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Pakistan
Diskurs mit radikalem Mullah

Pakistanische Taliban beherrschen die Stammesgebiete im Nordwesten des Landes und verüben immer wieder Anschläge. Unter dem Druck der USA geht die pakistanische Armee gegen diese Extremisten vor. Zugleich genießen radikale islamische Prediger große Freiheiten. Einen davon hat unsere Autorin getroffen.

Von Sandra Petersmann | 22.11.2014
    Ein pakistanischer Muslim liest den Koran
    Ein pakistanischer Muslim liest den Koran (picture alliance / dpa / Bilawal Arbab)
    "Ist sie eine Christin", fragt Maulana Abdul Aziz meinen pakistanischen Kollegen und lädt mich ein zu konvertieren.
    Der Religionsgelehrte trägt ein weißes langes Gewandt und einen schwarzen Turban. Er schaut mich kein einziges Mal direkt an. Wir sitzen im Schneidersitz auf dem Boden und reden eine Stunde miteinander. Im Büro seiner Koranschule für Mädchen. Mit den Kindern dürfen wir nicht sprechen. Der Maulana steht den radikal-islamischen Taliban nahe. Er nennt sie Mudschahedin – Kämpfer für den Islam und die Gerechtigkeit.
    "Der Dschihad steht nicht für Aggression. Sondern dafür, sich gegen einen Unterdrücker zu wehren. Sagen Sie mir: Sind die Iraker oder Afghanen nach Amerika aufgebrochen, um dort Bomben abzuwerfen? Es sind die Amerikaner, die tausende Kilometer reisen, um Völker zu bombardieren und Länder zu besetzen. Die Mudschahedin reagieren auf diese Verbrechen."
    Das Wort Terror
    Das Wort Terror benutzt Abdul Aziz nicht. Nicht, wenn es um die Anschläge vom 11. September geht. Nicht, wenn es um Osama bin Laden geht.
    "Er war ein wahrhaftiger Kämpfer für den Islam. Es sind die Amerikaner, die ihn Terrorist nennen", sagt Abdul Aziz. Der 11. September sei eine Antwort auf amerikanische Gräueltaten gewesen. Für derartige Verbrechen dürfe man keine Blumengestecke erwarten. Die Frage, warum Muslime mit ihren Anschlägen vor allem Muslime töten, beantwortet er nicht.
    "Ja, Muslime töten Muslime", sagt er, um sofort eine Gegenfrage zu stellen. Warum habe Amerika die afghanischen Mudschahedin unterstützt, solange sie gegen die Sowjetunion kämpften? Warum seien sie über Nacht zu Terroristen erklärt worden?
    Maulana Abdul Aziz ist das religiöse Oberhaupt der Roten Moschee im Zentrum der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. Im Sommer 2007 hatte er sich mit radikalen Koranschülern und bewaffneten Extremisten in der Moschee verschanzt, um einen Gottesstaat zu erzwingen. Als das Militär das Gelände stürmte, starben dutzende Menschen. Darunter seine Mutter, sein Bruder und ein Sohn. Abdul Aziz selber wurde vorübergehend verhaftet. Seine Koranschulen bieten nach eigenen Angaben aber kein militärisches Training an. Ihm gehe es nur um die Köpfe seiner Schüler, betont er mehrfach.
    "Amerika gibt Milliarden für Bombenangriffe aus. Wenn dieses Geld in die Fürsorge und Entwicklung der Menschen investiert worden wäre, die heute unter dem Krieg der Amerikaner leiden, dann wären wir heute an einem anderen Punkt. Aber jetzt ist die Saat des Hasses gesät. Und mit dieser Saat des Hasses werden wir noch viele Jahrzehnte leben."
    Fundamentalistisches Wissen an 5000 Jungen und Mädchen
    Der Imam der Roten Moschee in Islamabad gibt sein fundamentalistisches Weltbild heute wieder an rund 5000 Jungen und Mädchen weiter. Seine Schüler sind Kinder aus armen Familien. Sie studieren bei ihm den Koran. Und lernen die Welt über Bücher kennen, die er selber schreibt.
    "Allah hat uns Perfektion geschenkt wie die Sonne und den Mond. Sein System ist perfekt. Kann irgendjemand in Deutschland ein Auge entwickeln, wie Allah uns eins geschenkt hat? Oder einen Finger? Oder ein Herz? In Allah's System gibt es keine Fehler."
    Regierung und Militär lassen Maulana Abdul Aziz gewähren. Die pakistanische Machtelite verfolgt keine einheitliche Strategie im Kampf gegen Extremismus und Terror. Vielmehr versucht das mächtige Militär zwischen guten und bösen Islamisten zu unterscheiden. Böse sind die, die im eigenen Land bomben. Gut sind die, die in Afghanistan, Kaschmir und Indien bomben. Leidtragende sind die Kinder, die ihr Recht auf Bildung einbüßen, weil sich der Staat nicht zuständig fühlt. Rund 25 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen fünf und 16 Jahren gehen in Pakistan nicht zur Schule. Ohne Koranschulen wären es noch mehr.