Dienstag, 19. März 2024

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Organspende in Deutschland
"Wir brauchen vor allem die Überzeugung der Menschen"

Die logistischen und administrativen Probleme rund um die Transplantation von Organen in Deutschland ließen sich lösen, sagte Frank Ulrich Montgomery, Ehrenpräsident der Bundesärztekammer, im Dlf. Wenn aber die Menschen beim Thema Organspende nicht überzeugt seien, bringe das alles nichts.

Frank Ulrich Montgomery im Gespräch mit Dirk Müller | 17.01.2020
Frank Ulrich Montgomery, Ex-Präsident der Bundesärztekammer (BAEK), gestikuliert bei einem Interview in Berlin.
Frank Ulrich Montgomery, Ehrenpräsident der Bundesärztekammer (imago / Thomas Trutschel)
Bei den Organspenden ist Deutschland Schlusslicht in Europa. 2019 hat es 932 Organspenden in ganz Deutschland gegeben. Nach jahrelanger Debatte über die Organspende hat der Bundestag für die Zustimmungslösung gestimmt. Wer Organe spenden will, muss dies aktiv mitteilen, genauso wie bisher. Hinzu kommen soll, dass Hausärzte oder auch die Ausweisstelle beispielsweise künftig ihre Patienten fragen können. Die neue Regelung ist aber fast die alte. Dazu Frank Ulrich Montgomery, Ehrenpräsident der Bundesärztekammer.
Dirk Müller: Herr Montgomery, es wäre für viele Schwerkranke der rettende Anruf: Wir haben ein Organ für Sie. Kommt dieser Anruf jetzt häufiger?
Frank Ulrich Montgomery: Das hoffe ich sehr, weil alleine die Debatte um das Thema Organspende und um die Frage, ob wir uns nicht zu einer besseren, stärkeren Lösung bekennen müssen, hat ja dazu geführt, dass viele Menschen sich mit der Frage auseinandergesetzt haben. Ich hoffe, dass es uns gelingt, jetzt mehr Menschen zu motivieren, sich einen Organspendeausweis zu holen, sich in dieses neu einzurichtende Register einzutragen, und dass auch bei Hausärzten und Ähnliches nachgefragt wird, wo man den Organspendeausweis holen kann. Denn das Spannende ist ja: 85 Prozent der Bevölkerung sprechen sich für Organspende aus. Und wenn Sie dann mal nachfragen, dann sagen sie, ja, ich habe den Organspendeausweis zuhause, aber noch nicht ausgefüllt. Vielleicht hat die Debatte bei diesem Schritt geholfen, dass jetzt mehr Menschen das machen.
"Beim Bürger bleibt ein Gefühl der Unsicherheit"
Müller: Die Debatte läuft aber seit vielen, vielen Jahren und es ist immer schlechter geworden.
Montgomery: Ja, das ist ein Problem, das wir in Deutschland dadurch haben. Wenn sich diese Debatte in den parteipolitischen Streit verirrt, wenn die Opposition gegen die Regierung oder Ähnliches ein solches Thema thematisiert, dann bleibt für den Bürger, der viele Details gar nicht im Detail nachvollziehen kann, nur ein Gefühl der Unsicherheit und aus einem Gefühl der Unsicherheit kann ich von niemandem in diesem Lande erwarten, dass er den größten Akt der Liebe im Grunde genommen vollzieht und seine Organe spendet. Deswegen habe ich auch etwas kritisch auf diese Debatte geguckt.
Müller: Schauen wir mal auf die Debatte, Herr Montgomery. Sie sagen, parteipolitischer Streit. Das war aber doch gar nicht so, wenn wir das richtig mitbekommen haben. Es ging ja eigentlich um Einzelpositionen, um Gruppenpositionen, quer durch alle Parteien, quer durch alle Fraktionen, auf der Suche nach der besten Lösung.
