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Ökonom Sinn für Firmenbeteiligung von Mitarbeitern

Der Wirtschaftsforscher Hans-Werner Sinn hält Mitarbeiterbeteiligungen an Unternehmen für überfällig. Allerdings wäre es nicht sinnvoll, wenn der Staat das Geld der Arbeitnehmer verwalten würde, sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts. "Ein Hund legt sich keinen Wurstvorrat an", betonte Sinn.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 29.06.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Gute Nachrichten kamen gestern aus Nürnberg: Die Arbeitslosenquote geht weiter zurück und lag im Juni bei nunmehr nur noch 8,8 Prozent. Das sind über 700.000 Arbeitslose weniger als im vergangenen Jahr. Zugleich häuft die Bundesagentur für Arbeit einen Überschuss auf, der es in sich hat. Auf 16 Milliarden Euro soll er sich nach einer Prognose bis zum Ende des Jahres belaufen.

    Doch was damit anstellen? Soll der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung weiter gesenkt werden, als es ohnehin schon geplant ist, oder soll das Geld genommen werden, um aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben wie beim so genannten kommunalen Kombilohn-Modell, von der SPD gefordert?

    Unter anderem darüber sprechen wir jetzt mit Professor Hans-Werner Sinn. Er ist der Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Hans-Werner Sinn: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Professor Sinn, 16 Milliarden Euro. Nun kommen die ersten Forderungen von Union und FDP, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung weiter zu senken als ohnehin schon geplant. Wäre das ein richtiger Schritt?

    Sinn: Nein. Das ist, glaube ich, nicht richtig, denn man muss ja sehen: wir haben jetzt einen Konjunkturaufschwung. Deswegen geht die Arbeitslosigkeit zurück. Sie geht im nächsten Abschwung der Konjunktur auch wieder hoch, und dann fehlt das Geld. Das ist völlig falsch. Dieses Geld muss jetzt auf die hohe Kante gelegt werden, damit man in anderen Zeiten, wo man es wieder braucht, zugreifen kann. Das Geld gehört Herrn Steinbrück. Der soll die Schulden tilgen!

    Heckmann: Union und FDP argumentieren, mit jedem Prozentpunkt, mit dem die Arbeitslosenversicherung gesenkt wird, würden neue Arbeitsplätze entstehen.

    Sinn: Ja, natürlich ist das so. Aber wir dürfen jetzt trotzdem nicht das Schuldentilgen vergessen. Man kann nur senken in dem Maß, wie man das langfristig auch in schlechten Zeiten verkraften kann. Das muss man im Blick haben. Man darf nicht aus der jetzigen guten Konjunktursituation schließen, dass das nun immer so bleibt. Irgendwie sehe ich ein Erkenntnisproblem in Deutschland. Die Menschen begreifen nicht, dass es eine Konjunktur gibt. Vor drei Jahren hatten wir eine Flaute. Dann war man zu Tode betrübt und dachte, die Wirtschaft wächst nie mehr. Und jetzt haben wir einen Boom. Jetzt denkt man, sie wächst auf Ewigkeit. Das geht im fünfjährigen Rhythmus hin und her mit unserer Psyche. So ist es ja nun mal nicht.

    Heckmann: Herr Sinn, Sie sagen, das Geld gehört Peer Steinbrück, also in den Bundeshaushalt zur Tilgung der Schulden. Vizekanzler Müntefering sagt, das Geld gehört der Bundesagentur und soll für die Qualifizierung junger Arbeitsloser verwendet werden.

    Sinn: Ja. Dafür spricht natürlich auch was. Das ist aber wirklich doch unabhängig von der Frage, ob dieses Geld da ist. Dass man Maßnahmen ergreifen muss, um junge Arbeitslose und überhaupt Arbeitslose zu vermeiden, das ist ja richtig. Nur das muss ich als langfristig strukturelle Maßnahme anlegen. Das ist völlig unabhängig von der Frage, ob da jetzt Geld übrig ist oder nicht.

