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Paris
Bürger-Pass eingeführt

Nach den Anschlägen von Paris im November hat die Stadtverwaltung nach einem Weg gesucht, um den Zusammenhalt zu stärken. Entwickelt wurde die "Carte du Citoyen", eine Art Bürger-Pass. Für Inhaber der Karte öffnen sich sonst verschlossene Türen und Möglichkeiten zum direkten Austausch mit Politikern.

Von Suzanne Krause | 08.03.2016
    Das Hotel de Ville, das Pariser Rathaus, von der Seine aus gesehen.
    Das Pariser Rathaus (picture alliance / ZB / Matthias Tödt)
    Freundlich begrüßt Pauline Véron zwei Nachzügler beim Kaffeeklatsch, zu dem die stellvertretende Bürgermeisterin - zuständig für die Bereiche lokale Demokratie, Vereinsleben und Jugend - geladen hat. Eine Handvoll Bürger, zumeist Mitte, Ende 20 und allesamt bereits Besitzer der Carte du Citoyen, sind in den kleinen Saal im Hotel de Ville, feudaler Amtssitz der Pariser Oberbürgermeisterin, gekommen. Die Wände zieren Belle-Epoque-Gemälde leicht bekleideter Tänzerinnen. Am Tisch hingegen herrscht Arbeitsatmosphäre. Gerade berichtet Pauline Véron von einem Thema, das dem Rathaus große Sorgen bereite: 25.000 Jugendliche in Paris verfügen weder über eine Ausbildung noch über einen Job. Und bei manchem drohe, dass er sich mangels Perspektiven den Dschihadisten anschließe.
    "Wir müssen die Initiativen von Bürgern, die sich in diesem Bereich engagieren, unterstützen, um zu versuchen, abdriftende Jugendliche aufzufangen. Denn seit einigen Jahren beobachten wir ein neues Phänomen: Mancher Jugendliche fühlt sich von all den Angeboten, die wir machen, von Sozial- und Eingliederungsprogrammen, einfach nicht mehr angesprochen. Ganz so, als lebe er in einer Parallelgesellschaft, die mit der unseren nichts mehr zu tun hat."
    Die Stadt gibt Gelder für die Umsetzung von Bürger-Projekten
    Und so setzt die Stadt auf engagierte Einwohner wie Grégory Molter. Der junge Mann hat erst vor kurzem einen Verein gegründet: 'Benevole-at-home' versammelt Bürger, die bedürftigen Menschen helfen wollen, sei es mit einem Päckchen Lebensmittel oder einigen Stunden Babysitten, erläutert Molter der stellvertretenden Bürgermeisterin.
    "Wir möchten Ihnen unser Konzept vorstellen, das schon ziemlich erfolgreich ist - in nur drei Monaten konnten wir 650 ehrenamtliche Mitstreiter gewinnen. Um weiter zu kommen, hoffen wir nun auf politische und finanzielle Unterstützung von der Stadt."
    Und diese finanzielle Unterstützung gibt es für Bürger, die ihre Ideen bei der Stadtentwicklung einbringen möchten: das sogenannte partizipative Budget. Zum zweiten Mal stellt das Rathaus inzwischen Gelder für die Umsetzung von Bürger-Projekten zur Verfügung: insgesamt 100 Millionen Euro. Die Carte du Citoyen dient als weiteres Mittel, das Zugehörigkeitsgefühl der Hauptstadtbewohner zu stärken. Eine Botschaft, die bei der Wahl-Pariserin Lucie Yeung ankommt.
    "Ich habe mir den Bürger-Pass sofort nach seiner Einführung besorgt. Und ich bin sehr glücklich darüber, denn der Pass verschafft mir Zugang zu unterschiedlichsten Veranstaltungen - wie dem heutigen Kaffeeklatsch mit Pauline Véron, die sonst für mich unerreichbar wäre. Mir scheint, dass die Stadtverwaltung mit dem Bürger-Pass sich dem, was wir Bürger anzubieten haben, wirklich öffnet, Dialogbereitschaft signalisiert."
    Werbung für die Carte du Citoyen
    Nach einer mit Anekdoten gespickten Besichtigungstour durch die Säle und Kulissen des Hotel de Ville verabschiedet Pauline Véron ihre Gäste. Sie ist zufrieden.
    "In den ersten drei Wochen haben wir schon knapp 100.000 Bürger-Pässe ausgegeben. Der Erfolg gibt uns recht: Lange Zeit wurde wohl vergessen, wie wichtig die Bürgerbeteiligung bei der alltäglichen Stadtpolitik doch ist. Um die komplexen Probleme einer Weltstadt wie Paris anzugehen, sollte es bei der Suche nach Lösungen auch mehr Austausch mit den Bürgern geben."
    Auch Grégory Molter, der Vorsitzende des jungen Bürgerhilfe-Vereins, macht Werbung für die Carte du Citoyen. Und hat eine entscheidende Anregung:
    "Das ist eine tolle Initiative. Verbesserungswürdig hingegen wäre eines: Beim Kaffeeklatsch hat die stellvertretende Bürgermeisterin viel Zeit damit verbracht, die Stadtpolitik darzustellen. Ich würde mir wünschen, dass die Stadt mehr zuhört, was die Bürger zu sagen haben. Aber nun gut: Dieser Dialog ist ja gerade erst im Aufbau."