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NSA-Spionage
"So viel wie möglich öffentlich erörtern"

Ab April soll ein Untersuchungsausschuss des Bundestags die NSA-Spionageaffäre aufklären. Der designierte Vorsitzende, der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger, sagte im Interview der Woche des Deutschlandfunks, er wolle vieles öffentlich machen. Geheime Informationen müssten allerdings geheim bleiben.

Clemens Binninger im Gespräch mit Falk Steiner |
    Clemens Binninger, CDU, im Bundestag
    Auch wenn Dinge in der NSA-Affäre geheim bleiben müssten, werde die Aufklärung voran getrieben, meint der CDU-Politiker Clemens Binninger. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Steiner: Herr Binninger, glauben Sie, dass Sie ganz persönlich derzeit gezielt von einem Nachrichtendienst dieser Welt überwacht werden?
    Binninger: Ich kann es nicht ausschließen, und man bekommt ja auch Verhaltensregeln. Aber ich habe schon immer das Prinzip gewahrt, dass alles, was geheim ist oder brisant, ich weder am Handy noch in E-Mails offenbare.
    Steiner: Der Bundestag hat in dieser Woche die Einführung eines Untersuchungsausschusses zur NSA-Affäre beschlossen. Acht Mitglieder sollen – so der eine Teil des Auftrages – prüfen, was die Nachrichtendienste der sogenannte Five-Eyes-Staaten – USA, Großbritannien, Australien, Neuseeland und Kanada – tun und vielleicht auch was nicht. Wie wollen Sie das denn herausfinden?
    Binninger: Es ist eine schwierige Aufgabe und da wird auch die Beweisaufnahme nicht einfach sein, weil man damit rechnen muss, dass Zeugen, die wir vielleicht laden oder auch Akten, die wir gerne hätten, aus dem Ausland uns natürlich nicht zur Verfügung gestellt werden. Aber wir können uns auf öffentliche Dokumente beschränken. Wir können natürlich – und das werden wir auch tun – mit den Vertretern deutscher Dienste sprechen. Sodass wir zumindest – und um den Part geht es ja auch – klären können: Konnten deutsche Dienste, deutsche Stellen von den Aktivitäten der Amerikaner und der Briten wissen?
    Waren Sie informiert oder lief das außerhalb des Geltungsbereiches unseres Gesetzes und ohne Wissen deutscher Stellen? Dann, glaube ich, kann man schon einigermaßen zur Aufklärung beitragen. Und auch zu den anderen Fragen – Was steckt hinter diesen Überwachungsprogrammen? –, finde ich, ist es auch notwendig, dass wir mehr Fakten zusammentragen, als vielleicht bislang. Auch um Aufklärung zu erzielen, nicht vielleicht, damit wir alles rausbekommen, aber schon Aufklärung. Und Sensibilisierung, glaube ich, ist ein Gewinn in der Sache.
    Steiner: Wenn wir jetzt uns anschauen, was bereits an Aufklärung erfolgt ist, dann ist eine Sache vielleicht bemerkenswert, das war der nicht so genannte, aber doch Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments. Wie sehr können Sie denn auf dessen Arbeit tatsächlich aufbauen?
    Binninger: Ich habe mir die Unterlagen schon mal angesehen, und ich glaube, da kann man schon auch darauf aufbauen, was die Kollegen gemacht haben. Wir werden auch schauen, ob Zeugen oder Sachverständige, die dort ausgesagt haben, uns auch noch einmal weiterhelfen können. Wir haben etwas mehr Zeit als die Kollegen im Europäischen Parlament, können deshalb auch vielleicht vertiefter nachfragen und können uns da schon auch ein bisschen daran orientieren oder dann noch einmal darauf zurückgreifen. Ob das 1:1 abzubilden ist, das muss ja überhaupt nicht sein, weil wir auch sehr spezifische deutsche Fragen haben, aber aufbauen können wir auf jeden Fall.
    Steiner: Herr Binninger, die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr ihr Möglichstes versucht, die NSA-Affäre aufzuklären. Hans-Peter Friedrich reiste gar nach Washington und kam mit nichts zurück. Fragebögen an US- und britische Stellen wurden nie beantwortet. Das angestrebte No-Spy-Abkommen wird nur noch als No-No-Spy-Abkommen verspottet. Ist es wirklich so unmöglich, aus den sogenannten Partnerländern Informationen zu bekommen?
