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NSA-Spionage in Europa
"Der Schaden ist sehr viel größer als der Nutzen"

Die Amerikaner hätten sich bei ihren Abhöraktionen in Europa darauf verlassen, dass diese geheim blieben, sagte der Journalist Georg Mascolo im Deutschlandfunk. Jetzt sei der außenpolitische Vertrauensverlust groß. Das geschehe ausgerechnet zu einer Zeit, wo das Verhältnis angesichts der vielen Krisen so eng sein müsste wie kaum zuvor.

Georg Mascolo im Gespräch mit Jasper Barenberg | 02.07.2015
    Georg Mascolo, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung", am 13.05.2015 während der ARD-Talksendung "Anne Will".
    Georg Mascolo, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung". (dpa / Karlheinz Schindler)
    Jasper Barenberg: Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy, Francois Hollande - gleich drei französische Präsidenten soll die NSA im Visier gehabt haben. Das war die Empörung vor wenigen Tagen. Jetzt gerät Berlin wieder stärker in den Blick. Dokumente aus dem Fundus der Enthüllungsplattform Wikileaks sollen belegen, dass der US-Geheimdienst nicht nur die Bundeskanzlerin ausgespäht und abgehört hat, sondern auch mehrere Berliner Ministerien. So berichtet es unter anderem heute die „Süddeutsche Zeitung.
    Am Telefon ist der Journalist Georg Mascolo. Er leitet den Recherche-Verbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Schönen guten Tag!
    Georg Mascolo: Guten Tag nach Köln!
    Barenberg: Herr Mascolo, lassen Sie uns zu Beginn etwas von Hans-Peter Friedrich hören, dem unter anderem früheren Bundeslandwirtschaftsminister. Er hat heute Morgen hier im Deutschlandfunk reagiert auf die neuen Enthüllungen, und zwar mit großer Gelassenheit.
    Hans-Peter Friedrich: “Was, verdammt noch mal, kann man wissen wollen aus dem Bundesagrarministerium im Jahre 2005 oder 2006? Das ist mir völlig rätselhaft. Aber das zeigt im Grunde, Nachrichtendienste sind so wie sie sind, und mit Sicherheit nicht nur der amerikanische, sondern ich würde mal sagen, alle Nachrichtendienste wollen nach Möglichkeit alles wissen.“
    Barenberg: Der CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich heute Morgen hier im Deutschlandfunk. - Herr Mascolo, alles halb so wild also?
    Mascolo: Na ja. Herr Friedrich hat ja recht. Aber was die politische Bewertung angeht, so teile ich seine nicht und halte es eher mit der Kanzlerin. Ich glaube, dass ihr Satz, das Ausspähen unter Freunden nicht geht, nicht sein darf, dass der richtig gewesen ist und dass er heute auch richtig ist.
    Sehr viel Resignation in der Bundesregierung
    Was lernt man jetzt aus diesen neuen Unterlagen, von denen ich glaube, dass es nur einen Teil dessen abbildet, was die NSA mutmaßlich in Deutschland getan hat? Man sieht, dass über die politische Führungsebene hinaus die Amerikaner ein großes Interesse daran gehabt haben, wann immer es um Handelsfragen, um Wirtschaftsfragen, um währungspolitische Fragen ging, dass sie sich nicht nur für politische Spitzen interessiert haben, sondern sie haben sich teilweise bis hinunter in Referate informiert, welche Positionen können die Deutschen in der Welthandelsorganisation einnehmen, welche Positionen nehmen sie bei G8-Gipfeln ein, welche Positionen vertreten sie in Währungsfragen.
    Das sind alles durchaus sensible Fragen, weil es den Bereich der Wirtschaftsspionage umfasst. Die amerikanische NSA hat den Auftrag, nicht für einzelne Firmen, aber sehr wohl für das Wohlergehen und die Wettbewerbsfähigkeit von Amerika als Ganzem diese Form von Spionage zu betreiben. Ich glaube, dass sich das genauso wie politische Spionage unter Freunden und Verbündeten nicht gehört.