Montgomery: Das sehe ich ein kleines bisschen anders, weil ich glaube, dass insbesondere nachdem Jens Spahn diesen wirklich guten und von der Ärzteschaft ja sehr unterstützten Vorschlag der Widerspruchslösung eingebracht hatte, dann Frau Baerbock von den Grünen mit immer mehr Beliebigkeit diesen jetzt verabschiedeten Entwurf durchgebracht hat. Das ist dann doch parteipolitischer Streit gewesen, wo mich am meisten erstaunt hat die Position der Grünen, denn 72 Prozent der Anhänger der Grünen sind für eine doppelte Widerspruchslösung, aber nur zehn Prozent der Abgeordneten haben gegen ihre eigenen Wähler gestimmt. Das hat mich schon erstaunt.
"Ein bisschen Parteipolitik spielte doch schon eine Rolle"
Müller: Aber wir hatten gestern zum Beispiel Hermann Gröhe, früher Bundesgesundheitsminister (CDU), Parteifreund von Jens Spahn, und der hat hier im Deutschlandfunk argumentiert, warum er auch gegen die Widerspruchslösung ist.
Montgomery: Ja. Auch innerhalb der Parteien hat es hier Differenzen gegeben. Das ist richtig, weil – und das ist etwas, was man nur uneingeschränkt begrüßen kann, es ja eine offene Debatte war, keine Partei-, am Ende keine Fraktionszwangsdebatte. Aber ein bisschen Parteipolitik spielte doch schon eine Rolle und das ist immer riskant, weil für die Bürger dann nur dieses Gefühl der Unsicherheit bleibt, die Spezialisten, die Fachleute, die Politiker sind sich nicht einig. In einem solchen Klima von Uneinigkeit ist es schwer, Leute zu überzeugen, diesen wirklich gewaltigen Akt zu vollziehen. Wir von den Ärzten und von der Deutschen Stiftung Organtransplantation werden das mit Sicherheit jetzt weiter befördern. Wir müssen das jetzt nutzen, den Aufschlag quasi müssen wir jetzt über das Netz bringen, damit wir mehr Menschen dazu bekommen, mehr Menschen motivieren, solche Ausweise auszufüllen.
Müller: Wir wollen jetzt nicht mehr nachkarten, aber Sie haben gestern auch stellvertretend im Bundestag verloren.
Montgomery: Nein, es ist keine Frage von Verlieren oder Gewinnen. Ich finde auch, dass Jens Spahn überhaupt nicht verloren hat mit dieser Debatte, sondern er hat eigentlich ganz stark gewonnen, weil es ist ihm mal wieder gelungen, eine Debatte voranzubringen, Menschen dazu zu bringen, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen. Wir werden das sicherlich weitermachen, weil es darf jetzt nicht ein völlig anderes Thema plötzlich ganz vorne stehen. Wir müssen das jetzt umsetzen, was wir bekommen, und müssen konstruktiv sein, und sowohl die Krankenhäuser wie die Ärzte wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation sind dazu bereit.
"Widerspruchsregelung hätte mehr geändert"
Müller: Jens Spahn hat ja mit Karl Lauterbach (SPD) zusammengearbeitet, wieder parteiübergreifend, wenn wir das so definieren wollen. Karl Lauterbach hat gestern noch einmal gesagt, ohne die Widerspruchsregelung wird sich nichts ändern. Jetzt sagen Sie, es wird sich doch ein bisschen ändern. Ist das Zweckoptimismus?
Montgomery: Das ist zumindest Optimismus. Der Zweck heiligt hier alle Mittel. Ich glaube, es wird sich nicht so viel ändern, wie wir mit der Widerspruchslösung hätten ändern können, aber natürlich wird sich etwas ändern, weil – und das wird jetzt gerne vergessen in der Debatte – ganz am Anfang, vor anderthalb Jahren, hat Jens Spahn ein Gesetz durch den Bundestag gebracht, das die Position der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken verstärkt, das die Finanzierung der Organspende verbessert, das den Krankenhäusern Anreize gibt, sich auch um Organspender mehr zu kümmern. Dieses Gesetz, das wird Wirkung entfalten, und darauf setzen wir jetzt ganz stark.
