Christoph Heinemann: Guter Rat ist und bleibt teuer. Während Bundesfinanzminister Peer Steinbrück trotz der drohenden Rezession zusätzliche Konjunkturprogramme für Deutschland ablehnt, weil damit seine Bemühungen um eine Reduzierung der Staatsschulden um Jahrzehnte zurückgeworfen würden, hat der Wirtschaftsweise Peter Bofinger genau dies gefordert: ein großes Konjunkturprogramm im Kampf gegen die Rezession. Es könne nicht damit gerechnet werden, dass Deutschland in den nächsten Jahren vom Ausland mitgezogen werde. Deshalb ist für dieses und nächstes Jahr jeweils ein Schub in Höhe von 25 Milliarden Euro notwendig, meint der Sachverständige. - Mein Kollege Gerd Breker sprach mit dem Wirtschaftswissenschaftler Max Otte. Erste Frage: Hätte verhindert werden können, dass die Wirtschaft von der Finanzkrise überrollt wird?
Max Otte: Nein. Das konnte man wirklich vor einem Jahr, vor anderthalb Jahren nicht mehr verhindern. Da waren die Ungleichgewichte und das Gefahrenpotenzial schon viel zu groß. Gleichwohl haben ja die Politiker erst mal so getan, als ob nichts passieren würde. Das übliche Spiel: Die Wirtschaft ist stark, wurde gesagt. Aber das es dann doch ein dickes Ende geben würde, war eigentlich vorherzusehen.
Gerd Breker: Und nun, da das Kind in den Brunnen gefallen ist, da muss die Politik handeln. Die Große Koalition: Sie hat gehandelt und ein Konjunkturpaket beschlossen, das so eigentlich gar nicht heißen soll, und nach dem Urteil des Sachverständigenrates ein unkoordiniertes Klein-Klein darstellt, ein industriepolitischer Aktionismus. Wie lautet denn Ihr Urteil, Herr Otte, zu dem Maßnahmenpaket der Bundesregierung?
Otte: Ich bin nicht immer eins mit dem Sachverständigenrat, aber in diesem Falle stimme ich voll zu. Das ist in der Tat jetzt zusammengestückelt. Das ist ein Aktionismus. Wie viele Autos wir in Deutschland noch brauchen, weiß ich nicht, wenn man auf die Straßen schaut. Da sind Dinge gemacht worden, auch um bestimmte Lobbys zu bedienen. Sicherlich ist es zunächst mal gut, dass wir überhaupt was machen, aber das hätte schon anders aussehen können.
Breker: Wie anders? Was braucht es denn? Braucht es eine deutliche Stärkung der Binnennachfrage?
Otte: Ja, erst mal eine Stärkung der Binnennachfrage, die auch dann beim Einzelnen ankommt, wo der Einzelne vielleicht auch entscheiden kann, was er oder sie nachfragt. Das heißt, eine direkte Entlastung der Konsumenten wäre sicherlich besser gewesen.
Breker: Sprich eine Steuersenkung?
Otte: In der Tat Steuersenkung, oder sie können sogar Gutschriften verteilen. Das bleibt sich letztlich gleich. Das ist das eine und wenn es dann schon in investive Zwecke geht, dann auch da stärker Infrastruktur. Die Gebäudesanierungsmaßnahmen sind sicherlich sinnvoll, aber dann noch mehr in dieser Richtung.
Breker: Also der Staat hätte Geld in die Hand nehmen müssen und in die Infrastruktur oder vielleicht auch in die Bildung investieren müssen?
Otte: In der Tat. Bildung war ein Thema, was Sie jetzt genannt haben. Das könnte man nahtlos anschließen. Das ist ein Zukunftsthema. Da tut Deutschland zu wenig. Und wenn man jetzt schon Staatsausgaben macht, dann hätte man auch da was tun können und nicht bei den Industrien der vergangenen Jahrzehnte.
Breker: Also es reicht nicht nur, schon geplantes vorzuziehen?
Otte: Nein, das wird nicht genug sein. Ich meine, es geht ja auch von so einem Programm letztlich eine psychologische Wirkung aus, dass der Einzelne sieht, die Regierung will was machen, es wird überhaupt was getan. Aber es müsste konkret noch mehr gemacht werden. Auch das Volumen reicht noch nicht.
Breker: Das Volumen - man will insgesamt 50 Milliarden Euro aktivieren durch dieses Maßnahmenpaket - reicht nicht aus?
Otte: Nein. Ich denke, wenn man das mal verdreifachen würde, dann hätte man einen Impuls, der ungefähr zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Dann kämen wir eher in Größenordnungen, die auch eine Wirkung hätten.
