnen sie bereits als die neue „Arbeiterpartei“. Die SPD dagegen verlor nach 2020 noch einmal und erreichte das schlechteste Ergebnis bei einer Kommunalwahl in NRW. In Gelsenkirchen und Duisburg müssen die Sozialdemokraten mit der AfD am 28. September in die Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters.
    Das gute Abschneiden der AfD könnte sich auch auf Schwarz-Rot in Berlin auswirken. Beobachter erwarten, dass es für erneuten Streit in der Koalition sorgen dürfte, die gerade versucht, sich wieder zusammenzuraufen. Die Union dürfte sich durch die AfD-Erfolge in ihrer Forderung nach einem straffen Kurs gegen illegale Migration bestärkt fühlen. Bundeskanzler Merz hatte kurz vor der Wahl angekündigt, kritische Schlussfolgerungen aus dem Ergebnis zu ziehen. Er sei entschlossen, insbesondere mit der AfD sehr hart in der Sache um die richtigen Themen und den Kurs des Landes zu ringen, sagte Merz. Die SPD dagegen könnte ihre Bemühungen um ein AfD-Verbotsverfahren verstärken. Gespräche darüber hatte die Union gerade erst abgelehnt. 
    Dass die Bundesparteien der Wahl eine hohe Bedeutung beimessen, hatte sich schon im Wahlkampf gezeigt. Mehrere Spitzenpolitiker der Bundesparteien waren in NRW aufgetreten, darunter Kanzler Friedrich Merz, Vizekanzler Lars Klingbeil und Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas. 

    Warum verliert die SPD in ihren Hochburgen Stimmen an die AfD?

    Der Ruhrpott kämpft mit einer Reihe an Herausforderungen. Beispiel: Gelsenkirchen. Die kriselnde Bergbau-Stadt hat die höchste Arbeitslosenquote Deutschlands, fast jedes zweite Kind ist von Armut bedroht, ein Viertel der Bevölkerung hat keinen deutschen Pass. Hinzu kommt, dass in der Stadt viele Geschäfte schließen.
    Der Niedergang bleibt nicht ohne Folgen. Bei den SPD-Anhängern im einst tiefroten „Revier“ hat sich eine große Enttäuschung breitgemacht, meint etwa der Bochumer Politikwissenschaftler David Gehne. Zunächst seien diese Menschen nicht mehr zur Wahl gegangen. Doch das habe sich in den letzten Jahren geändert. „Die, die vielleicht mal SPD-gebunden waren, haben ihre Bindung verloren und suchen sich neue Heimaten“, sagt Gehne. Eine dieser Heimaten sei die AfD.
    Ein Grund für den Verdruss: Die SPD-Anhänger haben zum Teil den Eindruck, dass in ihren Stadtteilen zu viel Zuwanderung stattfinde, so der Politologe. Dieses Thema habe die SPD zu lange gemieden und zum Teil auch bewusst totgeschwiegen. 
    Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Stefan Marschall sieht es ähnlich: „Ein Thema, was für die AfD immer gut läuft, ist das Thema Migration. Und das spielt für viele Menschen auch eine Rolle, das haben wir in den Umfragen und auch darüber hinaus in der allgemeinen Diskussion, der Berichterstattung gesehen.“ Migration sei ein Thema, das auf das Konto der AfD einzahle.
    Der Politologe Oliver Lembcke von der Uni Bochum glaubt, dass die AfD vor allem in strukturschwachen Regionen mit industriellem Niedergang – wie Gelsenkirchen oder Duisburg – Chancen habe, sich dauerhaft zu verankern.
    Das Thema Migration spielt in NRW aber auch außerhalb des Ruhrgebiets eine Rolle. In Köln etwa gab es Streit um eine geplante Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge mitten in der Innenstadt. In die Debatte mischte sich sogar der US-Tech-Milliardär Elon Musk ein und postete auf seiner Plattform X einen Artikel mit dem Tenor: Einwanderungskritiker dürften sich in Köln nicht äußern. Musk verband den Post mit Wahlwerbung – für die AfD. 

    Ist die Zeit der Hochburgen vorbei?

    Nach Ansicht des Düsseldorfer Politikwissenschaftlers Stefan Marschall ist die Zeit der klassischen Partei-Hochburgen vorbei. „Das, was wir früher so als Hochburgen bezeichnet haben, das gibt es in dieser Form kaum noch. Also es gibt kein Gebiet, was man einfach einer Partei zuschreiben kann“, sagt er. Das Ruhrgebiet etwa habe inzwischen „verschiedene Farben“. Unter anderem stellt die CDU dort Bürgermeister.
    Damit einher geht laut Marschall „viel mehr Dynamik“, was die Parteienpräferenzen angehe. „Die Wählerinnen und Wähler sind selbst wählerischer geworden“, sagt der Politologe. Bei jeder Wahl würden sie sich mitunter neu entscheiden.  

    Welche Themen waren im Wahlkampf bestimmend?

    Der Wahlkampf in NRW war von den unterschiedlichsten Themen geprägt. In der Millionenstadt Köln beispielsweise ging es um den Wohnungsmangel und eine zu träge Verwaltung. Laut einer Forsa-Umfrage sind vier von fünf Kölnern unzufrieden mit der Arbeit der Behörden. 
    Die finanzielle Situation von Städten und Gemeinden war ein weiteres wichtiges Thema in NRW. Viele Kommunen sind massiv verschuldet. Milliardenschwere Kredite mit hohen Zinsen belasten sie seit Jahren so stark, dass sie kaum neue Investitionen stemmen können.
    Verbesserungen erhofften sich viele in NRW durch das Sondervermögen für Infrastruktur, das die Bundesregierung beschlossen hat. Doch das Geld ist bisher in den Kommunen nicht angekommen. Auch wie genau die Milliarden verteilt werden, steht in Nordrhein-Westfalen noch nicht fest. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte erklärt, Kommunen und Gemeinden bekämen „deutlich mehr als fünfzig Prozent“. Die SPD-Opposition im Landtag kritisiert sein „Rumgeeier“ und fordert feste Quoten für die Verteilung der Milliarden vom Bund.

    tmk