Müller: Aber darüber reden wir auch seit vielen Jahren. – Ich will mal drei Punkte zusammenfassen, weil wir keine Zeit mehr haben, das einzeln zu diskutieren. Gibt es genügend Ärzte dafür? Haben wir die Infrastruktur dafür und stimmt auch die Transportlogistik, die ja auch ganz, ganz, ganz wichtig ist?
Montgomery: Zu allen drei Fragen kann ich nur sagen: Durch das letzte Gesetz werden die sich erheblich verbessern. Und wir sind voll dabei, das so zu machen. Aber wir brauchen vor allem die Überzeugung der Menschen. Die technischen, administrativen, logistischen Probleme, die kann man lösen. Da sind wir dabei. Aber wenn die Menschen nicht mitspielen, weil sie nicht überzeugt sind, bringt das alles nichts.
"Kosten müssen den Krankenhäusern ersetzt werden"
Müller: Das heißt, um da noch mal nachzufragen: Das Operative im wahrsten Sinne des Wortes, das hat Deutschland, das haben die deutschen Ärzte, das haben die Kliniken voll im Griff?
Montgomery: Sie sind dabei, es voll in den Griff zu bekommen.
Müller: Woran hat das gelegen, dass das bisher nicht gestimmt hat? Zu wenig Geld? Zu wenig Bereitschaft?
Montgomery: Es hat daran gelegen, dass wir zu wenig Geld hatten, zu wenig Personen aber, weil so wenig Geld da war, in Krankenhäusern, die nicht primär auf Organspender eingerichtet sind, sich um dieses schwierige Feld zu kümmern. Das haben wir verbessert. Die Kosten müssen den Krankenhäusern auch mindestens ersetzt werden. Sie sollen damit ja kein Geld verdienen, aber die Kosten müssen mindestens ersetzt werden. Auch das hat sich verbessert. Das wird mehr bringen, glaube ich, als die Frage, ob Widerspruchslösung oder Zustimmungslösung der goldene Weg sind.
"Man ist in Spanien nicht schneller hirntot als bei uns"
Müller: Herr Montgomery, jetzt haben wir noch eine Minute für den Hirntod. Große Diskussion: Wann wird in Deutschland der Hirntod festgestellt? Das ist in anderen europäischen Ländern, Spanien wird da immer wieder als Beispiel genannt, einfacher, wie immer man das jetzt auch ausdrücken mag, oder es geht schneller. Man ist in Spanien schneller hirntot als in Deutschland und dann kann man Organe entnehmen, wenn die Bereitschaft besteht. Ist das tatsächlich relevant?
Montgomery: Da würde ich Ihnen leicht widersprechen wollen. Man ist in Spanien nicht schneller hirntot als bei uns. Für den Hirntod gibt es objektive wissenschaftliche Kriterien. Die werden in Deutschland nach den Richtlinien der Bundesärztekammer auf eine sehr saubere, sehr korrekte Art und Weise dargestellt. Kein Unterschied zu Spanien im Grunde genommen. Spanien hat eine sehr viel bessere Logistik. Deswegen haben die bessere Zahlen. Der Hirntod, die Hirntod-Debatte ist eigentlich völlig unstrittig.
Müller: Eine völlige Schimäre? Wir haben das gestern in der Argumentation auch häufiger gehört.
Montgomery: Ich habe das noch nie gehört, dass man in Spanien früher Hirntod wird. Der Hirntod ist ein objektives Kriterium. Da gibt es kein früher oder später, sondern wenn sämtliche Funktionen des Großhirns ausgefallen sind, wenn Sie ohne Maschinen auch überhaupt nicht mehr leben könnten, wenn das in einem zeitlichen Abstand von unabhängigen Personen nacheinander mehrfach festgestellt worden ist, dann sind Sie mause-hirntod. Daran beißt die Maus keinen Faden ab.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.