Breker: Dann würde man allerdings einen konsolidierten Haushalt in ganz, ganz weite Ferne schieben.
Otte: Ja. Dass man diesen konsolidierten Haushalt, der an sich natürlich gut und richtig ist, in dieser Situation so vor sich herträgt, das verstehe ich nicht, auch gerade Herr Steinbrück, der ja doch Sozialdemokrat ist, und da hat man doch zum defizitären Haushalt durchaus ein etwas entspannteres Verhältnis. In so einer kritischen Situation läuft ein Haushalt normalerweise von sich aus automatisch schon ins Minus, weil die Steuereinnahmen sinken und die Sozialausgaben steigen. Da kann man eigentlich sowieso nicht von dem Ziel eines konsolidierten Haushaltes sprechen.
Breker: In den USA, Herr Otte, hat man gerade eine Art Strategiewechsel vollzogen. Man will zum Beispiel der Autoindustrie dadurch helfen, indem man die Konsumenten stärkt. Wäre das beispielhaft?
Otte: Nicht unbedingt. Die USA versucht eben auch, die Autoindustrie am Leben zu halten, die Überkapazitäten hat. Ansonsten ist aber generell der Schwenk weg von faulen Wertpapieren aufkaufen, hin zur Stärkung der Konsumenten schon gut. Das ist schon die richtige Richtung. Ich gehe auch davon aus, dass das schon im Hinblick auf den neuen Präsidenten mit geschehen ist, dieser Strategiewechsel, aber einer, der sicherlich Sinn macht.
Breker: In Deutschland haben wir in etwa eine Exportquote, die bei 48 Prozent liegt. Der Export, so lernen wir in diesen Zeiten, sei unsere Achillesferse. Ist denn dann ein nationales Konjunkturförderprogramm überhaupt ausreichend?
Otte: Natürlich nicht und selbst wenn wir ein sehr viel größeres Programm auflegen würden, würde es mehr oder weniger verpuffen, wenn nicht andere Staaten mitziehen. Ich denke da nicht so sehr an Großbritannien, die USA, die das schon tun durch massive Zinssenkungen und andere Maßnahmen, sondern in der Tat auch an China. Die haben jetzt auch schon ein Programm vorgelegt, aber auch die müssen wahrscheinlich noch mal nachlegen.
Breker: Wir stehen kurz vor dem Finanzgipfel in Washington. Man will dort die Finanzmärkte neu regeln. Müsste man da nicht eigentlich auch über koordinierte konjunkturelle Stützungsmaßnahmen reden?
Otte: Das ist ja eigentlich sogar der Ursprung der G7-Treffen, die früher mal G5-Treffen waren - 1974, 1975, 1976 -, wo genau das damals versucht wurde. Aber hier geht es um zwei Dinge: Einmal eine Koordination bei der Konjunkturpolitik, die wir im Rahmen dieser Treffen eigentlich schon immer versucht haben, und der Gipfel selber soll ja eher Regeln ausarbeiten, dass wir so einen Unfall, wie wir ihn jetzt hatten, nicht wieder bekommen. Das ist dann schon wieder ein anderes Spielfeld, was strategisch in die Zukunft gerichtet ist.
Breker: Aber koordinierte konjunkturelle Hilfe global wäre sinnvoll?
Otte: In der Tat. Ich denke, da müssten eigentlich alle mitziehen und keiner kann sich da bei Seite stellen.
Breker: Nun glaubt die deutsche Industrie, vielleicht weil Wirtschaftspolitik auch immer Psychologie ist, sie sei gut aufgestellt. Erst heute hat Siemens das von sich selber behauptet. Wie begründet ist die Zuversicht der bundesdeutschen Industrie?
Otte: Zunächst einmal ist es gut, dass man da nicht ins Lamentieren einstimmt und auch jede Menge Subventionen einfordert, wie es ja einzelne Branchen schon gemacht haben. Und natürlich sind unsere Unternehmen oftmals sehr solide und sehr gut aufgestellt. Aber wenn die Investitionskonjunktur zurückgeht, dann hat natürlich unsere Industrie auch zunächst einmal ein massives Nachfrageproblem. Dann können auch mal Aufträge um 40, 50, 60, 70, 90 Prozent wegbrechen auf dem Boden eines solchen Konjunkturlochs, denn die Industrienachfrage schwankt ja sehr viel stärker als die Endverbrauchernachfrage.
Breker: Herr Otte, wie begründet ist die Zuversicht, dass die Rezessionsphase nur von kurzer Dauer sein wird?
