
In Gries am Brenner wirkt alles auf den ersten Blick ruhig. Oberhalb des 1.000 Einwohner-Örtchens ziehen die Lasterkolonnen auf der Autobahnbrücke entlang. Unten am Fluss mäht ein Mann bedächtig seinen Rasen. Im örtlichen Supermarkt treffen sich die Dorfbewohner zum Gespräch – ihr Thema: die wieder auftauchenden Gruppen von fremden jungen Männern:
"Auf der Straße und auch auf den Bahngleisen sieht man immer wieder Leute. Wo die herkommen, wo die hingehen, weiß ich nicht. Es ist verstärktes Polizeiaufkommen da. Ich war gestern am Brenner oben. Ja, ich fühle mich eigentlich unsicher."
Von ähnlichen Erfahrungen erzählen die meisten Bewohner der ÖVP-dominierten Region. Man habe gedacht, die Flüchtlingswelle sei vorbei mit dem Türkei-Abkommen, sagen sie. Die junge Backwarenverkäuferin meidet derzeit Spaziergänge mit ihrem Kind außerhalb des Dorfzentrums.
"Die Leute sind überall, in der Nähe vom Bahngleis, wenn ich da mit dem Kleinen spazieren gehe, zwei von dreimal kommt mir da jemand entgegen."
"Nicht nur in der Nacht, sondern auch bei Tag.", meint eine Frau in der nahen Wirtschaft. Zwei Männer, die sichtlich gebürtig aus Gries stammen nicken ihr zustimmend zu. Neben ihnen echauffiert sich eine Nachbarin. Vergangene Woche erst hätte sie beobachtet, wie junger Männer aus einem Auto gelassen wurden und dann nicht weiter wussten.
"Die werden hier abgeliefert und eingeliefert und abgeliefert und abgeliefert und noch mal abgeliefert und damit sollen wir dann fertig werden."
Seit einer Woche ungefähr, meint Karl Mühlsteiger, der Bürgermeister von Gries, ÖVP, nähmen die Schleusungen und Flüchtlingszahlen wieder zu. Subjektiv gesehen. Genaue Zahlen gäbe es dazu noch nicht, die angekündigten Grenzkontrollen ebenso wenig, so Karl Mühlsteiger.
"Wieder auftauchende Gruppen von fremden jungen Männern"
46,6 Prozent der Einwohner wählten bei der ersten Runde der Bundespräsidentenwahl FPÖ, 68,1 Prozent in der Stichwahl, einer der höchsten in Tirol:
"Mir ist wichtig, dass die Sicherheit der heimischen Bevölkerung gewährleistet ist und wenn das nur mit einem Grenzzaun möglich ist, dann stehen wir hinter dieser Entscheidung, denn umso mehr kehrt dann wieder Ruhe in der Bevölkerung ein und umso mehr haben wir dann wieder das Sicherheitsgefühl in der Gemeinde."

Die Bedenken nimmt der Tiroler ÖVP-Landeshauptmann Günter Platter ernst, so ernst, dass er sich am Wochenende mit der italienischen Regierung anlegte. Und Rom konterte: Die Behauptung Platters, dass "die Italiener wirkungslose Beruhigungspillen über angebliche Kontrollen verteilen", seien unannehmbar, betont Italiens Migrationsstaatssekretär Domenico Manzione. Die Tiroler Landespolizeidirektion präsentiert im Gegenzug Zahlen:
"Am vergangenen Pfingstwochenende wurden täglich dreißig bis vierzig Personen aufgegriffen, dabei waren auch Personen, die teilweise zu Fuß in kleinen Gruppen über die Brenner-Grenze gelangt sind."
68,1 Prozent für die FPÖ in der Stichwahl
So der Sprecher der Tiroler Landespolizeidirektion Stefan Eder. Die prompte Reaktion aus Wien: Man werde am 24. Mai 80 Polizeibeamte zur Verstärkung an den Brenner schicken. Eine Reaktion auf die Wahl? Heute nehmen die Polizistinnen und Polizisten ihren Dienst auf. Dabei gehe es nicht direkt um Grenzkontrollen betont Eder, auch wenn dies die Bürger von Gries gern sähen:
"Das sind nur verdichtete Ausgleichsmaßnahmen, also Schengen-Kontrollen und keine Grenzkontrollen an der Brenner-Grenze. Derzeit wird an der Grenze nicht kontrolliert."
Italien reagierte jetzt. Heute sollen 25 Soldaten in der Grenzregion am Brenner eintreffen, verlautet es aus Regierungskreisen in Bozen.
Selbst wenn sich die meisten Bürger aus Gries ein FPÖ-Staatsoberhaupt gewünscht hatten, auch ein Bundespräsident van der Bellen dürfte die Situation nicht ändern können, so diese Frau:
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Person ganz Europa verändern kann. Also für mich ist das Problem, was wir da haben, ein europäisches Problem."
Der Glückwunsch von Tirols Landeshauptmann Platter an den frisch gewählten Bundespräsidenten van der Bellen fiel gestern nur kurz aus. Er lade den neuen Bundespräsidenten mit Tiroler Wurzeln sehr herzlich in seine Heimat ein, so der Landeshauptmann mit Nachdruck. Er wolle mit ihm die aktuellen Herausforderungen für sein Land besprechen. Ganz klar, was damit gemeint ist.