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Olympische Spiele 2016
Vertreibung im Namen der Spiele

Gut 15 Monate vor den Olympischen Spielen steckt Rio de Janeiro mitten in den Bauvorbereitungen. Im Westen der Stadt entsteht der Olympiapark, dort werden 16 Wettkämpfe ausgetragen. An seinem Rand liegt das Armenviertel Vila Autódromo. Für die Anwohner sind die Bauarbeiten das geringere Problem. Sie kämpfen um ihre Existenz.

Von Carsten Upadek | 03.05.2015
    Dona Jane und Maria da Penha neben der Baustelle des Abwasserschachts (l.) und Janes Haus (r.), im Hintergrund ist das geplante Hotel zu sehen.
    Dona Jane und Maria da Penha neben der Baustelle des Abwasserschachts (l.) und Janes Haus (r.) (Carsten Upadek)
    Die Einfahrt zum Viertel "Vila Autódromo" versperren Bagger, die Straße ist aufgerissen. Gerade wird ein Abwasserschacht aus Richtung des neuen Sendezentrums gelegt, von wo aus einst die Olympia-Bilder in die Welt gesendet werden. Daneben entsteht ein Luxushotel. Dessen Rohbau ragt wie ein Berg aus Stahl und Beton neben dem Armenviertel auf. Der Graben für den Abwasserschacht läuft direkt auf das Haus von Dona Jane de Oliveira zu. Die ältere Dame ist aufgebracht.
    "Ich werde mich dem Bagger entgegen stellen! Hier kommt er nicht durch! Sie werden mich verhaften müssen!"
    Langer, mühsamer Kampf
    Dona Jane lebt seit mehr als 25 Jahren hier. Das Haus sei selbst gebaut und ihr ganzer Stolz. Rio de Janeiro steht seit 2009 als Olympia-Standort fest. Fast so lang kämpft Dona Jane gegen die Enteignung und den Abriss ihres Heimes. Aber ihre Kraft lässt nach.
    "Ich fühle mich völlig alleingelassen. Für dieses Gefühl fehlen mir die Worte. Meine Tochter ist depressiv geworden, sie ist verzweifelt. Und ich leide gesundheitlich. Meine Haut ist voller Entzündungen, hier am Bauch, am Rücken, über der Schulter."
    Dona Jane kommen die Tränen. Nachbarin Maria da Penha nimmt sie in den Arm. Etwas später führt Maria da Penha durch das halb verlassene Viertel. Häuser liegen in Trümmern. Stehen gebliebene einzelne Wände sind mit Graffiti besprüht, die die Seelenlage des Viertels dokumentieren. "Nicht jeder ist zu kaufen" steht da. Oder: "Keine Vertreibung – nur Verhandlung!" Maria da Penha sagt:
    "Die Stadtverwaltung hat es geschafft, uns Bewohner total zu entzweien. Viele haben Angst: Angst, obdachlos zu werden. Angst, alles zu verlieren."
    Die meisten Bewohner haben resigniert
    Nach Jahren des Widerstandes haben die meisten Bewohner aufgegeben und sind in Sozialwohnungen der Stadt gezogen. Etwa 130 Familien sind geblieben. Die von Maria da Penha ist eine davon. Sie führt in ihr dreistöckiges Haus mit Ausblick über die ganze Olympiapark-Baustelle. Dort entstehen unter anderem drei Arenen, das Tenniszentrum und das Velodrom. Früher war hier die Motorsport-Rennstrecke, auf der Rennen der Formel 1 und die Motorrad-WM stattfanden. Nun empfinden Maria da Penha und ihr Mann Luiz jedes neue Stockwerk der Olympia-Bauten als Drohung.
    "Die Stadtverwaltung hat ein Interesse, dass das Dorf verschwindet", sagt Luiz. "Es ist ein offenes Geheimnis, dass das eine Gefälligkeit an die Bauunternehmen ist."
