
Begonnen haben die Diskussionen darüber, ob wir in einem Erdzeitalter leben, das hauptsächlich vom Menschen beeinflusst wird, spätestens im Jahr 2000, als der Nobelpreisträger und Atmosphärenchemiker Paul Crutzen sich in einer Rede dafür aussprach, die Epoche des Anthropozäns einzuläuten.
Was heißt Anthropozän?
Der Begriff Anthropozän setzt sich zusammen aus dem altgriechischen Wort "Ánthropos" für "Mensch" und der Endung "-zän", die von "kainós" abgeleitet ist und "neu" bedeutet. 1873 stellte der italienische Geologe Antonio Stoppani erstmals einen wachsenden Einfluss des Menschen auf die Umwelt fest und prägte den Begriff „anthropozoische Ära“ oder auch „Anthropozoikum“. Das sollte zeigen, dass es ein neues Zeitalter in der Geschichte der Erde gibt, in dem der Mensch zum entscheidenden Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist.
Wer legt fest, wann ein Erdzeitalter endet oder anfängt?
Zuständig für die Einteilung der Erdgeschichte in Epochen und Zeitalter ist die Internationale Kommission für Stratigraphie. Aktuell leben wir demnach in der „Erdneuzeit“, in der Periode "Quartiär" und der Epoche "Holozän", die vor etwa 11.700 Jahren begann. Paul Crutzen regte an, das Holozän für beendet zu erklären und das Anthropozän einzuläuten. Die Internationale Kommission für Stratigraphie setzte zu dieser Frage 2009 eine Arbeitsgruppe ein, die nun einen Vorschlag vorgelegt hat, wann das Anthropozän begonnen hat. Ob sie mit ihrer Arbeit auch die anderen Gremien der Kommission für Stratigraphie überzeugen kann, muss sich noch zeigen. Das wird aber frühestens im Jahr 2024 geschehen.
Woran wird das neue Erdzeitalter festgemacht?
Anhand von Sedimentproben unter anderem aus dem Crawford See im Süden Kanadas kamen die Geologen jetzt zu dem Schluss, dass das Zeitalter des Menschen, das Anthroprozän, 1950 begonnen habe. Sie sprechen deshalb auch vom Crawfordium als neuer Epoche.
Zunächst sei der Beginn der Industrialisierung vor rund 200 Jahren der Favorit gewesen, berichtet Colin Waters, Leiter der Arbeitsgruppe zum Anthropozän und Geologe an der University of Leicester. Denn Paul Crutzen hatte vorgeschlagen, die neue Epoche mit der Erfindung der Dampfmaschine zu verbinden. Aber es sei sehr schwierig, überall Beweise für eine Dampfmaschine in den Sedimenten zu finden, sagt Waters. „Wenn man in Nordeuropa ansässig ist, dann sieht man die ersten Anzeichen für die industrielle Revolution zwar bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Aber in großen Teilen Asiens oder Australasiens ist das nicht der Fall. Es dauerte bis etwa 2014, bis wir zu dem Schluss kamen, dass der Punkt, an dem man auf dem gesamten Planeten eine synchrone Veränderung feststellt, in der Mitte des 20. Jahrhunderts liegt.“
Plutonium aus oberirdischen Atomtests als Marker
Das Jahr 1950 als Startpunkt wurde schließlich gewählt, weil hier ein sehr präziser geochemischer Marker, der weltweit vorhanden ist, einen Peak erreicht: Das Plutonium aus den oberirdischen Atomtests. Doch das sei bei Weitem nicht das einzige Kennzeichen des Anthropozäns, sagt Waters. Dem Wissenschaftler zufolge fanden sich an allen zwölf Orten, die als mögliche Referenzpunkte in den vergangenen Jahren untersucht wurden, viele weitere Spuren der sogenannten „Großen Beschleunigung“ – der zunehmenden Belastung des Erdsystems durch den Menschen.
„Der steigende Verbrauch fossiler Brennstoffe, der verstärkte Einsatz von Stickstoffdüngern, der zunehmende globale Handel, die Ausbreitung der Arten über den Planeten und die Homogenisierung der Lebewesen – all diese Dinge ändern sich zu diesem Zeitpunkt sehr schnell“, sagt Waters. Gerade weil sie diese Prozesse im Boden der Ostsee, in einem chinesischen Vulkankrater, einer japanischen Bucht und auch in einer Ausgrabungsstätte in Wien gefunden hätten, seien die Forscher der Arbeitsgruppe vom Konzept „Anthropozän“ überzeugt.
Der Mensch als geologische Kraft
Es sei für die Geologie in der Tat sehr ungewöhnlich, dass man ein Zeitalter in so kurzer Zeit feststelle, also den Übergang vom Holozän zum Anthropozän, sagt der Wissenschaftshistoriker Jürgen Renn, Direktor des Max-Planck-Instituts für Geoanthropologie und auch Mitglied dieser Arbeitsgruppe. Geologie sei eine Wissenschaft, die sich normalerweise mit Tausenden, Hunderttausenden, Millionen von Jahren und entsprechend großen Veränderungen beschäftige, sagt Renn. Wenn jetzt ein neues Zeitalter festgestellt werde, dann sei das "ein gewaltiges Signal für die Tatsache, dass der Mensch jetzt selber zu einer geologischen Kraft geworden ist und dass er diese Gestaltungsmacht hat, die auch mit großen Gefahren für seine eigenen Lebensbedingungen verbunden ist."
Eine neue Perspektive auf die Welt
Erdgeschichte und Menschheitsgeschichte seien jetzt gar nicht mehr so einfach trennbar, das eröffne eine neue Perspektive auf die Welt, in der wir leben, sagt Renn. Der Planet sei so stark von Menschen umgestaltet worden, dass sich die Grenzlinie zwischen Natur und Kultur auch ein Stück weit verliere.
„Mit diesem einen Wort Anthropozän erfasst man schlagartig, dass wir in einer neuen Zeit leben, in der Menschen für ihre gesamte Umwelt Verantwortung haben als globale Menschheit. Das ist die Größenordnung, über die wir sprechen. Ob das nun ein gutes, ein schönes Anthropozän werden kann oder ein Anthropozän, das nur synonym ist für multiple Krisen, das hängt letztlich an uns. Wir haben immer noch Gestaltungsmacht.“
Tomma Schröder, Jenny Genzmer, Vera Linß, gue