Eigenstaatlichkeit
Was die Anerkennung Palästinas bedeutet

Norwegen und die EU-Länder Spanien, Irland und Slowenien haben Palästina als eigenständigen Staat anerkannt. Welche Gründe und Auswirkungen hat das? Warum sind Deutschland und andere Länder vorerst dagegen?

06.06.2024
    Eine Illustration zeigt, wie palästinensische und israelische Flaggen zerrissen werden.
    Zumindest derzeit scheinen Friedensverhandlungen zwischen den Palästinensern und Israel in weiter Ferne. (imago / Ikon Images / Roy Scott)
    Mehr als sieben Monate nach dem Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober haben die Regierungen von Norwegen, Spanien, Irland und Slowenien Palästina als Staat anerkannt.

    Inhalt

    Warum haben Spanien, Norwegen, Irland und Slowenien Palästina als Staat anerkannt?

    Nach Ansicht des spanischen Regierungschefs Pedro Sánchez hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu „kein Friedensprojekt für Palästina“. Israels Offensive im Gazastreifen werde nur den Hass verstärken, die Sicherheitsaussichten für Israel verschlechtern und eine ungewisse Zukunft eröffnen.
    Der Schritt der Anerkennung richte sich weder gegen Israel noch gegen Juden, sagte Sánchez. Vielmehr solle dadurch die Zwei-Staaten-Lösung gefördert werden, um nach Jahrzehnten endlich Frieden in der Region zu erreichen.
    Auch Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støre spricht sich für eine schnelle parallele Existenz zweier Länder - Israel und Palästina - aus. Mit der Anerkennung Palästinas als Staat sollen ihm zufolge moderate Kräfte unterstützt werden, die im Gazakrieg „an Boden verloren“ hätten.
    Der irische Regierungschef Simon Harris sieht in der Zwei-Staaten-Lösung die einzige nachhaltige Lösung für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. In Slowenien war die Streitfrage um einen palästinenischen Staat Thema im Europawahlkampf geworden. Laut slowenischer Medien zielt die Regierungskoalition von Ministerpräsident Robert Golob mit der Anerkennung auf die Stimmen linker und liberaler Wähler ab.

    Welche Länder erkennen Palästina bereits als Staat an?

    Slowenien ist nach eigenen Angaben das 147. von insgesamt 193 UN-Mitgliedsstaaten, der Palästina als souveränen Staat anerkennt. Während viele Länder in Amerika, Afirka und Asien diesen Schritt gegangen sind, gibt es in Europa viele Länder, die einer Anerkennung bislang nicht zugestimmt haben.
    Zu den Ausnahmen in Europa zählen neben Slowenien, Spanien, Irland und Norwegen u.a. Zypern, Schweden, Serbien, die Ukraine und Russland. Fast alle Staaten Osteuropas erkennen Palästina als eigenen Staat an. Auch Malta kündigte an, einen Staat Palästina anerkennen zu wollen.
    Die Weltkarte zeigt, welche Länder Palästina als Staat anerkennen, welche dieses nicht tun und welche eine Anerkennung angekündigt haben.
    Die Weltkarte zeigt, welche Länder Palästina als Staat anerkennen, welche dieses nicht tun und welche eine Anerkennung angekündigt haben. (Deutschlandradio / Wikipedia, 2024)

    Hat Deutschland Palästina als Staat anerkannt?

    Nein. Zu den Ländern, die eine Anerkennung Palästinas als souveränen Staat vorerst ablehnen, zählt unter anderem Deutschland. Eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und Palästinensern bleibt aber Ziel der Bundesregierung – wenn auch kein kurzfristiges.
    Nach deutscher Lesart kann eine Zwei-Staaten-Lösung nur das Ergebnis eines intensiven Dialogs zwischen den Konfliktparteien sein. Dabei ist auch der Bundesregierung klar, dass solche Friedensverhandlungen zumindest derzeit noch in weiter Ferne liegen. Erst dann könne aber auch eine Anerkennung Palästinas erfolgen, heißt es.
    Hier liegt der strategische Unterschied zu Norwegen, Irland, Spanien und Slowenien. Indem die vier Länder Palästina schon jetzt als souveränen Staat anerkennen, akzeptieren sie auch die Möglichkeit, dass es zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommt, ohne dass Israel in diesen Prozess eingebunden würde. Der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte, niemand solle die Hoffnung haben, dass sich der schwierige Konflikt „durch eine diplomatische Maßnahme“ plötzlich in Luft auflöse.