    Barenberg: Die USA betreiben Wirtschaftsspionage in Deutschland. Für Sie ist das gewissermaßen hieb- und stichfest belegt durch Dokumente wie die?
    Mascolo: Hieb- und stichfest ist, wir haben den ersten Schwung gesehen, was Wikileaks veröffentlicht hat in Bezug auf Frankreich. Ich habe nirgendwo ein Dementi gelesen, was ja dann naheliegend gewesen wäre, die Unterlagen sind falsch, die Telefonate sind unzutreffend. Nach Lage der Dinge müssen wir davon ausgehen, dass diese Dokumente, die Wikileaks jetzt veröffentlicht, authentisch sind. Natürlich kann man das Argument bemühen, wir diskutieren über all diese Fragen jetzt seit zwei Jahren, und ich glaube, dass ein Teil der Reaktionen heute in Berlin, wo es ja eine Reihe von gelassenen, ich würde allerdings sagen eher resignierten Stimmen gibt, die sagen, wir wissen es ja nun, wir haben es uns anders vorgestellt, wir haben eine andere Vorstellung davon, wie die Amerikaner mit uns umgehen sollten, wir haben bei ihnen eingefordert, dass dieses eine Praxis ist, die zumindest jetzt, nachdem sie bekannt geworden ist, beendet werden müsste.
    Aber ich höre aus der Bundesregierung auch sehr viel Resignation, dass sie sagen, wir haben es ja probiert, wir haben versucht, den Amerikanern zu sagen, dass dies sehr schädlich für unser Verhältnis ist, aber die Amerikaner hören uns nicht zu. Und ich glaube, ich sage es noch mal, dass ein Teil dieser leicht resignierten Haltung heute ist, was immer jetzt noch herauskommen wird, wir werden uns nicht darauf verlassen können, dass die Amerikaner diese Praxis beenden wollen.
    Barenberg: Der Innenminister, Thomas de Maizière, hat ja heute auch eingeräumt, man sei misstrauischer geworden, und er hat auch gesagt, mit Beginn dieser Legislaturperiode werden auch westliche Nachrichtendienste daraufhin überprüft, ob sie hier Spionage betreiben. Wie werten Sie diesen Satz? Unternimmt die Bundesregierung tatsächlich etwas in dieser Richtung? Oder, weil Sie gerade von Resignation gesprochen haben, sieht man eigentlich ein, dass man da gar nicht viel unternehmen kann?
    Geheimdienst faktisch an die USA outgesourct
    Mascolo: Ich glaube, dass Ihre Feststellung richtig ist, dass man gar nicht viel unternehmen kann, vor allem, wenn es um die Überwachung von Kommunikation, von elektronischer Kommunikation geht. Das ist sehr schwierig, es sei denn, die Regierung würde nun in großem Umfang dazu übergehen, Verschlüsselungssysteme zu nutzen. Ich glaube aber, dass das wirklich Tragische in all dieser Geschichte ist, dass wir, glaube ich, an vielen Stellen sehen, dass in einer Zeit, in der eigentlich das Verhältnis zwischen Europa, zwischen Deutschland und Amerika so eng sein müsste wie kaum zuvor, angesichts von vielen Problemen, die wir haben, dass diese Geschichte einfach ungeheuer viel Vertrauen kostet.
    Ich glaube, dass ein Teil der kritischen Haltung gegenüber den TTIP-Verhandlungen genau hierin seine Begründung auch findet. Diese Vorstellung, jetzt hören die Amerikaner möglicherweise schon im Vorhinein die Positionen der Europäer und der Deutschen ab, all das sind Dinge, die Schaden anrichten in Zeiten, in denen das Verhältnis eigentlich ein enges und gutes sein muss und sein sollte.
    Barenberg: Sie haben gesagt, dass in Ihren Augen diese Art von Spionage unter Freunden, so wie es die Kanzlerin ausgedrückt hat, auch gar nicht geht. Nun ist das ja nur die eine Seite. Die andere ist, dass gerade Deutschland auf eine intensive Zusammenarbeit mit US-Geheimdiensten, gerade mit US-Geheimdiensten angewiesen ist, zum Beispiel, wenn es um die Gefahr für Soldaten im Auslandseinsatz geht. Wie sind denn nach Ihrem Verständnis diese beiden Ziele miteinander überhaupt in Einklang zu bringen?