Otte: Ich halte das wieder für Zweckoptimismus. Ich denke, der Unfall war so groß, die Ungleichgewichte im Finanzsystem waren so gravierend, dass wir daran drei bis fünf Jahre knacken werden.
Breker: Und das Handeln der politisch Verantwortlichen, das muss korrigiert werden?
Otte: Na ja, sie wissen zumindest, dass sie was tun müssen. Sagen wir mal so: Es müsste noch nachgebessert werden.
Max Otte: Nein. Das konnte man wirklich vor einem Jahr, vor anderthalb Jahren nicht mehr verhindern. Da waren die Ungleichgewichte und das Gefahrenpotenzial schon viel zu groß. Gleichwohl haben ja die Politiker erst mal so getan, als ob nichts passieren würde. Das übliche Spiel: Die Wirtschaft ist stark, wurde gesagt. Aber das es dann doch ein dickes Ende geben würde, war eigentlich vorherzusehen.
Gerd Breker: Und nun, da das Kind in den Brunnen gefallen ist, da muss die Politik handeln. Die Große Koalition: Sie hat gehandelt und ein Konjunkturpaket beschlossen, das so eigentlich gar nicht heißen soll, und nach dem Urteil des Sachverständigenrates ein unkoordiniertes Klein-Klein darstellt, ein industriepolitischer Aktionismus. Wie lautet denn Ihr Urteil, Herr Otte, zu dem Maßnahmenpaket der Bundesregierung?
Otte: Ich bin nicht immer eins mit dem Sachverständigenrat, aber in diesem Falle stimme ich voll zu. Das ist in der Tat jetzt zusammengestückelt. Das ist ein Aktionismus. Wie viele Autos wir in Deutschland noch brauchen, weiß ich nicht, wenn man auf die Straßen schaut. Da sind Dinge gemacht worden, auch um bestimmte Lobbys zu bedienen. Sicherlich ist es zunächst mal gut, dass wir überhaupt was machen, aber das hätte schon anders aussehen können.
Breker: Wie anders? Was braucht es denn? Braucht es eine deutliche Stärkung der Binnennachfrage?
Otte: Ja, erst mal eine Stärkung der Binnennachfrage, die auch dann beim Einzelnen ankommt, wo der Einzelne vielleicht auch entscheiden kann, was er oder sie nachfragt. Das heißt, eine direkte Entlastung der Konsumenten wäre sicherlich besser gewesen.
Breker: Sprich eine Steuersenkung?
Otte: In der Tat Steuersenkung, oder sie können sogar Gutschriften verteilen. Das bleibt sich letztlich gleich. Das ist das eine und wenn es dann schon in investive Zwecke geht, dann auch da stärker Infrastruktur. Die Gebäudesanierungsmaßnahmen sind sicherlich sinnvoll, aber dann noch mehr in dieser Richtung.
Breker: Also der Staat hätte Geld in die Hand nehmen müssen und in die Infrastruktur oder vielleicht auch in die Bildung investieren müssen?
Otte: In der Tat. Bildung war ein Thema, was Sie jetzt genannt haben. Das könnte man nahtlos anschließen. Das ist ein Zukunftsthema. Da tut Deutschland zu wenig. Und wenn man jetzt schon Staatsausgaben macht, dann hätte man auch da was tun können und nicht bei den Industrien der vergangenen Jahrzehnte.
Breker: Also es reicht nicht nur, schon geplantes vorzuziehen?
Otte: Nein, das wird nicht genug sein. Ich meine, es geht ja auch von so einem Programm letztlich eine psychologische Wirkung aus, dass der Einzelne sieht, die Regierung will was machen, es wird überhaupt was getan. Aber es müsste konkret noch mehr gemacht werden. Auch das Volumen reicht noch nicht.
Breker: Das Volumen - man will insgesamt 50 Milliarden Euro aktivieren durch dieses Maßnahmenpaket - reicht nicht aus?
Otte: Nein. Ich denke, wenn man das mal verdreifachen würde, dann hätte man einen Impuls, der ungefähr zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Dann kämen wir eher in Größenordnungen, die auch eine Wirkung hätten.
Breker: Dann würde man allerdings einen konsolidierten Haushalt in ganz, ganz weite Ferne schieben.