    Warum lehnen auch andere Länder eine Anerkennung Palästinas ab?

    Aus zum Teil ähnlichen Motiven wie Deutschland. Frankreich hält eine diplomatische Anerkennung Palästinas als Staat für verfrüht. Es seien derzeit nicht alle Voraussetzungen erfüllt, erklärte das Außenministerium in Paris. Dennoch betrachtet Frankreich eine Anerkennung von Palästina nicht als Tabu.
    Auch die USA zeigen sich skeptisch. US-Präsident Joe Biden ist der Meinung, dass ein palästinensischer Staat durch direkte Verhandlungen zwischen den Parteien und nicht durch eine einseitige Anerkennung erreicht werden sollte. Der israelische Ministerpräsident Netanjahu hat die Anerkennung Palästinas heftig kritisiert. Ein palästinensischer Staat wäre ein Terrorstaat, warnte er.

    Welche Folgen hat die Anerkennung Palästinas durch die vier Länder?

    Völkerrechtlich gesehen erst einmal keine. Beobachter werten eine Anerkennung Palästinas vor allem als symbolischen Schritt. Recherchen des ZDF zufolge erhalten die Palästinensergebiete dadurch weder mehr Geld noch Gebietsansprüche.
    Andererseits geschieht die Anerkennung Palästinas nicht im umgangssprachlichen luftleeren Raum und könnte eine Dynamik in Gang setzen. Die Nahost-Expertin Muriel Asseburg erkennt nach 1988 und 2011 derzeit eine dritte Anerkennungswelle: „Ich denke, weil die Situation so verfahren wie noch nie ist.“
    Der Ex-Diplomat Martin Kobler ist der Ansicht, dass vor allem in Norwegens Anerkennung ein symbolisch wichtiger Schritt liegt. Norwegen stehe mit dem Oslo-Prozess für die Suche nach Frieden in Nahost und verstehe die Anerkennung als neuen Impuls.

    Wäre eine Anerkennung Palästinas ein Zugeständnis an die Hamas?

    Manche Kritiker einer möglichen Anerkennungswelle sehen darin gerade jetzt – nur gut ein halbes Jahr nach dem 7. Oktober – einen falschen Zeitpunkt. Diese könne von der Hamas als Belohnung für ihren Terror interpretiert werden, heißt es.
    Der Nahostexperte Daniel Gerlach sieht das anders: Die Hamas profitiere nicht von der Anerkennung Palästinas als Staat, betont er. "Die Hamas wäre auch nicht die Organisation, die diesen Staat nach dem Willen der internationalen Gemeinschaft regieren wird“, sagt Gerlach.

    Welche Gebiete könnten zu einem Staat Palästina gehören?

    Wahrscheinlich würde ein Staat Palästina aus derzeit zwei politischen Gebilden bestehen: dem von der Hamas regierten Gazastreifen und dem Westjordanland unter der Fatah von Mahmud Abbas.
    Dabei gibt es mehrere Probleme: Erstens sind die Grenzen zwischen Israel und palästinensisch kontrolliertem Gebiet nicht komplett geklärt. Gleiches gilt für den Status von Ost-Jerusalem.
    Zudem sind Fatah und Hamas untereinander verfeindet. Somit ist unklar, wer überhaupt der politische Ansprechpartner für einen palästinensischen Staat sein könnte.
    Der 88-jährige Abbas hat nur noch wenig Autorität, die letzte politische Legitimation - seine Wahl zum Chef der Autonomiebehörde - liegt inzwischen fast zwei Jahrzehnte zurück. Die Hamas wiederum ist als Terrororganisation für Israel und viele andere Staaten als Verhandlungspartnerin nicht akzeptabel.
    Die Karte zeigt, aus welchen Gebieten ein Staat Palästina bestehen könnte.
    Die Karte zeigt, aus welchen Gebieten ein Staat Palästina bestehen könnte. (Deutschlandradio / dpa Infografik, 2024)
    Der Begriff „Staat“ beschreibt im Völkerrecht einen politisch und rechtlich organisierten Personenverband (Staatsvolk), der auf abgegrenzter Fläche (Staatsgebiet) einer Bevölkerung eine eigene Ordnung (Staatsgewalt) gibt. Je umstrittener die Beurteilung als Staat ist, desto wichtiger ist die Anerkennung durch andere Staaten. Die herrschende Meinung im Völkerrecht geht aber davon aus, dass die Anerkennung nicht Voraussetzung, sondern nur Bestätigung für die Existenz eines Staates ist.

    jma