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Pandemieforschung
Zu viele Menschen verschieben Arzttermine wegen Corona

Seit Oktober 2020 untersuchen Mainzer Uni-Mediziner in einer Studie, wie sich die Corona-Pandemie und die Schutzmaßnahmen auf die Gesundheit von rund 10.000 Menschen auswirken. Ein Zwischenergebnis: Die Impfbereitschaft ist gestiegen. Es gibt aber auch Grund zur Besorgnis unter den Forschern.

Von Anke Petermann | 30.01.2021
    Patienten stehen in großen Abständen zueinander am frühen Morgen vor einer Arztpraxis in Berlin-Lübars an
    Medizinische Untersuchungen fielen während der Pandemie bei einem Viertel der Probanden aus, ergab die Gutenberg COVID-19-Studie (picture alliance/dpa | Kay Nietfeld)
    "Hallo Studienteilnehmer. Ihr aktueller Fragebogen kann jetzt ausgefüllt werden. Bitte erledigen Sie dies bis zum 1.2., 18 Uhr", teilt die Handy-App der Gutenberg COVID-19-Studie mit. 62 Prozent der Teilnehmer haben sie runtergeladen und ergänzen zwei persönliche Untersuchungs- und Befragungsterminen im Rahmen der Studie. Ob man Kontakt mit positiv Getesteten hatte oder selbst auf Corona getestet wurde, will die App wissen. Meldet jemand eine Infektion, dann möchte sie alle zwei Tage mit Angaben gefüttert werden. Sonst fragt sie wöchentlich ab, ob man gereist ist, an Versammlungen teilgenommen hat und Corona-assoziierte Symptome verspürt. Ob sich etwas im Beruf oder Einkommen geändert hat. Außerdem, Lebensumstände, Stimmungslage, körperliche Verfassung.

    Langzeiteffekte können ermittelt werden

    (*) "Alkoholkonsum ist zum Beispiel ein Stichwort", erklärt Professor Philipp Wild, der die Mainzer Bevölkerungsstudie leitet. "Es gibt viele Menschen in der Pandemie, die mehr getrunken haben, es gibt aber durchaus auch Menschen, die in der Pandemie mehr auf sich geachtet und ihren Alkoholkonsum eingestellt haben. Im Saldo müssen wir das genau untersuchen und differenziert betrachten: Die Bevölkerungsgruppen, die zum Beispiel aus Angst keinen Sport mehr gemacht haben und andere Gruppen, die gerade begonnen haben, intensiv Sport zu machen, weil Ihnen die Bedeutung von Gesundheit bewusster geworden ist."

    Sorge wegen abgesagter Untersuchungen

    Medizinische Untersuchungen fielen während der Pandemie bei einem Viertel der Probanden aus. Zu gleichen Teilen sagten die Behandler und die Patienten ab. "Das ist in der Risikoabwägung die falsche Entscheidung, diese Termine nicht wahrzunehmen, denn im Vergleich zur Corona-Infektion bleibt natürlich auch das Risiko für die Volkserkrankung bestehen", moniert Professor Wild.
    Die Wissenschaftlerin Katharina Kleilein untersucht an der Sterilbank im Labor des Life-Science-Unternehmens Yumab die optische Dichte einer Bakterienkultur. Das Startup-Unternehmen forscht zur Entwicklung menschlicher Antikörper und versucht so Medikamente gegen Covid-19 zu entwickeln.
    Kampf gegen Coronavirus - Medikamente zur Behandlung von COVID-19
    Einen Impfstoff oder ein neues Medikament zu entwickeln, ist langwierig. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie muss es schneller gehen. Die Hoffnung richtet sich daher auf bekannte Medikamente, die umfunktioniert werden könnten. Hoffnungsträger war Remdesivir, aktuell stehen Antikörper-Mittel im Fokus.
    "Da habe ich schon eine gewisse Sorge, dass wir in einem halben, einem Dreivierteljahr feststellen, dass Menschen dann mit einem fortgeschrittenen Krankheitsbild kommen, vielleicht einem fortgeschrittenen Tumorleiden", ergänzt Professor Norbert Pfeiffer, Chef der Universitätsmedizin Mainz. Langfristig will die Studie ermitteln, wen Corona trifft und vor allem, wen eine Infektion schwer trifft. Auch welche Rolle die Lebensumstände dabei spielen. Etwas über die Hälfte der Befragten war im Homeoffice, ergibt die Studie - aber nur 16 Prozent ausschließlich. Trotz der Wirtschaftshilfen sieht jeder Zehnte sein Netto-Einkommen sinken.

    Die meisten fühlen sich seelisch belastet

    Die ersten Ergebnisse der Gutenberg COVID-19-Studie aber betreffen vor allem den Umgang der Menschen mit der Pandemie. Seelisch belastet fühlen sich die weitaus meisten. Welche Rolle Isolation und Einsamkeit im Lockdown spielen, bleibt zu analysieren. Trauer und Angst bewegen sich durchschnittlich auf niedrigem Niveau. Ein gewisses Maß an Angst hält Psychologie-Professor Manfred Beutel in der Pandemie für angemessen:
    "Wenn wir Einschränkungen hinnehmen, brauchen wir vielleicht auch ein gewisses Maß an Angst, um daran zu denken, um es auch ernst zu nehmen. Deshalb glaube ich, dass es eine gesunde Angst ist, und eine gesunde Angst motiviert uns auch Dinge zu tun, die sinnvoll sind.
    90 Prozent der Teilnehmer geben an, den Mund-Nasen-Schutz vorschriftsmäßig zu tragen, die Abstandsregeln halten aber weniger als die Hälfte konsequent ein, obwohl 90 Prozent glauben, dass Abstand vor Infektion schützt. Verweigerung ist jedenfalls die Ausnahme. Vielleicht auch, weil nur vier Prozent der 5.500 Befragten die Ursache der Pandemie in einer Verschwörung sehen. Das ist verglichen mit anderen Erhebungen ein unterdurchschnittlicher Wert. Ob er mit der gelassenen Mentalität der Mainzer Region zu tun hat, bleibt offen.
    33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
    (*) Wir haben einen Absatz mit Angaben zum allgemeinen Gesundheitszustand der Befragten gelöscht, nachdem die Universität die zugrunde liegenden Angaben korrigiert hat.