    Binninger: Das Informationsverhalten der amerikanischen und britischen Seite war bislang in dieser Sache völlig unzureichend. Ich verstehe das, ehrlich gesagt, nicht, weil es ja auch darum geht, Vertrauen wieder herzustellen und auch wieder eine gemeinsame Basis zu finden für die Zusammenarbeit, die wir ja brauchen – die will ja keiner abschaffen. Deshalb verstehe ich da das Verhalten nicht ganz. Mir hat eigentlich die Rede des amerikanischen Präsidenten gut gefallen. Ich fand das schon einen wichtigen Impuls. Da gilt es, glaube ich, anzusetzen. Und ich hatte auch in der vergangenen Woche ein Gespräch mit meinem amerikanischen Kollegen, Jim Sensenbrenner.
    Er war einer der Väter des Patriot Act. Und er ist – anders als man vermuten könnte – ganz auf unserer Linie. Er sagt: Wir müssen diese Dinge anders bewerten, sie lassen nicht so viel Raum für Datenerhebung, wie es vielleicht gemacht wurde. Und diese Debatte gibt es auch in den USA. Und deshalb, glaube ich, stehen wir eben nicht am Ende der Bemühungen, sondern am Anfang. Aber es ist bisher leider wenig ertragreich – das muss man sagen –, soll uns aber nicht davon abhalten, weiterzumachen.
    Steiner: In dem vergangenen Jahr war es vielleicht einfacher, die USA scharf zu kritisieren, als in der aktuellen politischen Konstellation. Wenn wir nun schauen, gerade mit dem Ukraine-Konflikt, dort ist ja auch die Zusammenarbeit zwischen den Nachrichtendiensten durchaus ein relevantes Thema. Der BND gilt ja zum Beispiel als relativ gut, was Osteuropa angeht. Auch da geht es ja wieder um die Zusammenarbeit von Nachrichtendiensten. Wie weit können Sie da eigentlich dann tatsächlich gehen, wenn es um Kritik an den Partnern geht?
    Binninger: Also, es wird ja sowieso, glaube ich, die Kunst des Ausschusses sein deutlich zu machen: Wie sieht gewollte, gewünschte und benötigte Zusammenarbeit zwischen den Diensten, gerade innerhalb der Nato-Partner aus? Die wollen wir – das werde ich auch betonen. Aber das macht einen nicht frei davon zu sagen: Wo verläuft die Grenze? Wo ist man darüber hinausgegangen, ohne dass man dazu jetzt auch einen Nutzen gehabt hätte? Und deshalb glaube ich, wenn man – und ich versuche das ja immer – es nicht schwarz-weiß malt, differenziert und sagt: Bis hierhin ist es gewollt, auch vom deutschen Parlament, auch von unseren Gesetzen und von den Behörden, aber was darüber hinausgeht, ist eben nicht gewollt. Und ich bin übrigens überzeugt davon, dass vieles, was man hier sammelt – auch vom Ansatz her –, am Ende gar nicht so effektiv und zielführend ist. Also dieser Ansatz amerikanischer und britischer Seite: "Lasst uns nur möglichst viele Daten sammeln, egal von wo, dann werden wir alleine aus den Datenbergen irgendwann die heiße Spur finden", den kann man sehr, sehr kritisch hinterfragen.
    Das Logo des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA)
    Ein Untersuchungsausschuss soll sich mit Aktivitäten der NSA in Deutschland befassen (dpa / picture-alliance / Nicolas Armer)
    Steiner: Wenn wir uns das anschauen, diese Nachrichtendienste setzen ja auch sehr stark darauf, dass eben nicht sie selber direkt Daten sammeln, sondern auch, dass Private Daten sammeln. Welche Rolle wird das spielen? Werden Sie zum Beispiel auch Unternehmensvertreter vor diesen Ausschuss laden?
