
Seit vielen Jahrzehnten kommt Palästina nicht zur Ruhe. Ein Blick in die Geschichte der Region zeigt, wo die Wurzeln der Gewalt liegen, und dass die Chancen auf Frieden mehrmals verpasst wurden. Nun wird wieder über einen unabhängigen Staat Palästina diskutiert. Damit verbunden ist die Hoffnung auf Frieden.
Was versteht man unter Palästina?
Die historische Region Palästina liegt an der südöstlichen Küste des Mittelmeeres. Das Gebiet umfasste das heutige Israel, den Gazastreifen, das Westjordanland und Teile Syriens, des Libanon und Jordaniens. Heute ist mit dem Begriff Palästina die Forderung nach einem unabhängigen palästinensischen Staat verbunden. Als palästinensische Gebiete werden dabei das Westjordanland, Ostjerusalem und der Gazastreifen genannt.
„Sprachlich gesehen verweist Palästina auf die Philister“, sagt die Historikerin und Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer. Die Philister waren ein Seevolk, das im 12. Jahrhundert v.u.Z. Teile der östlichen Küsten am Mittelmeer eroberte.
Für Juden, Muslime und auch Christen hat die Region Palästina eine besondere Bedeutung. Auf dem Tempelberg standen der erste und der zweite Jerusalemer Tempel der Israeliten, beide wurden zerstört. Im siebten Jahrhundert bauten die muslimischen Araber den Felsendom auf dem Tempelberg. Vom 11. bis 13. Jahrhundert lieferten sich Kreuzritter Schlachten mit muslimischen Heeren. Ab dem 16. Jahrhundert war die Region Teil des Osmanischen Reiches.
Wer lebte im historischen Palästina?
Zum Ende des 19. Jahrhunderts wanderten Juden vermehrt in das noch immer vom Osmanischen Reich regierte Palästina ein. Zu der Zeit lebten etwa 460.000 Muslime und Christen im heutigen Palästina sowie etwa 15.000 Juden, sagt die Historikerin Gudrun Krämer. Deren Anzahl wuchs in den folgenden Jahren. Teils war die Einwanderung religiös, teils aber auch bereits zionistisch motiviert, also mit dem Ziel, einen jüdischen Staat zu schaffen, erläutert Krämer.
Doch die damalige Zuwanderung habe die demografischen, ökonomischen und politischen Verhältnisse in der Region nicht verschoben, betont die Expertin.
Übernahme durch die Briten
Im Ersten Weltkrieg kämpften die Briten gegen das Osmanische Reich und besetzten Palästina. Zu dieser Zeit lebten dort rund 66.000 Juden, rund ein Zehntel der Gesamtbevölkerung. Nach dem Krieg etablierten die Briten das Mandatsgebiet Palästina, das Mandat wurde 1922 vom Völkerbund ratifiziert.
Mit einem solchen Mandat sei die koloniale, westzentrierte Vorstellung verbunden gewesen, die dortigen Völker seien noch nicht „reif“ genug, erläutert Krämer. Sie sollten durch die Mandatsmacht „quasi väterlich oder mütterlich an die Hand genommen und zur Selbstbestimmung und Unabhängigkeit geführt werden“.
Die Briten hatten 1917 in der Balfour-Deklaration den Zionisten Unterstützung für eine nationale jüdische Heimstätte in Palästina zugesichert. Zugleich hatten sie aber - bereits 1915 – auch dem Scherifen von Mekka einen arabischen Staat in Palästina versprochen, um die Araber als Verbündete im Kampf gegen das von Istanbul aus regierte Osmanische Reich zu gewinnen.
Nach der Machtübertragung an die Nazis in Deutschland stieg die Zahl der jüdischen Einwanderer aus Europa an. Jüdinnen und Juden aus ganz Europa flohen vor Verfolgung und Massenmord. Die Spannungen zwischen jüdischer Bevölkerungsminderheit und arabischer Bevölkerungsmehrheit – Christen und Muslime – wuchs. Die britische Regierung begrenzte die Einwanderung auf 15.000 Juden pro Jahr.
Wie verlief die Staatsgründung Israels?
Im September 1947 gab Großbritannien das Mandat für Palästina zurück. Zwei Monate später stimmte die Generalversammlung der Vereinten Nationen für eine Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat.
Der Plan für die Zwei-Staaten-Lösung orientierte sich grob an den bestehenden Siedlungsverhältnissen. Die jüdische Bevölkerung nahm ihn an. Die arabischen Staaten lehnten ihn ab. Die geplante Aufteilung sei als ungerecht empfunden worden, erläutert Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Etwa 30 Prozent der Gesamtbevölkerung in Palästina seien Jüdinnen und Juden gewesen, der jüdische Staat hätte aber 56 Prozent des Territoriums ausgemacht.
Am 14. Mai 1948 verließen die letzten britischen Soldaten das Land. David Ben-Gurion, designierter israelischer Ministerpräsident, rief im Namen des Jüdischen Nationalrates am gleichen Tag den Staat Israel aus. Die USA und die Sowjetunion erkannten Israel an. Die arabischen Staaten erklärten Israel den Krieg.