    Richtig ist, dass man Programme vielleicht auflegen sollte, um Arbeitslose in kommunale Beschäftigung zu bringen. Die Kommunen, würde ich sagen, sollten dann aber nicht die Leute bei sich selber beschäftigen, sondern sie sollten über Zeitarbeitsfirmen zurückgeschleust werden in die Privatwirtschaft. So sind entsprechende Vorschläge, die das Ifo-Institut dazu gemacht hat. Und dann sollte man das dauerhaft machen. Das sollte man aber dann tun im Rahmen einer Überholung des Hartz-IV-Programms. Das Modell der aktivierenden Sozialhilfe, das hier vorgeschlagen wurde, besteht ja aus drei Elementen. Der Hinzuverdienst bei Hartz IV wird verbessert. Der Eckregelsatz wird ein bisschen gesenkt, damit das für den Staat nicht teurer wird. Und dann wird Jedermann die Möglichkeit gegeben, wenn er auch in der Privatwirtschaft keinen Job findet, zu seiner Kommune zu gehen. Er kriegt das Arbeitslosengeld in Höhe des heutigen Betrages weiter, muss aber dafür acht Stunden am Tag für die Kommune arbeiten, so dass letztlich die Idee ist der Staat hilft, aber er hilft den Menschen während sie arbeiten, statt wie heute unter der Bedingung, dass sie eben der Arbeit fern bleiben. Dann wird ein Schuh daraus. Diese Einzelmaßnahmen für sich genommen, die begeistern mich nicht.

    Heckmann: Vizekanzler Müntefering hat vor wenigen Tagen dieses kommunale Kombilohn-Modell vorgeschlagen. Sie haben es eben gerade auch schon selbst angesprochen. In Kommunen mit einer Arbeitslosigkeit von über 15 Prozent sollen Arbeitslose in gemeinnützige Jobs vermittelt werden. Arbeitgeberpräsident Hundt sagt, das vernichtet Arbeitsplätze. Sehen Sie nicht auch diese Gefahr?

    Sinn: Wenn jetzt die Kommunen etwas tun, was in Konkurrenz tritt zur Privatwirtschaft, dann ist diese Möglichkeit gegeben. Aber ich würde sagen, die Kommunen sollten diese Arbeitskräfte zurückschleusen in die Privatwirtschaft und dann werden keine Arbeitsplätze vernichtet, sondern geschaffen. Warum sagen wir nicht, dass, wer arbeitslos ist und vom Staat Geld kriegt, dafür dann auch seine Arbeitsleistung erbringen muss? Der steht der Kommune zur Verfügung. Die Kommune darf diese Menschen unter Verwendung von Zeitarbeitsfirmen der Privatwirtschaft anbieten. Das sind also Zeitarbeitskontrakte, die man eingehen muss als Arbeitnehmer als bislang Arbeitsloser und als neuer Arbeitnehmer in diesen Zeitarbeitsfirmen. Das wäre dann ein sinnvolles Modell, und das vernichtet keine Arbeitsplätze; das würde welche schaffen. Nur wenn die Kommunen dann das gleiche tun mit diesen Leuten, was die Handwerker auch tun könnten, dann ist das problematisch.

    Heckmann: Herr Sinn, jetzt wird in Deutschland über einen Fachkräftemangel diskutiert, der mittlerweile herrscht oder sich zumindest abzeichnet. Die OECD kam vor wenigen Tagen mit einer entsprechenden Studie, und die Bundesagentur hat auch die Tendenz bestätigt. Die Frage ist, was ist dagegen zu unternehmen? Die SPD und die Gewerkschaften fordern, mehr für die Ausbildung hier in Deutschland zu tun. Bundesbildungsministerin Schavan fordert, die Hürden für ausländische Spitzenkräfte zu senken, hier nach Deutschland zu kommen. Und auf der anderen Seite: Unionsfraktionschef Kauder meinte Seite gestern, dass er nicht wolle, dass es hier so zugehe wie in vielen deutschen Fußball-Clubs: zu Hause wenig ausbilden und die guten Spieler im Ausland einkaufen. Was also ist die Lösung, das eine tun ohne das andere zu lassen?