    Binninger: Ja, wir haben ja auch neben dem ersten Block – Was haben die amerikanischen und britischen Dienste im Komplex Five-Eyes getan? Was wussten deutsche Stellen? – haben wir den Block 2: Gibt es Erkenntnisse über die Überwachung von Parlamentariern, Regierungsmitgliedern et cetera. Und Block 3 ist genau das, was Sie gerade gefragt haben: Wie sieht denn eigentlich der Schutz unserer Daten in der Infrastruktur in Deutschland aus? Wo laufen die Daten, über welche Netze? Wer sorgt da für die Sicherheit? Welche Unternehmen sind dafür verantwortlich? Und wir werden sicher auch in diesem Bereich Vertreter laden, die uns vielleicht als Sachverständige oder auch als Zeugen eben schildern, wie werden Daten von Kunden geschützt? Wie ist überhaupt das Datennetz in Deutschland, über das wir unsere Kommunikation per Mail und Handy abwickeln, wie ist das geschützt? Wer betreibt die Netzknoten? Gibt es da Sicherheitsvorkehrungen? Die wird es sicher geben. Also das ist auch sogar ein eigener Schwerpunkt des Ausschusses.
    Steiner: Denken Sie nicht, dass Sie da an die gleichen Grenzen stoßen, wie in der Befragung zum Beispiel eben US-amerikanischer Geheimdienstvertreter? Also wenn Sie beispielsweise Larry Page oder Sergey Brin von Google vorladen würden?
    Binninger: Ja, wir werden uns vielleicht an die Vertreter der Firmen halten, die hier auch in Deutschland sind. Aber wir werden auch deutlich machen, wer zu uns in den Ausschuss kommt – wir sind hier kein Tribunal –, der ist nicht Angeklagter, der ist entweder Sachverständiger oder Zeuge. Und ich werde auch darauf achten, dass wir alle fair behandeln. Wir führen niemanden vor, das kann nicht unser Ziel sein. Aber wir müssen auch eben aufklären und uns Informationen und ein Bild verschaffen. Und wenn Zeugen kommen, haben sie ja immer auch das Recht – und das müssen wir auch respektieren – auf Geheimhaltungsbedürfnisse hinzuweisen, dass wir die auch beachten. Aber ich glaube schon, dass wir diesen Weg gehen. Und wen wir jetzt laden, wissen wir noch nicht. Wir stehen am Beginn unserer Arbeit. Wir strukturieren jetzt erst mal die Arbeit, fordern dann Akten an und darauf aufbauend muss sich ein Zeugenplan ergeben.
    Steiner: Sie haben es gerade selber angesprochen: Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit. Wie öffentlich kann denn überhaupt so ein Ausschuss arbeiten? Und was glauben Sie, wie viele der Informationen, die in diesem Ausschuss denn dann kursieren, bleiben auch geheim, wenn Sie sie denn gerne geheim hätten?
    Binninger: Dass die Dinge, die wir geheim bekommen, auch geheim bleiben müssen, dafür trägt jeder selber Verantwortung, jedes Mitglied. Ich kann da nur appellieren, dass wir uns an Seriosität berauben, wenn wir da mit solchen Dingen auf den Markt gehen. Dann leidet unsere eigene Akzeptanz, unsere Autorität. Wie viel man am Ende öffentlich machen kann in diesen Sitzungen, wird sich aus der Sache heraus ergeben. Ich bin dafür, dass wir so viel wie möglich öffentlich erörtern, aber ich bin mir auch bewusst, dass viele Dinge, die eben bei Nachrichtendiensten ablaufen, geheim bleiben müssen. Und die auch in der Vergangenheit geheim gehalten werden mussten, die werden nicht durch unseren Ausschuss jetzt zwingend öffentlich.
    Das hindert uns ja aber nicht an der Aufklärung. Und es hindert uns auch nicht an der Bewertung von Sachverhalten hinterher. Also da muss man, glaube ich, unterscheiden, dass auch eine geheime Sitzung, aus der ich zwar selber inhaltlich nichts berichte, mir aber doch bei der Bewertung helfen kann, indem ich sage: An dem Vorwurf war etwas dran oder es war nichts dran.
    Steiner: Wenn Sie denn dann geheim tagen, dann gehen Sie in einen speziell dafür vorgesehenen Ausschussraum, indem alles dann auch geheim sein soll. Nicht weit vom Bundestag – wir sitzen gerade genau gegenüber – ist die US-Botschaft. Es wird zumindest behauptet, dass dort Ausspähvorrichtungen installiert seien. Was denken Sie denn, wie geheim werden Sie denn dann tagen, wenn Sie eigentlich geheim tagen wollen?