Krieg und Ausweitung Israels
Am 15. Mai 1948 marschierten Soldaten aus Ägypten, Jordanien, Syrien, dem Libanon, dem Irak und Saudi-Arabien in Israel ein. Doch Israel verteidigte sich erfolgreich und ging aus diesem ersten arabisch-israelischen Krieg als Sieger hervor, gewann Gebiete hinzu.
Für die Palästinenser ging die Niederlage mit der „Nakba“ (Katastrophe) einher. Schätzungsweise 700.000 Palästinenser flohen oder wurden aus ihrer Heimat vertrieben.
Heute leben mehr als 5,9 Millionen Palästinenser in 58 Flüchtlingslagern im Libanon, in Syrien, Jordanien, aber auch im Westjordanland und im Gazastreifen. Im Juni 1967 kam es zum Sechstagekrieg, in dessen Verlauf Israel nach einem Präventivschlag gegen Ägypten auch gegen Jordanien und Syrien kämpfte. Dabei nimmt Israel das Westjordanland, Ostjerusalem, den Gazastreifen, die Golanhöhen sowie die Sinaihalbinsel ein.
Für was kämpfen die Palästinenser?
Einen Staat hatten die Palästinenser nie, aber eine gemeinsame Identität. Es gebe ein „Gefühl der Zusammengehörigkeit, durch eine Verankerung in diesem Land, durch Geschichte und ein gemeinsames Schicksal“, sagt Historikerin Krämer.
1987 begann die erste Intifada, die Palästinenser wehrten sich mit zivilem Ungehorsam, aber auch mit Steinen und Molotowcocktails. „Die Ziele der ersten Intifada sind sehr klar definiert als das Abschütteln der Besatzung von 1967“, erläutert Muriel Asseburg. Ein Jahr später rief die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) einen palästinischen Staat aus, der von vielen Ländern anerkannt wurde.
Rabin und Arafat – ein historischer Handschlag
Die Proklamation war bedeutend, sagt Politikwissenschaftlerin Muriel Asseburg. Die PLO habe damit klargemacht, bereit zur Koexistenz und Anerkennung Israels zu sein. Es folgten Friedensverhandlungen in Oslo und der Handschlag zwischen Israels Ministerpräsident Jitzchak Rabin und dem PLO-Vorsitzenden Jassir Arafat.
Die PLO und Israel erkannten sich wechselseitig an. Eine Palästinensische Autonomiebehörde sollte in Teilen der besetzten Gebiete schrittweise die Selbstverwaltung übernehmen. Die Zweistaatenlösung stand im Raum, obwohl das Oslo-Abkommen nicht explizit zu einem palästinensischen Staat geführt hätte.
Warum scheiterte der Oslo-Prozess?
1995 wurde Rabin von einem jüdischen Rechtsextremen aus der Siedlerbewegung ermordet. Bei den Palästinensern erstarkte die Hamas. Israel forcierte unter dem neuen Premier Benjamin Netanjahu den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten.
Die zweite Intifada begann im September 2000 nach dem Besuch des israelischen Oppositionsführers Ariel Scharon auf dem Tempelberg – ein Ereignis, das viele Palästinenser als Provokation empfanden. Der Aufstand hatte tiefere Ursachen: das Scheitern des Friedensprozesses, den fortgesetzten Siedlungsbau und die Frustration über die anhaltende Besatzung.
Sie dauerte von 2000 bis 2005 und war blutiger als die erste. 2005 gab Israel seine Siedlungen im besetzten Gazastreifen auf und fokussierte sich beim Siedlungsbau auf das Westjordanland. Wenige Monate später gewann die Hamas bei den Wahlen zur Palästinensischen Autonomiebehörde im Gazastreifen die Mehrheit.
Seitdem sind Versuche, in der Region Frieden zu stiften, immer wieder gescheitert. Eine Zwei-Staaten-Lösung rückte in weite Ferne. Mit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem Krieg Israels im Gazastreifen eskalierte der Konflikt erneut. Israel wird vorgeworfen, einen Genozid an den Palästinensern in dem Küstengebiet zu begehen.
Wird es einen palästinensischen Staat geben?
Im Juli 2024 stellte der Internationale Gerichtshof in einem Gutachten fest, dass die Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel rechtswidrig ist. Israel müsse nicht nur die Besetzung beenden, sondern auch seine Siedlungsaktivitäten einstellen und die Siedler evakuieren.
Vor diesem Hintergrund werden die Stimmen lauter, die die Anerkennung eines palästinensischen Staates fordern. Dabei steht die Frage im Raum, wie ein solcher Staat aussehen würde. Das Land ist mit der Westbank und dem Gazastreifen in zwei Teile zerschnitten, zudem zerstückelt durch illegale israelische Siedlungen; auch fehlt es an einer funktionierenden Regierung.
rzr