Beginnen wir mit dem Regenwurm. Er ist wohl eines der bekanntesten Tiere im Erdboden. Wenn es ihn nicht gäbe, würde das kostbare Erdreich, auf dem sich der Mensch mit Wohnhäusern und Gewerbegebieten immer mehr ausbreitet und das immer mehr private Investoren anlockt, so gar nicht existieren. Doch der Regenwurm ist nicht allein. Unter unseren Füßen gibt es mehr Arten als bisher angenommen. Sie sorgen nicht nur für ein einzigartiges Ökosystem, sondern können auch bei globalen Problemen helfen. Daher fordern immer mehr Menschen, bewusster und nachhaltiger mit Böden umzugehen.
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Wie groß ist die Biodiversität im Erdboden?
Bisher hatte man angenommen, dass rund 25 Prozent aller bekannten Arten im Erdboden leben. Doch darüber hinaus gibt es laut Schweizer Forschern in Böden etliche weitere Spezies, die bisher nicht in die Zählung miteingeflossen sind. Demnach sollen 59 Prozent aller Arten im Boden leben.
Ein Team der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft, der Universität Zürich und der landwirtschaftlichen Versuchsanstalt Agroscope hat die weltweite Literatur zur Artenvielfalt im Boden untersucht und Datensätze neu ausgewertet. Ihr Fazit im Fachjournal PNAS: Der Erdboden ist das artenreichste Ökosystem der Erde.
Das Forscherteam verweist zum Beispiel auf Springschwänze. Die waren irrtümlich zu den Insekten gezählt worden. Stattdessen tragen sie im Boden zur Humusbildung bei. Viele von ihnen haben eine Sprunggabel am Körper und können sich so bei nahender Gefahr sprunghaft aus dem Staub machen.
Die Forscher betonen auch, dass die Datenlage zur Artenvielfalt im Boden noch lückenhaft ist: „Es ist nicht so einfach, im Boden zu forschen. Dort ist es dunkel, vieles ist unsichtbar“, so Marcel van der Heijden von der Landwirtschaftlichen Versuchsanstalt Agroscope. Bei vielen Organismen sei noch nicht klar, wie viele Arten es überhaupt gibt.
Welche Arten leben im Erdboden?
Pilze sind die Gruppe mit dem höchsten Anteil an im Boden lebenden Arten. 90 Prozent aller Pilze leben im Erdboden. Es folgen Pflanzen mit ihren Wurzeln mit 86 Prozent Anteil. „Fast alle Nährstoffe, die wir essen, werden von Bakterien und Pilzen zur Verfügung gestellt", erläutert Forscher Marcel van der Heijden. Bakterien und Pilze seien sehr wichtig für den Stoffkreislauf in der Erde und damit für den Ernteerfolg.
Regenwürmer und Weichtiere wie Schnecken kommen auf 20 Prozent. Hinzu kommen kleinere Organismen wie Viren, Einzeller und Prokaryoten.
Ist die biologische Vielfalt im Boden bedroht?
Viele Böden stehen wegen intensiver landwirtschaftlicher Nutzung, des Klimawandels und invasiver Arten erheblich unter Druck, unterstreichen die Schweizer Forschenden. Doch sei unklar, ob es im Boden ein Artensterben wie über der Erde gibt, sagt Marcel van der Heijden von der Landwirtschaftlichen Versuchsanstalt Agroscope. Wichtig sei es, nicht nur auf Pflanzen und Tiere zu schauen, sondern auch auf Bakterien und Pilze im Boden.
Was plant die EU-Kommission beim Bodenschutz?
Die EU-Kommission will die Böden in der EU bis 2050 in einen gesunden Zustand versetzen, um Risiken für Menschen und Umwelt zu vermeiden. Ein entsprechendes Gesetz, das erste zu Böden, wurde Anfang Juli 2023 von Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius vorgestellt. Sinkevičius beklagt, dass jedes Jahr eine Milliarde Tonnen Boden der Erosion zum Opfer fällt.
Das geplante Gesetz soll die EU-Mitgliedsstaaten verpflichten, Daten über den Zustand der Böden zu erheben, zum Beispiel zur Versalzung oder zur Konzentration von Schwermetallen und Chemikalien. Darauf aufbauend sollen die Länder eine Bewertung der Bodengesundheit erstellen.
Der Gesetzentwurf enthält eine Definition der Bodengesundheit, aber keine zusätzlichen Maßnahmen, um sie zu erhalten oder zu verbessern. Bereits 2008 scheiterte der Vorschlag eines EU-weiten Bodenschutzgesetzes am Widerstand des damaligen deutschen Umweltministers Sigmar Gabriel (SPD) sowie des Deutschen Bauernverbandes.