    Binninger: Ja, also die Räume, die wir haben, die sind ja auch technisch überprüft und auch das Parlamentarische Kontrollgremium tagt ja in einem streng geheimen Raum, der diesen Voraussetzungen genügt. Da glaube ich schon, dass wir die technischen Voraussetzungen haben. Aber am Ende liegt es natürlich an den Teilnehmern selber, dass man da, wenn man Handys mit dabei hat und all diese anderen Dinge, etwas angreifbar ist. Und da muss jeder auch selber darauf achten. Wir werden aber diesem Aspekt noch mal besondere Bedeutung auch beimessen.
    Steiner: Zu einem der Mittel eines Untersuchungsausschusses – und Sie sind ja sehr erfahren, was Untersuchungsausschüsse angeht – gehört ja auch die Möglichkeit, an Orte des Geschehens zu reisen und gegebenenfalls vor Ort Nachforschungen anzustellen. Wollen Sie denn nach Fort Meade zur NSA fahren? Nach Cheltenham zum GCHQ? Oder vielleicht zum Dagger Complex in Wiesbaden, diesem sehr berüchtigt, berühmt gewordenen Gebäude, indem angeblich die Amerikaner Ausforschungen betreiben – aber wissen tut man nichts Genaues? Werden Sie dort hin fahren, um sich selbst ein Bild zu machen?
    Binninger: Der Ausschuss hat eine Reihe von Möglichkeiten. Dazu gehört neben den von Ihnen genannten auch, dass wir Sachverständige einsetzen, die für uns quasi als verlängerter Arm Überprüfungen bei Dienststellen machen können. Und wir selber können uns auch – dort wo es eben geht – vor Ort ein Bild machen. Ich will jetzt auch den Kollegen nicht vorgreifen, die sicher da eigene Ideen und Anregungen haben – die Obleute der Fraktionen. Aber dass man sich zum Beispiel eine Stelle auch einer bundesdeutschen Behörde, die damit zu tun hat, einmal vor Ort anguckt, glaube ich, das kann schon den Erkenntnisgewinn deutlich befördern. Also davon gehe ich fast aus, dass wir das machen. Ich würde das, wenn es funktioniert, auch unterstützten. Aber wo wir jetzt hingehen, will ich jetzt nicht spekulieren, weil da ja natürlich auch die Obleute der Fraktionen sich zusammensetzen und Vorschläge machen werden.
    Steiner: Die Koalitionsredner im Bundestag haben betont, wie wichtig es sei, sich nicht im Klein-Klein zu verlieren und als Untersuchungsausschuss gemeinsam zu arbeiten und meinten damit vor allem die Opposition. Herr Binninger, wie groß ist denn der Wille der Koalitionsabgeordneten, sich möglicherweise auch gegen die eigene Regierung zu stellen, wenn es um die Aufklärung geht?
    Binninger: Ja, ich habe auch gesagt in der Debatte: Wir schonen niemanden, aber wir führen eben auch niemand vor. Und dort, wo die Fragen zu stellen sind, werden sie gestellt. Ich habe da keine Schwierigkeiten aufzuklären. Und mit dem Klein-Klein war eben gemeint, dass wir ja auch wissen, dass wir bei vielen Facetten der Innen- und Sicherheitspolitik unterschiedlicher Meinung sind und auch bleiben werden. Und da wäre es jetzt falsch, immer auf diese Facette abzuheben. Es gibt ja Parteien, die wollen die Nachrichtendienste abschaffen um jeden Preis.
    Ich meine, mit dieser Auffassung können wir nicht an die Arbeit herangehen. Wir müssen klären, was gemacht wurde und was eben vielleicht unterlassen wurde. Und dazu gehört für mich auch, dass wir alle kritisch, sehr zielorientiert, aber eben auch um Aufklärung bemüht die fragen, die mit der Sache zu tun haben, egal aus welcher Partei und egal wann sie und wo sie regiert haben.
    Edward Snowden auf einem Bildschirm vor einer US-Flagge
    Soll Edward Snowden vor dem NSA-Untersuchungsausschuss aussagen? (dpa / picture alliance / Smertin Pavel)
    Steiner: Sie werden mit dem Untersuchungsausschuss ja auch die Rolle der Bundesregierungen seit 2001 – so steht es im Untersuchungsauftrag – untersuchen. Es gab um diesen Untersuchungsauftrag vorher Streit. Es gab zwei Anträge. Sind denn die Rechte der Opposition mit eben der gewählten Größe – acht Abgeordnete, davon zwei von der Opposition –, sind die damit tatsächlich gewahrt oder hätte man nicht eigentlich tatsächlich doch die Opposition den Antrag formulieren lassen müssen?
