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Papst Franziskus zum Zölibat
Es bleibt alles beim Alten

Papst Franziskus will vorerst nichts am Pflichtzölibat ändern. In seinem mit Spannung erwarteten Schreiben zur sogenannten Amazonas-Synode spart er das Thema aus. Offenbar hält Franziskus die Zeit noch nicht für reif - und fürchtet zu starke Zentrifugalkräfte, so die Einschätzung von Andreas Main.

Von Andreas Main |
Das Foto zeigt Papst Franziskus auf der Amazonas-Synode der katholischen Bischöfe.
Das Foto zeigt Papst Franziskus auf der Amazonas-Synode der katholischen Bischöfe im Oktober 2019 - jetzt hat er entschieden (imago / Independent Photo Agency Int.)
Papst Franziskus hat entschieden: Er entscheidet erstmal nichts. Er wird vorerst nichts ändern am Pflichtzölibat für Priester. Und damit hat er sich entschieden. Das Wort "Zölibat" taucht kein einziges Mal auf in seinem "Nachsynodalen Apostolischen Schreiben 'Querida Amazonia'". Das erstaunt, denn bei der sogenannten Amazonas-Bischofssynode im Oktober war drei Wochen lang auch über dieses Thema debattiert worden: Wird es am Amazonas demnächst verheiratete katholische Priester geben, und vielleicht als Zugabe auch noch Frauen als Gemeindeleiterinnen oder Diakoninnen?
Ein rund 70 Seiten langen Schlussdokument der Synode mit 120 Paragrafen war entstanden, das sich vorsichtig für Öffnungen aussprach. Daraus musste der Papst in den vergangenen drei Monaten einen Text machen, der dann immerhin den Rang eines lehramtlichen Papst-Dokuments hat.
Kommentar: Päpstliche Provokation
Mit seinem neuen provokanten Schreiben gibt Papst Franziskus Hoffnung, aber zugleich enttäuscht er massiv, meint Andreas Main. Der für säkulare Mitteleuropäer teils unlesbare Papstbrief werde Geschichte schreiben - oder der katholischen Kirche schaden.
Es wird in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten viel von Enttäuschung die Rede sein. Enttäuscht sein werden jene, die in diesem Jesuiten-Papst den Reformer schlechthin sahen oder sehen. Sein Text wird jene enttäuschen, die sich massiv einer dezidierten Reform-Agenda verschrieben haben, wie sie vor allem in der katholischen Kirche hierzulande vertreten wird. Der Papst enttäuscht auch jene Gemäßigten, die sich jüngst in Frankfurt auf den Synodalen Weg gemacht haben, jenem Debatten-Format, das Kardinal Reinhard Marx vorangetrieben hatte, der am 11. Februar seinen Rückzug ankündigte.
Keine Anpassung an den Zeitgeist
Jubeln werden alle, die sich eine katholische Kirche ohne generellen Pflichtzölibat nicht vorstellen können. Womöglich werden selbst jene jubeln, die grundsätzlich Treue zum Papst einfordern, aber nur noch despektierlich von Bergoglio reden. Denn auf den ersten Blick scheint sich der Papst auf die Seite jener geschlagen zu haben, die alles verhindern wollen, was wie eine Anpassung an den Zeitgeist wirken könnte.
Aber vielleicht wird der Jubel bald verhallen und die Enttäuschung umschlagen in Zuversicht. Das ist zweifellos Spekulation. Aber der Papst sagt nicht grundsätzlich Nein zu Veränderungen. Er hält die Zeit dafür offenbar noch nicht für reif. Vielleicht fürchtet er, die Zentrifugalkräfte in dieser globalen Kirche könnten so groß werden, die Tendenzen zur Zerfaserung und Zersplitterung, dass er seinem zentralen Auftrag nicht gerecht würde: die Einheit seiner Kirche zu bewahren. Wer beobachtet, wie sich radikale Reformer und konservative Ultras attackieren, kann nachvollziehen, dass der Papst davor Angst hat, die Fliehkräfte könnten so stark werden, dass ihm der Laden um die Ohren fliegt, selbst wenn er sich nur ausgesprochen hätte für minimale Optionen, das Priesteramt regional für Nicht-Geweihte zu öffnen.
Papst setzt auf neue Sprache
Was auffällt: Dieses päpstliche Schreiben setzt auf eine Sprache, die es so kaum gegeben hat in der Kirchengeschichte. Der Papst träumt. Er träumt vier Träume. Er träumt "von einem Amazonien, das für die Rechte der Ärmsten, der ursprünglichen (autochthonen) Völker, der Geringsten kämpft". Er träumt von einem "Amazonien, das seinen charakteristischen kulturellen Reichtum bewahrt". Er träumt von einem Amazonien, "das die überwältigende Schönheit der Natur, die sein Schmuck ist, eifersüchtig hütet, das überbordende Leben, das seine Flüsse und Wälder erfüllt". Und er träumt von "christlichen Gemeinschaften, die in Amazonien sich dermaßen einzusetzen und Fleisch und Blut anzunehmen vermögen, dass sie der Kirche neue Gesichter mit amazonischen Zügen schenken."
Erinnerungen an Martin Luther King
Der Papst stellt also in brennender Sorge eine - im wahrsten Sinne des Wortes - brennende Region in den Mittelpunkt. Dass die Amazonas-Synode quasi vom Zölibats-Thema überschattet wurde, zumindest in unseren Breiten, rückt er zurecht. Er will der Papst sein, der die Ränder in den Blick nimmt. Und er will nichts anordnen. Sein Text ist in einigen Passagen geradezu lyrisch. Papstschreiben, die über Jahrhunderte von dogmatischen oder kirchenrechtlicher Strenge geprägt waren, werden nun zu einem Traum. Das erinnert manchmal an einen Martin Luther King. Wenn ein Papst lateinamerikanische Gedichte von Indigenen zitiert, reformiert er zwar nicht den Zölibat - aber womöglich langfristig das Papstamt von innen heraus.
Der Papst hat dasselbe Problem wie Politikerinnen und Politiker in vielen westlichen Ländern. Die Mitte bröckelt. Die Ränder werden immer lauter. Ein Papst hat nicht die Möglichkeit zurückzutreten wie Parteivorsitzende. Er muss die Zwickmühle aushalten. Aus ihr will der Papst raus. Indem er sich nicht entscheidet, will er die Mitte stärken. Ob das gelingen wird? Indem er sich entscheidet, nichts zu entscheiden, hat er sich ja auch entschieden. Gegen eine Veränderung des Priesteramts.