    Die offiziellen Begründungen haben sich mehrfach geändert. Zuletzt hieß es, auf dem Gelände des Viertels solle eine Zubringerstraße für das Schnellbus-System entstehen. Öffentlich jedoch verkündete Rios Bürgermeister Eduardo Paes bis letztes Jahr immer wieder:
    "Um das klarzustellen, das Urbanisierungsprojekt der Vila Autódromo erlaubt die freie Wahl zu bleiben oder zu gehen. Wir können niemanden zwingen, wir respektieren das Gesetz, ohne Terrorismus zu betreiben."
    Bewohner Luiz da Silva: "Das erzählt er den Medien. Hier drinnen agiert er völlig anders, übt Druck aus, um alle loszuwerden. Selbst seine Beamten sagen an der Tür: Wer nicht geht, wird alles verlieren! Das ist psychischer Terror die ganze Zeit!"
    Enteignung ist nun offiziell
    Der Deutschlandfunk hat die Stadtverwaltung um ein Interview gebeten - ohne Erfolg. Nun hat die auch öffentlich die Tonart geändert. Bürgermeister Paes unterschrieb im März ein Dekret, das 58 Familien der Vila Autódromo enteignet. Darunter auch Maria da Penha und ihren Mann Luiz.
    "Wir fühlen uns klein, ungeschützt und erniedrigt, weil für diese Behörde unser Leben und unsere Würde keinerlei Wert hat."
    Ein kleiner Zusammenschluss aus linken Angeordneten versucht, das Dekret anzufechten. Doch das sei schwierig, erklärt am Donnerstag Stadtrats-Vizepräsident Leonel Brizola Neto bei einer Festveranstaltung im Rathaus, die den Bewohnern der Vila Autódromo gewidmet ist. Auch Maria da Penha und einige Nachbarinnen sind gekommen. Laut Brizola habe die Partei der demokratischen Bewegung von Bürgermeister Eduardo Paes die absolute Mehrheit im Stadtparlament - und nicht nur da:
    "Wir sind unter hegemonialer Kontrolle einer Partei, die beide gesetzgebende Gewalten beherrscht, den Staat und die Stadt Rio de Janeiro und sie hat ihre Verzweigungen bis in die Justiz."
    Brizolas Großvater hat als Gouverneur des Staates vor über 20 Jahren den Bewohnern der Vila Autódromo das Wohnrecht verliehen, das die Stadt nun entziehen will. Dafür nutze sie einem bürokratischen Trick, so Stadtrat Brizola – eine Formalität, von der die Bewohner nichts wussten.
    Unwissenheit der Armen wird ausgenutzt
    "Viele Leute haben ihr Wohnrecht nicht registrieren lassen. Damit geriet es rechtlich außer Gebrauch. Sie arbeiten mit der Unwissenheit der Armen, dem Fehlen von Information."
    Das heißt, die Enteignung durch die Stadt könnte gerichtlich bestätigt werden. Und sie wäre nicht die Erste in Rio de Janeiro. Zwischen 2009 und 2013 wurden 65.000 Menschen im Namen von WM und Olympia umgesiedelt. Brizola spricht von Gentrifizierung mit Hilfe der Politik: die Vertreibung der Armen von wertvollem Bauland.
    "Die Spender des Wahlkampfs von Bürgermeister Eduardo Paes sind die großen Bauunternehmen, die von der Immobilienspekulation leben. Die stellen nun die Rechnung: Ich helfe Dir im Wahlkampf, aber dann will ich dieses Gelände."
    Die Region um den Olympiapark gilt als Premium-Bereich. Das weiß auch Maria da Penha. Es mache sie traurig, sagt sie bei ihrer Ansprache.
    "Es sind nicht die Olympischen Spiele, die mir das Haus nehmen wollen, es ist die Immobilien-Spekulation. Das ist ungerecht!"
    Auf dem Gelände des Olympiaparks darf das Bau-Konsortium "Rio Mais" nach den Spielen mindestens 20 Apartmentblocks hochziehen. Der Verkaufswert der Wohnungen wird auf bis zu eine Milliarde Euro geschätzt. Ein Fensterblick auf das Armenviertel "Vila Autódromo" ist da nicht eingeplant.