    Binninger: Ich glaube, dass wir angesichts der Mehrheitsverhältnisse sehr weit gehen und der Opposition, die ja kein Viertel der Stimmen im Deutschen Bundestag hat, aber durch die Zusammensetzung und durch Änderung der Geschäftsordnung ihr all die Recht einräumen, als ob sie ein Viertel hätte. Also ich glaube, das ist schon sehr viel, was man machen kann. Und bei Untersuchungsausschüssen ist ja nur vorgegeben, dass es wenigstens von einem Viertel der Mitglieder getragen werden soll. Dass andere Fraktionen, die dieses Quorum auch erfüllen, eigene Anträge schreiben können, wäre ja immer denkbar. Nur uns war auch bewusst, macht es Sinn, mit mehreren Anträgen parallel in diese Ausschussarbeit zu gehen?
    Das wäre, glaube ich, nicht klug gewesen, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass man eben, wenn man gemeinsam steht – und wir haben hier auch eine Rolle als deutsches Parlament, die wir die Interessen unserer Bürger zu vertreten haben, ausländischen Diensten auch zu signalisieren: Hier steht auch das deutsche Parlament als Ganzes und ist mit dieser Verfahrensweise, mit dieser Massenüberwachung nicht einverstanden. Und das, glaube ich, muss ja auch unser Schwerpunkt sein. Aber die Oppositionsrechte, glaube ich, sind mehr als gewahrt – eben, wie gesagt, wir gewähren ihnen ein Viertel, obwohl sie es nicht haben, und damit haben sie aber alle Beweisantragsrechte. Das haben wir ganz bewusst gemacht. Also da, glaube ich, gibt es keinen Grund zu klagen.
    Steiner: Eine Auswirkung davon könnte sein, dass das, was die Opposition bereits angekündigt hat, dass das Realität wird – nämlich dass nach ihrem Wunsch auf der Zeugenliste sowohl der aktuelle Außenminister Frank-Walter Steinmeier stehen soll wie auch Kanzlerin Angela Merkel. Das geht entsprechend der Größe des Ausschusses zumindest theoretisch. Wie viel Streit erwarten Sie darum?
    Binninger: Also ich sage, es ist ganz normal, dass Zeugen aus dem politischen Verantwortungsbereich auch immer im Untersuchungsausschuss auftreten. Da versperre ich mich überhaupt nicht und bin offen. Aber ich appelliere eben auch, dass wir ein Arbeitstableau festlegen, aus dem sich die Zeugen auch ein bisschen zwangsläufig ergeben und dass wir bei jedem Zeugen auch uns wirklich die Frage stellen: Kann er aufgrund seiner Funktion, seines vermuteten Wissens wirklich zur Aufklärung beitragen? Es darf nicht der Maßstab sein: Hauptsache spektakulär und Hauptsache viel Medieninteresse, aber in der Sache eher wenig. Aber wenn wir diesen Maßstab anlegen und so uns die Zeugen anschauen, wird man sehen, wer für uns relevant ist. Natürlich sind Minister im Kanzleramt, die für die Nachrichtendienste zuständig sind immer auch ein relevanter Zeuge, das ist gar keine Frage.
    Steiner: Das heißt, wir werden Frank-Walter Steinmeier, Angela Merkel, Hans-Peter Friedrich und Ronald Pofalla vor diesem Ausschuss sehen?
    Binninger: Ich könnte ja jetzt die Liste noch lange fortführen, dann würde ich die Regierung bis 2001 haben. Aber auch da gilt das Gleiche. Ich habe auch den Kollegen geraten, jetzt nicht die Berichterstattung mit möglichst vielen Zeugennamen da zu dominieren, sondern dass wir uns in den nächsten Wochen zusammensetzen, die Arbeit strukturieren. Und dann wird man am Ende sehen, welcher Zeuge wirklich notwendig ist. Aber wie gesagt, ich verschließe mich da keinem, aber der Maßstab, dass ein Zeuge nicht nur aus medialem Interesse, sondern auch wirklich deshalb geladen wird, weil er zur Aufklärung beitragen kann, den sollten wir immer auch ein bisschen vor Augen haben.
