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NSU-Prozess
Ein Urteil, viele Fragen - und eine Revision

Nach mehr als fünf Jahren ist im NSU-Prozess in München ein Urteil gefallen: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe muss wegen zehnfachen Mordes lebenslang hinter Gitter. Ihre Verteidiger wollen das Urteil vom Bundesgerichtshof überprüfen lassen. Doch auch die Nebenkläger sind nicht zufrieden.

Von Lisa Weiß |
    Die Angeklagte Beate Zschäpe steht neben ihrem Anwalt Mathias Grasel vor dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl (3.v.r.) und den Vertretern des Staatsschutzsenats Gabriele Feistkorn (l), Peter Lang (2.v.l.) und Konstantin Kuchenbauer (2.v.r).
    Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München sind die Urteile gesprochen worden - schon jetzt gibt es viel Kritik (dpa / Peter Kneffel)
    Mehr als fünf Jahre Prozessdauer, mehr als 430 Verhandlungstage, mehrere hundert Zeugen - und jetzt ein Urteil. Eines, das Beate Zschäpe lebenslanger Haft bringt, das die besondere Schwere ihrer Schuld feststellt, das die anderen Angeklagten zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und zehn Jahren verurteilt. Und mit dem die Bundesanwaltschaft sehr zufrieden ist. Bundesanwalt Herbert Diemer:
    "Von ganz zentraler Bedeutung ist für uns, dass der Senat in allen entscheidenden Punkten der Anklage gefolgt ist. Das ist insbesondere die Mittäterschaft der Angeklagten Zschäpe, die Einschätzung des NSU als einer aus drei Personen bestehenden terroristischen Vereinigung, aber auch die Begehung der Taten, die Abklärung der Tatorte und die Auswahl der Opfer."
    Strafen für Holger G. und André E. milder als erwartet
    Auch die Verteidiger von Holger G. sagen: Ihr Mandant dürfte mit dem Urteil leben können. Holger G. ist wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft verurteilt worden, er hatte offenbar eine höhere Strafe befürchtet. Und auch André E. dürfte mehr als zufrieden sein: Er wurde wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, aber nicht wegen Beihilfe zum versuchten Mord. Deshalb blieb die Strafe weit unter den Forderungen der Bundesanwaltschaft. Seine Untersuchungshaft wurde daher aufgehoben, er ging als freier Mann aus dem Gerichtsgebäude.
    Unzufrieden sind dagegen die Nebenkläger - zum Beispiel Kerim Simsek, Sohn von NSU-Opfer Enver Simsek.
    "Ich bin zwar zufrieden, was Zschäpe bekommen hat, aber alle anderen kamen einfach viel zu kurz. Und das ist halt ein bissl ärgerlich, aber was soll man machen. Wir haben gedacht, ok, alle kriegen jetzt etwas mehr als die Staatsanwaltschaft verlangt hat, aber das Gegenteil ist der Fall. Ja, wir müssen das jetzt mal richtig sacken lassen, dieses Urteil, das ist noch alles sehr frisch."
    Leid der Familie wurde nicht thematisiert
    Und seine Anwältin Seday Basay ist der Meinung:
    "Zugunsten und zu Lasten der Angeklagten wurde alles berücksichtigt, aber das Leid der Familien wurde überhaupt nicht thematisiert, sie kamen gar nicht vor, also scheinbar hat das Gericht oder der Senat gar nicht registriert, was diese Taten mit den Familien gemacht haben und darauf ist der Vorsitzende in seiner Urteilsbegründung überhaupt nicht eingegangen."
    Richter Götzl ließ in der Begründung durchblicken, dass für ihn der NSU nur aus drei Personen bestand - aus Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Das hat die Nebenkläger verärgert - sie hatten sich mehr Aufklärung über Hintergründe, über Hintermänner erhofft. Doch ob der Prozess dafür der richtige Ort sein kann, das ist umstritten. Viele Zuschauer sind der Meinung: Es hat am Aufklärungswillen gefehlt, unter anderem bei der Frage nach der Rolle des Verfassungsschutzes.
    "Ich find das Urteil ist ein Skandal, weil ganz viele Leute, die auch vor Gericht gehört hätten, nicht vor Gericht standen."
    "Das ist ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen, der Betroffenen, es wird auch nicht weitergehen, die Ermittlungen werden nicht weitergehen und es muss weitergehen, es muss einfach weiter ne große Öffentlichkeit geben."
    "Gerade der Netzwerkcharakter des NSU wird hier völlig außer acht gelassen und das lässt auf nichts Gutes hoffen, für die weiteren Gerichtsverfahren."
    Denn unter anderem gegen die Frau von André E und gegen unbekannt sind noch Gerichtsverfahren anhängig. Viele Nebenkläger befürchten, dass die Verfahren im Sande verlaufen, dass mit diesem Urteil gegen Zschäpe und die anderen Angeklagten für die Justiz das Kapitel NSU erledigt ist.
    Anwälte von Zschäpe gehen in Revision
    Doch für die Anwälte von Beate Zschäpe ist es das noch nicht. Sie sind unzufrieden mit dem Urteil. Mathias Grasel:
    "Da ich das Urteil für falsch halte, werde ich selbstverständlich Revision einlegen, da Frau Zschäpe nach meiner Auffassung hier als Stellvertreterin für etwas verurteilt wurde, was sie selbst weder gewollt noch getan hat. Und der Bundesgerichtshof wird dieses fehlerhafte Urteil aufheben."
    Vor dem Bundesgerichtshof wird nicht der gesamte Prozess neu aufgerollt, das Urteil wird nur auf rechtliche Fehler geprüft. Das Kapitel NSU ist auch nach über fünf Jahren und über 430 Verhandlungstagen keineswegs abgeschlossen.