    Sinn: Dieser Fachkräftemangel wird, wenn man jetzt nichts tut, zu einer weiteren Ausspreizung der Löhne zwischen den Qualifizierten und den weniger Qualifizierten führen. Das ist eine Bewegung, die weltweit ja schon seit Jahrzehnten zu beobachten ist. Das sind eben die Kräfte der Globalisierung.

    Das hat auch positive Wirkungen. Das führt nämlich dazu, dass die Abwanderung von Fachkräften aus Deutschland in andere Länder, die wir in den letzten Jahren in hohem Maße beobachten mussten, so nicht mehr stattfindet, dass die Leute dann eben nicht mehr nach Amerika oder Kanada auswandern, sondern hier bleiben. Wir hatten ja das Phänomen, dass die weniger Qualifizierten vom deutschen Sozialstaat angezogen wurden und die hoch Qualifizierten, weil man anderswo mehr verdienen konnte, ins Ausland gingen. Wenn das sich jetzt normalisiert, seien wir doch froh darüber.

    Heckmann: Inwieweit trifft die Kritik, dass die Unternehmen selbst schuld seien an dieser Situation, weil sie eben wenig ausbilden und weil sie auf junge und gleichzeitig erfahrene Mitarbeiter setzen, die es aber so nicht geben kann?

    Sinn: Ja, da ist ein bisschen was dran. Aber die Kritik gilt eigentlich eher dem Staat, der über Frühverrentungsmodelle Anreize geschaffen hat, die Fachkräfte frühzeitig herauszukomplementieren aus den Unternehmen und dann eben den Unternehmern einen Anreiz zu geben, stattdessen jüngere Leute einzustellen. Heute fehlen uns genau diese Fachkräfte, die Herr Blüm und seine Nachfolger praktisch schon im frühen Alter in die Rente komplementiert haben. Das war eine völlig falsche und dumme Politik.

    Heckmann: Wir wollen noch kurz über die Mitarbeiterbeteiligung sprechen, die sich Union und SPD auf die Fahnen gesprochen haben, Herr Sinn. Eine nachvollziehbare Idee, wenn man sich die Einkommensentwicklung anguckt. Auf der einen Seite: Die Unternehmens- und Vermögenseinkommen sind gestiegen um 32 Prozent, die Löhne und Gehälter aber nur um 2,1 Prozent. Also insofern eine gute Idee?

    Sinn: Ja, ich glaube auch. In der Zeit der Globalisierung, wo nun die Arbeitslöhne wegen der Konkurrenz der Niedriglöhne aus den ex-kommunistischen Ländern permanent unter Druck kommen und die Kapitaleinkommen wachsen, weil Kapital halt sehr knapp ist und begehrt ist in der Welt, ist es sinnvoll, den Arbeitnehmern in Deutschland ein zweites Einkommensstandbein zu verschaffen. Freilich hätte das schon viel früher geschehen müssen. Wir hatten ja in den 60er Jahren mal diese Diskussion, und damals haben sich die Gewerkschaften für die Mitbestimmung statt für die Mitbeteiligung ausgesprochen, was ein großer Fehler war.

    Heckmann: Wäre es dabei wichtig, die Einlagen im Insolvenzfall zu schützen, wie es die SPD fordert?

    Sinn: Ja. Das muss nicht eine Eins-zu-eins-Beteiligung an dem eigenen Unternehmen sein. Ich würde sagen, der größere Teil des Vermögens, das die Arbeitnehmer bilden, sollte im eigenen Unternehmen stehen, damit auch entsprechende Anreize da sind, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren. Damit ist natürlich dann auch das Risiko verbunden. Ein anderer Teil sollte risikogeschützt gestreut sein. Wir haben ja in vielen Ländern solche Arbeitnehmerbeteiligungen mit entsprechenden privaten Fondsmodellen. Wovon ich nichts halte ist, dass der Staat sich dieser Sache annimmt und das Geld verwaltet. Das wird nichts, denn da wird vorzeitig dann zugegriffen und schließlich, wenn das Geld gebraucht wird, ist es weg. Ein Hund legt sich keinen Wurstvorrat an.

    Heckmann: Professor Hans-Werner Sinn war das, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung in München. Besten Dank, Herr Sinn, für das Gespräch.

    Sinn: Gerne.