    Steiner: Wie überrascht waren Sie denn, als Sie im Herbst gehört haben, dass das Handy der Kanzlerin höchstwahrscheinlich angezapft wurde?
    Binninger: Ich bin Ihnen dankbar für die Begriff "höchstwahrscheinlich". Also natürlich ist man ein Stück weit fassungslos und ich habe gesagt: Wenn das stimmt, dann sind ja wirklich alle roten Linien überschritten und dann ist so viel Vertrauen zerstört, wo man wirklich sagen muss: Was bewegt jemand dazu, das zu machen? Umgekehrt wird es auch Aufgabe des Ausschusses sein, zu diesen ganzen Vorwürfen etwas mehr Fakten vielleicht versuchen zu finden, als wir bisher haben aus Presseveröffentlichungen oder sehr vagen Beschreibungen der Methode.
    Wo wir aber bislang nicht erkannt haben: Gibt es irgendwo einen Datensatz mit – was weiß ich – hundert deutschen Telefonnummern, die da ausgewertet wurden, Gespräche von A nach B und welche Uhrzeit. Diese Dokumente hat bislang niemand gesehen – es wären aber wichtige Beweismittel. Und wenn es sie gibt, bin ich gespannt, ob wir einen Weg finden, sie vielleicht zu bekommen. Aber wir haben sie bislang nicht gesehen. Was wir bislang gesehen haben, war die Beschreibung der Methoden und ihre technischen Möglichkeiten, zum Teil mit Power-Point-Präsentationen.
    Steiner: Das heißt, das geht auch sehr, sehr stark um Sachverstand, um die Frage von Einordnung. Da würde sich doch ein Experte sehr anbieten, der momentan in Moskau sitzt – aller Wahrscheinlichkeit nach – oder zumindest in der näheren Umgebung. Als früherer Polizist haben Sie ja viel praktische Erfahrungen sammeln können, was Aussagen wert sind. Wie wichtig wäre denn die Aussage eines Zeugen Edward Snowden für die Arbeit des Untersuchungsausschusses?
    Binninger: Für ihn gilt das Gleiche, wie für alle Zeugen, dass wir den Maßstab anlegen sollen: Kann er mit seinem Wissen, mit seiner Aussagebereitschaft – die gehört ja mit dazu –, was er uns sagen will und kann, kann er uns weiterhelfen bei der Aufklärung unseres Auftrages und der Fragen, die im Raum stehen? Und da will ich jetzt auch nichts abschließend bewerten oder ausschließen, aber ich will nur darauf hinweisen – und das gehört eben zur Seriosität mit dazu: Alle Äußerungen, die Herr Snowden, der übrigens, glaube ich, kein Nachrichtendienstexperte ist, der im Außeneinsatz war, sondern ich glaube, er ist der EDV-Experte der IT-Anlage, der die Server wartet, das ist, glaube ich, ein bisschen ein Unterschied, weil jeder in seinem Unternehmen, seiner Organisation vielleicht auch diejenigen kennt, die die Server warten und die, die vielleicht die inhaltliche Arbeit machen – also das ist er sicher nicht.
    Aber was mich etwas skeptisch macht, dass alle seine Einlassungen, die er bisher getätigt hat – auch die Antworten auf die Fragen gegenüber dem EU-Ausschuss in dieser Sache –, sehr allgemein gehalten waren, sehr an der Oberfläche und abstrakt waren. Und – das gehört eben zu einer seriösen Arbeit auch dazu – dass man dann sagen muss, das hat zur Aufklärung wenig beigetragen. Er hat mit seinem Verhalten die ganze Sache ins Rollen gebracht – das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Ihm verdanken wir diese Debatten. Aber wenn es jetzt darum geht: Kann er darüber hinaus auch als Zeuge zur Aufklärung beitragen, finde ich, gehört das dazu zur Objektivität, dass wir bewerten, was er bisher gesagt hat und das war nicht sonderlich erhellend.
    Eine Satellitenaufnahme zeigt die US-Botschaft (l) und die britische Botschaft (r) in Berlin. Auf den Dächern beider Vertretungen sind nach Medieninformationen Abhöranlagen installiert.
