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NRW-SPD will Mini-Jobs "sehr strikt" regulieren

Guntram Schneider will für seine NRW-SPD einen neuen Kurs bei Minijobs: Schluss mit ungeregelten Arbeitszeiten und der Aufteilung von Vollzeitstellen. Die Zahl der 400-Euro-Arbeiter in einem Unternehmen soll quotiert werden - und nicht nur das.

28.04.2011
    Dirk Müller: Zurück also zu den Billigjobs, über sieben Millionen inzwischen in Deutschland. Eingeführt hat die Minijob-Regelung ausgerechnet die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder. Darüber sprechen wollen wir nun mit Guntram Schneider, SPD, Arbeits- und Sozialminister von Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen!

    Guntram Schneider: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Schneider, tragen Sie diese Niedriglohnfalle weiterhin mit?

    Schneider: Also ich war schon immer gegen die Ausweitung jeder Form von prekärer Beschäftigung. Aus meiner Sicht gehören die Minijobs auch zur prekären Beschäftigung. Sie sind entstanden und kreiert worden in einer Zeit, die geprägt war durch unterschiedliche Formen des Marktradikalismus. Man war der Meinung, man müsse nur deregulieren auf Teufel komm raus, und dann entstehen wundersamerweise neue Arbeitsplätze. Der Slogan war "sozial ist, was Arbeit schafft", das ist nicht richtig. Der Slogan muss lauten: Sozial ist, was gute Arbeit schafft. Und zur guten Arbeit gehört auch eine faire und angemessene Bezahlung. Und die Zahl von über sieben Millionen Minijobs ist wirklich erschreckend, weil mit diesem Anstieg erhebliche gesellschaftliche Konsequenzen verbunden sind, die nicht den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft fördern, die den Sozialstaat destabilisieren, die letztendlich nicht dazu beitragen, dass man von seiner Hände und von der Arbeit seines Kopfes ordentlich leben kann.

    Müller: Herr Schneider, wir sind ja hier nicht im historischen Seminar, ein bisschen nachtreten müssen wir dennoch. Sie reden von Gerhard Schröder und Franz Müntefering?

    Schneider: Alle Politiker in dieser Zeit haben dieses süße Gift des Marktradikalismus mehr oder weniger aufgenommen, es gibt nur einen großen Unterschied: Viele haben aus dieser Irrung politische Konsequenzen gezogen – dazu gehören sicherlich auch die Letztgenannten –, andere verfolgen nach wie vor stur diesen Kurs und drohen unseren Sozialstaat zu ruinieren.

    Müller: Und wie heißt das Rezept der SPD jetzt?

    Schneider: Wir stehen zu unterschiedlichsten Formen, auch flexible Arbeitszeiten, aber wir müssen dafür sorgen, dass das unbefristete Vollzeit-Arbeitsverhältnis weiterhin in Deutschland die Regel ist. Das ist unser Ziel.

    Müller: Ist es aber nicht mehr.

    Schneider: Ist es leider nicht, und deshalb muss man bei den Minijobs aus meiner Sicht auch gesetzlich eingreifen, zum Beispiel, indem man für die berühmten 400 Euro auch eine bestimmte Arbeitszeit festlegt. Es ist ja heute so, dass nirgendwo konkrete Arbeitszeiten, die erbracht werden müssen, für die 400 Euro festgeschrieben sind. Dies führt zum Teil wirklich zu Hungerlöhnen unter drei Euro pro Stunde, weil man die Arbeitszeit hochgeschraubt hat. Man muss auch überlegen, ob man für die Unternehmen nicht eine bestimmte Quote an Minijobs festlegen muss, damit diese nicht ausufern beziehungsweise den Betriebsparteien, da wo Betriebsräte vorhanden sind, die Möglichkeit gibt, über die Einführung dieser Quoten zu verhandeln. Es geht also nicht darum, generell Minijobs abzuschaffen, sie müssen aus meiner Sicht sehr strikt neu reguliert werden.

    Müller: Sie haben jetzt Ihre Überlegungen dargelegt, gibt es auch schon ein Handeln?

    Schneider: Wir werden uns überlegen in Nordrhein-Westfalen, ob wir angesichts der erschreckenden neuen Daten eine Bundesratsinitiative starten, und die Mehrheitsverhältnisse in anderen Bundesländern versprechen ja, dass diese Bundesratsinitiativen auch in konkrete und unmittelbare Gesetzgebung einmünden.

    Müller: Und die Unternehmer sind äußerst skeptisch, sie lieben diese Minijobs, sie müssen weniger dafür bezahlen beziehungsweise an Abgaben leisten. Wie wollen Sie den Widerstand überwinden?