    Mascolo: Ich glaube, sie sind eigentlich nicht miteinander in Einklang zu bringen. Sie haben ja recht: Die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Geheimdiensten und vor allem mit der NSA ist für deutsche Behörden, für die deutsche Bundesregierung geradezu unverzichtbar, ein ganz wesentlicher Teil der äußeren Sicherheit. Sowohl in militärischen als auch in geheimdienstlichen Fragen haben wir ja faktisch an die USA outgesourct. Wir verlassen uns darauf, dass wir Erkenntnisse von ihnen bekommen.
    Ich finde das gut und notwendig. Ich glaube allerdings, dass es auf Dauer sehr schwierig sein wird, sich vorzustellen, dass die NSA an jedem Tag so was wie der beste Freund und der beste Partner ist und sagt, ich helfe Dir wie ein guter Nachbar bei der Aufklärung von Dingen, die Dich, die Deine Bürger in Deutschland bedrohen, aber auf der anderen Seite benehme ich mich eigentlich auch an jedem Tag daneben, weil ich ordinäre Spionage betreibe. Ich glaube, dass uns allen damit gedient wäre, wenn Geheimdienste sich auf das beschränken würden, was wir alle von ihnen erwarten, beispielsweise die Überwachung der terroristischen Szene, der Abwehr solcher Gefahren, und zumindest Spionage unter Freunden einstellen würden.
    Ich halte das für den notwendigen Weg und will die Hoffnung nicht völlig aufgeben, auch wenn sie an einem Tag wie diesem wieder ziemlich unwahrscheinlich erscheint.
    Barenberg: Die Hoffnung - dies zum Schluss noch, Herr Mascolo - auch auf so etwas Ähnliches zumindest wie ein No-Spy-Abkommen, über das wir lange gesprochen haben und wo inzwischen mehr als klar ist, dass das von Anfang an im Grunde chancenlos war?
    "Kauf einer guten Tageszeitung würde es auch tun"
    Mascolo: Ich kann nur hoffen, auch wenn man sich die Reaktionen in Frankreich jetzt ansieht, dass es in Amerika eine zunehmende Erkenntnis gibt, dass der Schaden, der durch diese Spionageaktionen angerichtet wird, sehr viel größer ist als der Nutzen, den sie daraus tatsächlich beziehen können. Ich glaube, dass ein Teil all dieser Spionage betrieben worden ist, weil die Amerikaner sich darauf verlassen haben, dass es einen politischen Preis dafür nie geben wird, weil all diese Dinge ja geheim bleiben.
    Nun erleben wir, dass die Amerikaner ganz offensichtlich in verschiedenen Fällen gar nicht mehr in der Lage sind, diese Abhöroperationen zu schützen, sondern sie kommen raus, sie werden öffentlich, sie richten erheblichen außenpolitischen Schaden an. Man kann nur hoffen, dass die Amerikaner im Lichte dessen ihre Praxis noch einmal neu überdenken. Das wird nicht auf Druck geschehen, sondern nur dann, wenn die Amerikaner selbst zur Überzeugung kommen, dass ein Teil dieser Praktiken beendet werden sollte, weil der politische Schaden einfach zu groß ist und der Nutzen ja in Wahrheit - das sehen wir ja an allen Stellen, sei es jetzt das abgehörte Gespräch der Kanzlerin, oder die abgehörten Gespräche der französischen Präsidenten -, was um Himmelswillen steht da drin, wofür man sie abhören muss -,. Ich glaube, der Kauf einer guten Tageszeitung oder einer Übersetzung aus dem Deutschlandfunk würde es in den meisten Fällen auch tun.
    Barenberg: … sagt Georg Mascolo, der Leiter des Recherche-Verbundes von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, zu den neuesten Enthüllungen der Enthüllungsplattform Wikileaks. Danke für das Gespräch heute Mittag, Herr Mascolo.
    Mascolo: Ich bedanke mich!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.