    Auf Satellitenbildern sollen Abhöranlagen auf der britischen und der US-Botschaft in Berlin zu sehen sein. (picture alliance / dpa)
    Steiner: Aber das könnte natürlich auch zusammenhängen mit den Bedingungen, die an seinen Aufenthaltstitel in Russland, in der Russischen Föderation geknüpft sind: Er darf den USA nicht weiter schaden, aktiv. Müsste man nicht eigentlich, damit Edward Snowden frei aussagen kann, ihm doch Asyl im weiteren Sinne gewähren oder einen Aufenthalt hier? Und könnte man ihn dann überhaupt schützen?
    Binninger: Die Asylfrage wurde ja schon im Sommer bewertet von der Bundesregierung. Ich habe mich der damals angeschlossen und sehe da im Moment auch keinen weiteren Spielraum. Am Ende wird es auch eine Frage sein im direkten Verhältnis zwischen Snowden und den Verfahren, die in den USA anhängig sind. Nur auf dem Weg, glaube ich, kann ja auch eine Lösung gefunden werden. Aber wie gesagt, bevor wir jetzt uns überlegen, was wir da machen mit all den Schwierigkeiten, sollten wir immer darauf achten: Bringt es uns bei der Sachaufklärung weiter?
    Steiner: Lassen Sie uns zum Schluss noch über einen Aspekt sprechen, der ebenfalls Teil des Untersuchungsauftrages ist: Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen aus eben dieser NSA-Affäre und den Dingen, die der Ausschuss dann herausgefunden hat. Dass Deutschland digital schlecht aufgestellt ist, ist ein eher offenes Geheimnis. Dass die Politik die digitalen Themen lange verschlafen hat ebenfalls. Man denke beispielsweise eben an das "politische Neuland", wie es Angela Merkel nannte. Anders als beim NSU-Untersuchungsausschuss, bei dem Sie ja auch Teil waren, dürften die notwendigen Maßnahmen hier ja doch sehr, sehr breiter Art sein und vieles auch eher futuristisch bis utopisch anmuten, beispielsweise, wenn es um internationale Normen-Vereinbarungen geht? Wie wollen sie denn Empfehlungen geben? Oder haben Sie dort eine Vorstellung, in welche Richtung das gehen könnte?
    Binninger: Zunächst einmal finde ich den Begriff "Neuland", wenn den eine Regierungschefin gebraucht, überhaupt nicht negativ, sondern es zeigt mir, dass sie auch etwas beschreibt, was letztendlich für die meisten Menschen zutrifft, und aus deren Warte wir die Dinge auch betrachten müssen. Das Internet und die Technik entwickelt sich so rasant, dass ich glaube, es gibt nur ganz, ganz wenige Leute auf der Welt, die da sagen können: Für mich ist das kein Neuland. Die sitzen vielleicht in der Entwicklungsabteilung von Google oder sonst wo oder bei anderen großen Firmen.
    Steiner: Oder bei der NSA?
    Binninger: Möglicherweise auch dort. Technischer Sachverstand ist ja vor allen Dingen dafür gefragt. Also deshalb sollte man da auch nicht überheblich sein und so tun, als ob für einen das Internet und seine rasante Entwicklung kein Neuland wäre. Das, was heute für uns vielleicht schon einigermaßen verständlich ist und handhabbar und was wir durchdringen, kann morgen schon eben das Alte sein. Also deshalb, glaube ich, ist "Neuland" schon ein Begriff, den man durchaus wählen kann. Digital hat es die Politik verschlafen. Wir haben dem Thema sicher nicht die Bedeutung beigemessen. Das ist ein Querschnittsthema, das heißt, es eignet sich vorzüglich zum Streit zwischen Ressorts. Sie kriegen es nicht eindeutig zugewiesen. Wir haben jetzt drei Schwerpunktressorts, die das machen: Verkehr, Wirtschaft und Innen. Das halte ich auch für eine sinnvolle Lösung. Aber es liegt ja nicht nur allein an der Politik.