    Schneider: Über eine entsprechende Gesetzgebung. Natürlich sind Unternehmen sehr daran interessiert, von Minijobs Gebrauch zu machen – denken Sie an den Handel, denken Sie an die Gastronomie, an die Pflege, manche Berufe im Gesundheitswesen –, nur die Zeche müssen andere zahlen. Insbesondere wiederum Frauen werden über den Minijob in die Altersarmut getrieben. Wir werden große Probleme haben, das Prinzip des Aufstockens aufzuhalten, also Menschen, die auch aufgrund von Minijobs weniger verdienen als die SGB-II-Sätze ausmachen, haben ja Rechtsansprüche gegenüber ihren Kommunen, die in Nordrhein-Westfalen sowieso in einem beklagenswerten finanziellen Zustand sind. All dies sind gesellschaftliche Folgen, und es kann nicht sein, dass sich eine Gruppe in der Gesellschaft gesundstößt über prekäre Arbeitsverhältnisse und andere, die Gesellschaft insgesamt, dafür zahlt. Das geht nicht, das ist eines Sozialstaates unwürdig.

    Müller: Kennen Sie, Herr Schneider, als Arbeits- und Sozialminister von Nordrhein-Westfalen Unternehmen, die reguläre Jobs regelrecht zerlegen, damit sie die aufsplitten können in vier, fünf, sechs Minijobs?

    Schneider: Ich darf jetzt hier keine Namen nennen, aber ...

    Müller: Können Sie ruhig machen.

    Schneider: Ich sage Ihnen, der gesamte Bereich des Handels ist dafür bekannt, dass nicht zuletzt aufgrund der Ausweitung der Ladenöffnungszeiten, auch der verkaufsfreie Sonntag spielt da eine Rolle, reguläre Arbeitsverhältnisse umgewandelt worden sind in Minijobs, um über diesen Weg die Läden geöffnet zu halten, aber um Neueinstellungen herumzukommen.

    Müller: Haben Sie da auch zu lange zugesehen?

    Schneider: Ich glaube ja. Man muss selbstkritisch sagen, Politik hat teilweise zu lange zugesehen, immer in der Hoffnung, alles reguliert sich von selbst, und das Gute wird obsiegen. So ist leider die schöne neue Arbeitswelt, wie manche meinen, nicht.

    Müller: Um da jetzt auch noch mal über die Realität zu reden, das heißt, wenn Sie mit einer Gesetzesinitiative, losgelöst von den tatsächlichen politischen Mehrheitsverhältnissen, durchkommen würden, würde das automatisch für die Unternehmer bedeuten, die Arbeit wird wieder teurer?

    Schneider: Die Arbeit würde ein Stück weit teurer, aber ich sage Ihnen, wir sind ein Hochlohnland, immer noch, obwohl die realen Einkommen in den letzten Jahren fast gar nicht angestiegen sind, nur die nominalen, da muss man fein unterscheiden. Und wir werden ein Hochlohnland bleiben müssen, wenn wir weiterhin gute Produkte entwickeln und fertigen und handeln wollen. Hier gilt die Devise: Wir müssen nicht billiger sein als andere, sondern besser sein als andere. Besser statt billiger, das ist auch die Devise für die Politik der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen.

    Müller: Wenn, Herr Schneider, die Arbeit wieder teurer wird, wird dann auch die Arbeitslosigkeit wieder größer?

    Schneider: Nein, die Arbeit wird ja nicht generell teurer, die Arbeitskosten sind ja in den letzten Jahren ganz erheblich gesunken, insbesondere die Lohnstückkosten. Dies hat ja auch zu den großen Exporterfolgen unserer Volkswirtschaft beigetragen, auf die ich natürlich auch stolz bin. Hier geht es um wichtige Bereiche im privaten Dienstleistungssektor, und ich muss Ihnen sagen, wenn ich manche Preise im Einzelhandel mir anschaue, dann muss ich feststellen, es ist nicht alles teurer geworden, manches ist billiger geworden. Und wo wird gespart? Beim Personal, bei den Personalkosten, und dies geht nicht so weiter. Wenn ich Ihre Logik weiterverfolge, nicht Ihre persönliche, sondern die eben vorgetragene, dann müssten wir an einer Stelle auch wieder Kinderarbeit einführen mit dem Argument, wir müssen Arbeit verbilligen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. So kann man eine Volkswirtschaft nicht organisieren.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, Guntram Schneider, SPD-Arbeits- und -Sozialminister in Düsseldorf. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Schneider: Bitte schön, Herr Müller!

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