Dass die Europäische Union Nachholbedarf beim Bodenschutz hat, unterstreicht der Europäische Rechnungshof. Zwei Drittel der Böden in der EU seien trotz großer finanzieller Unterstützung in einem schlechten Zustand. 85 Milliarden Euro - rund ein Fünftel des aktuellen deutschen Bundeshaushalts - seien zwischen 2014 und 2020 für nachhaltige Bodenbewirtschaftung ausgegeben worden. Der Rechnungshof empfiehlt, Fördermittel besser zu überwachen und mehr Daten zur Bodengesundheit zu erheben.
Warum ist der Erdboden für den Klimaschutz wichtig?
In gesunden Böden können große Mengen Kohlenstoff aus der Atmosphäre gespeichert werden. Deshalb sind Böden Teil des EU-Plans "Fit für 55". Mit diesem will die EU den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 55 Prozent senken - verglichen mit dem Wert von 1990.
Dafür setzt die EU auch auf Böden und Wälder, die als sogenannte Senken Kohlenstoff speichern. Erreichen will sie das mit einer Verordnung namens LuLuCF. Die Landnutzung und die Forstwirtschaft sollen insgesamt 15 Prozent mehr CO2 aufnehmen als derzeit. Das funktioniert aber nur, wenn die Böden noch nicht erodiert sind.
Um die Ziele zu erreichen, setzt die EU zudem auf Carbon Farming. Das bedeutet, dass mehr Kohlenstoff in Pflanzen und Böden gebunden wird. Das Problem dabei ist bisher, wie mögliche Erfolge gemessen sowie diese belohnt werden können.
Die EU-Kommission will Gutschriften für CO2-Entnahme vergeben, mit denen gehandelt werden kann. Einige Unternehmen arbeiten bereits daran, Böden zu verbessern, indem sie den Humusgehalt ihres Ackers steigern.
Der Ausverkauf von Boden in Ostdeutschland
Ein wichtiger Umweltaspekt ist nicht nur der Schutz der Böden, sondern auch die Frage: Wem gehören und wer bewirtschaftet eigentlich die ganzen Flächen? So wird in den ostdeutschen Bundesländern immer mehr Ackerland und Wald von privaten Finanzinvestoren gekauft. Flächen werden für Kleinbauern und finanzschwache Forstbetriebe damit zunehmend unbezahlbar.
In Sachsen-Anhalt haben sich so in den letzten zehn bis 15 Jahren die Bodenpreise verdreifacht. Eine Gesetzeslücke macht den Kauf großer Flächen auch für branchenferne Investoren lukrativ. So hat sich 2019 die Aldi-Stiftung in Zeitz groß eingekauft und eine Agrargenossenschaft mit 2000 Hektar Land übernommen. Davon sind jetzt rund 800 Hektar direktes Eigentum der Stiftung. Aktueller Marktwert: circa 24 Millionen Euro. Seit Jahren bemüht sich das Landesparlament von Sachsen-Anhalt um eine Gesetzesreform, kommt dabei aber nicht wirksam voran.
Bauen auf Kosten der Natur
Ein weiteres dringendes Thema: der Neubau. Mit dem benötigten Bau neuer Wohnungen werden in Städten aber auch immer mehr Grünflächen mit Einfamilienhäusern an den Rändern bebaut. Der Fachbegriff dafür: Zersiedlung. Wenige Einwohner und Einwohnerinnen nehmen viel Platz in Anspruch. Und das hat Folgen: So werde sehr viel Fläche verbraucht, die der Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehe und Lebensräume für Pflanzen und Tiere werde reduziert, sagt Tobias Krüger vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung in Dresden. Zudem würden individuelle Wohnwünsche erhöhte Kosten für die Allgemeinheit durch die benötigte Infrastruktur erzeugen.
Rund 40 Prozent der CO2-Emissionen gehen allein auf den Bau und den Betrieb von Gebäuden zurück. In Deutschland werden täglich 55 Hektar natürlicher Boden für Wohnbauflächen, Straßen sowie Gewerbe- und Industriegebiete versiegelt. Das entspricht einer Fläche von 55 Fußballfeldern pro Tag. Um das zu ändern, fordern die Architects for Future, ein Bündnis, das sich für einen klimaverträglichen Bausektor einsetzt, ein Wende in der Bodenpolitik. Kommunen müssten mehr Einfluss bekommen, um innerhalb der Orte das besser zu nutzen, was bereits da ist. Das heißt, dass z. B. Leerstand besser reguliert werden kann und Gebäude einfacher umgebaut werden können.
Carolin Born, Arndt Reuning, Isabel Röder, Jakob Mayr, Niklas Ottersbach, Max Fallert, dpa, kna, nm, jde