    Die Innovationstreiber beim ganzen Thema "Digital" kommen aus der Unternehmenskultur, aus den Start-ups und deren mehr. Und da hinken wir vielleicht ein bisschen hinterher. Aber was wir empfehlen werden, geht sicher in die Richtung, dass wir sagen, vielleicht auch sogar mit einer Aussage: Wo endet unsere Möglichkeit? Wie können wir den Schutz unserer Daten und damit den Schutz unserer Privatsphäre verbessern? Was ist technisch möglich? Was ist möglich beim Verhalten des Nutzers? Was kann der Gesetzgeber tun? Und wo kommen wir an unsere Grenzen? Also die Stichworte "nationales Routing für rein innerdeutschen E-Mailverkehr", geht so was? Und wenn es geht – und warum nicht –, dann kann man es machen. Aber auch die Botschaft, dass die Politik nicht den Eindruck erwecken kann: Wir sind bei dieser fortschreitenden Vernetzung in der Lage, hundertprozentigen Schutz der Daten im Netz zu gewährleisten – das wird nie gehen.
    Steiner: Ein Hinweis, der immer wieder kommt, ist der auf mehr Verschlüsselung. Wenn wir uns vorstellen, es gäbe tatsächlich wirklich sichere Kommunikation im Netz, dann hätten diejenigen, um die Sie sich ja auch in anderer Funktion im Parlamentarischen Kontrollgremium kümmern müssen, ja doch auch selbst ein Problem? Denn wenn es wirklich sicher ist vor NSA und GCHQ, dann wäre es ja auch sicher eben vor zum einen den deutschen Nachrichtendienst, aber auch vor normalen Polizeibehörden und deren Arbeit. Wie weit darf man denn dort gehen, um eben möglichst hohe Sicherheitsstandards zu erreichen?
    Binninger: Das ist ja kein neues Problem. Wir haben das bei der Telefonüberwachung schon immer gehabt, dass uns die Sicherheitsbehörden sagen: Es wird zunehmend da auch über verschlüsselte und gesicherte Kanäle gesprochen – und wenn wir da nicht davor kommen, haben wir im Prinzip schon verloren und erfahren eben nichts mehr. Also das ist ein Problem, dass wir sowieso schon haben, das wir mit berücksichtigen müssen. Gleichwohl heißt das für uns trotz allem auch im Rechtsstaat, dass der Schutz der Bürger vor Überwachung und der Bevölkerung vor unzulässiger und massenhafter Überwachung auch an erster Stelle steht. Und das muss auch die Botschaft sein.
    Dass man hier im Spannungsverhältnis auch die Sicherheitsinteressen im Blick haben muss, ist überhaupt keine Frage. Aber diese Debatte müssen wir führen und ich glaube auch, dass wir bei der Art der Überwachung, die Dienste machen, stärker wieder zurückkommen müssen zu dem personenbezogenen Ansatz. Also nicht einfach Berge an Daten sammeln und hoffen, aus diesem Berg wird sich die heiße Spur generieren, sondern die Verdächtigen, die wir haben, ihre Kontaktpersonen, von denen möchte ich wissen, wo sie sich bewegen, wie sie kommunizieren, wohin das Geld fließt. Das ist eigentlich, glaube ich, der erfolgversprechendere Ansatz.
    Steiner: Und das heißt, das wäre gegebenenfalls auch der Preis, den man zahlen müsste, um die Sicherheit der Bevölkerung insgesamt zu erhöhen?
    Binninger: Der Rechtsstaat muss schon immer damit leben, dass Dinge, die dem Schutz der Bürger dienen, natürlich von Straftätern auch zum Schutz genutzt werden, um ihre Straftaten zu begehen. Das hat schon im 19./20. Jahrhundert begonnen mit dem Fingerabdruck nehmen – wenn dann jemand Handschuhe trägt, können sie die Handschuhe nicht verbieten. Also insofern muss der Rechtsstaat da auch Wege finden. Aber ich glaube, dass wenn wir ein Mehr an Schutz erreichen, wenn wir mehr Verschlüsselung haben im Bereich der normalen E-Mail, kein so sorgloses Preisgeben von persönlichen Daten in sozialen Netzwerken, klare Bedingungen, wann dürfen Daten weitergegeben werden, auch von Unternehmen, mehr Rechte für den Nutzer, dass wir da noch nicht auf dem dünnen Eis sind, wo wir die Arbeit der Sicherheitsbehörden lahmlegen.
    Steiner: Herr Binninger, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Binninger: Bitte schön.