Otte: Ja. Dass man diesen konsolidierten Haushalt, der an sich natürlich gut und richtig ist, in dieser Situation so vor sich herträgt, das verstehe ich nicht, auch gerade Herr Steinbrück, der ja doch Sozialdemokrat ist, und da hat man doch zum defizitären Haushalt durchaus ein etwas entspannteres Verhältnis. In so einer kritischen Situation läuft ein Haushalt normalerweise von sich aus automatisch schon ins Minus, weil die Steuereinnahmen sinken und die Sozialausgaben steigen. Da kann man eigentlich sowieso nicht von dem Ziel eines konsolidierten Haushaltes sprechen.
Breker: In den USA, Herr Otte, hat man gerade eine Art Strategiewechsel vollzogen. Man will zum Beispiel der Autoindustrie dadurch helfen, indem man die Konsumenten stärkt. Wäre das beispielhaft?
Otte: Nicht unbedingt. Die USA versucht eben auch, die Autoindustrie am Leben zu halten, die Überkapazitäten hat. Ansonsten ist aber generell der Schwenk weg von faulen Wertpapieren aufkaufen, hin zur Stärkung der Konsumenten schon gut. Das ist schon die richtige Richtung. Ich gehe auch davon aus, dass das schon im Hinblick auf den neuen Präsidenten mit geschehen ist, dieser Strategiewechsel, aber einer, der sicherlich Sinn macht.
Breker: In Deutschland haben wir in etwa eine Exportquote, die bei 48 Prozent liegt. Der Export, so lernen wir in diesen Zeiten, sei unsere Achillesferse. Ist denn dann ein nationales Konjunkturförderprogramm überhaupt ausreichend?
Otte: Natürlich nicht und selbst wenn wir ein sehr viel größeres Programm auflegen würden, würde es mehr oder weniger verpuffen, wenn nicht andere Staaten mitziehen. Ich denke da nicht so sehr an Großbritannien, die USA, die das schon tun durch massive Zinssenkungen und andere Maßnahmen, sondern in der Tat auch an China. Die haben jetzt auch schon ein Programm vorgelegt, aber auch die müssen wahrscheinlich noch mal nachlegen.
Breker: Wir stehen kurz vor dem Finanzgipfel in Washington. Man will dort die Finanzmärkte neu regeln. Müsste man da nicht eigentlich auch über koordinierte konjunkturelle Stützungsmaßnahmen reden?
Otte: Das ist ja eigentlich sogar der Ursprung der G7-Treffen, die früher mal G5-Treffen waren - 1974, 1975, 1976 -, wo genau das damals versucht wurde. Aber hier geht es um zwei Dinge: Einmal eine Koordination bei der Konjunkturpolitik, die wir im Rahmen dieser Treffen eigentlich schon immer versucht haben, und der Gipfel selber soll ja eher Regeln ausarbeiten, dass wir so einen Unfall, wie wir ihn jetzt hatten, nicht wieder bekommen. Das ist dann schon wieder ein anderes Spielfeld, was strategisch in die Zukunft gerichtet ist.
Breker: Aber koordinierte konjunkturelle Hilfe global wäre sinnvoll?
Otte: In der Tat. Ich denke, da müssten eigentlich alle mitziehen und keiner kann sich da bei Seite stellen.
Breker: Nun glaubt die deutsche Industrie, vielleicht weil Wirtschaftspolitik auch immer Psychologie ist, sie sei gut aufgestellt. Erst heute hat Siemens das von sich selber behauptet. Wie begründet ist die Zuversicht der bundesdeutschen Industrie?
Otte: Zunächst einmal ist es gut, dass man da nicht ins Lamentieren einstimmt und auch jede Menge Subventionen einfordert, wie es ja einzelne Branchen schon gemacht haben. Und natürlich sind unsere Unternehmen oftmals sehr solide und sehr gut aufgestellt. Aber wenn die Investitionskonjunktur zurückgeht, dann hat natürlich unsere Industrie auch zunächst einmal ein massives Nachfrageproblem. Dann können auch mal Aufträge um 40, 50, 60, 70, 90 Prozent wegbrechen auf dem Boden eines solchen Konjunkturlochs, denn die Industrienachfrage schwankt ja sehr viel stärker als die Endverbrauchernachfrage.
Breker: Herr Otte, wie begründet ist die Zuversicht, dass die Rezessionsphase nur von kurzer Dauer sein wird?
Otte: Ich halte das wieder für Zweckoptimismus. Ich denke, der Unfall war so groß, die Ungleichgewichte im Finanzsystem waren so gravierend, dass wir daran drei bis fünf Jahre knacken werden.
Breker: Und das Handeln der politisch Verantwortlichen, das muss korrigiert werden?
Otte: Na ja, sie wissen zumindest, dass sie was tun müssen. Sagen wir mal so: Es müsste noch nachgebessert werden.