Anschläge von Paris vor 10 Jahren
Wie der islamistische Terrorismus sich gewandelt hat

Zehn Jahre ist die Terrornacht vom 13. November in Paris her. Zum Anschlag mit 130 Toten bekannte sich der Islamische Staat (IS). Heute werden Attentate oft von Einzeltätern verübt – auch als Reaktion auf erhöhte Sicherheitsvorkehrungen.

    Sicherheitskräfte mit Schusswaffen: Sie stehen vor dem Konzertsaal Bataclan wenige Minuten nach dem Anschlag vom 13.11.2015.
    Sicherheitskräfte vor dem Konzertsaal Bataclan wenige Minuten nach dem Anschlag (picture alliance / dpa / ©tatif / Wostok Press)
    Für Frankreich und ganz Europa war es ein traumatischer Tag: Am Abend des 13. November 2015 töteten Islamisten 130 Menschen im Großraum Paris. Hunderte Menschen wurden verletzt. Im Konzertsaal „Bataclan“ richteten die Attentäter ein Blutbad an. Sie schossen auf Menschen in einem Ausgehviertel. Sie zündeten vor dem Stade de France ihre Sprengstoffgürtel.
    Zehn Jahre nach den Anschlägen von Paris hat sich die Terrorgefahr in Europa gewandelt – und auch das Profil der Attentäter. Zu den Taten bekannte sich der Islamische Staat (IS) – eine Terrororganisation mit umfassenden Organisationsstrukturen.
    Heute hingegen gibt es fast ausschließlich sehr lockere Netzwerke und in den meisten Fällen Einzeltäter, die sich im Internet radikalisieren, erläutert Terrorexperte Peter Neumann. Teils schlügen die Täter auch auf eigene Faust zu und hofften, dass Terrornetzwerke ihre Tat später für sich beanspruchen würden.

    Wer waren die Attentäter der Anschläge von Paris?

    Die meisten der Attentäter von Paris  kamen fast alle aus Molenbeek, einem Viertel in Brüssel. Zum Teil kannten sie sich bereits vorher und verbrachten Zeit zusammen. Manche von ihnen reisten gemeinsam nach Syrien.
    Damals verfügte der IS über umfangreiche Organisationsstrukturen, zahlreiche Mitglieder und große finanzielle Mittel. „Vor zehn Jahren hatten wir richtige Netzwerke, die sich über Monate hinweg organisiert haben, die miteinander kommuniziert haben. Es war alles recht professionell“, sagt Terrorexperte Neumann. Der IS war eine dschihadistische Organisation, die sich in vielfacher Hinsicht von anderen Terrororganisationen – wie beispielsweise al-Qaida – unterschied.
    Heute schaffe der IS es nicht mehr, in Europa solche Netzwerke zu organisieren, meint Neumann.

    Wie kam es zum „Aufstieg“ des Islamischen Staats (IS)?

    Der zweifelhafte Aufstieg des IS zu einer der wirkmächtigsten Terrororganisationen begann mit dem Sturz des Regimes Saddam Husseins 2003 im Irak. Fast alle Sunniten, die vorher in den Sicherheitskräften gedient hatten, konnten im irakischen Staat keine Anstellung mehr bekommen. 
    Viele schlossen sich einer Vorgängerorganisation des IS an. Die Führungspositionen in dieser Terrororganisation wurden teilweise von hohen Offizieren des Regimes Saddam Husseins besetzt. „Und die sorgten dafür, dass diese Organisation nicht nur eine gewöhnliche Terrorgruppe ist, die erfolgreich Anschläge verübt. Die versuchten, ein strukturiertes Militär aufzubauen”, schildert der Islamwissenschaftler Guido Steinberg die damalige Entwicklung. Eine „Geheimpolizei“ wurde gegründet,  in der sich eine Abteilung um Attentate „im Ausland“ kümmerte, so Steinberg. Es kam nicht nur in Frankreich zu Anschlägen. Auch in Belgien, Deutschland, der Türkei und im russischsprachigen Raum wurde der IS aktiv. 
    Der Islamische Staat wuchs zu einer Organisation mit umfangreichen Organisationsstrukturen, mit sogenannten Ministerien und Abteilungen mit Hunderten, vielleicht Tausenden Angestellten. Zum Zeitpunkt der Anschläge soll der IS außerdem über ein großes Vermögen von etwa zwei Milliarden US-Dollar verfügt haben. Bei der Eroberung von Gebieten in Irak und Syrien machte die Terrororganisation reichlich Beute. Im Juni 2014 rief sie in den Regionen das Kalifat aus. Sie verfügten über Ölvorkommen, erhoben Zölle und Steuern. Der IS wurde zur „reichsten Terrororganisation der Weltgeschichte“, so Steinberg.

    Warum gerieten ausgerechnet Paris und Frankreich in den Fokus der IS-Attentäter?

    Doch der IS sah sich in Konkurrenz zu al-Qaida. Diese islamistische Terrororganisation war zwar sehr viel kleiner, konnte jedoch die Anschläge vom 11. September 2001 für sich verbuchen. Um vergleichbaren Schrecken in der westlichen Welt zu verbreiten, schien Paris für die Terroristen das ideale Anschlagsziel zu sein. 
    Zudem waren zahlreiche Franzosen und Belgier unter den „ausländischen“ IS-Kämpfern, die eine große Abneigung gegenüber Frankreich entwickelt hatten. 

    Welche Gefahr geht heute vom IS aus?

    Mittlerweile hat der IS die eroberten Gebiete im Irak und Syrien verloren. Trotzdem geht nach wie vor Gefahr von der Terrororganisation aus. Denn der IS hat in vielen Regionen sogenannte Provinzen aufgebaut: in Burkina Faso, in Niger, in Somalia, in Mosambik, im Kongo, in Afghanistan, auf den Philippinen. „Die führen das Werk des IS im Irak und Syrien fort. Besonders stark ist in den letzten Jahren der IS in Afghanistan geworden”, sagt Steinberg. “Und viele der Attentate oder Attentatsplanungen, die wir hier in Europa in den letzten Jahren hatten, die gehen genau auf diese Organisation zurück.“
    Doch der Westen hat reagiert: mit Militärallianzen, neuen Anti-Terror-Gesetzen und Präventionsmaßnahmen. “Die Bedrohungslage hat sich massiv geändert. Ein solcher Anschlag wie damals ist immer noch denkbar. Ich halte ihn aber für eher unwahrscheinlicher”, sagt Islamwissenschaftler Steinberg. Die Zahl der sogenannten Gefährder in Deutschland sei beispielsweise zurückgegangen. Derzeit betrage sie etwa 500, so Steinberg. Zu Höchstzeiten seien es bis zu 800 gewesen.
    „Wir sehen, dass die Ambitionen weiterhin da sind, um große Anschläge zu verüben“, meint Islamismusexperte Petter Nesser. Doch dank effizienterer Sicherheitsbehörden würden diese Pläne oft vereitelt und eher kleinere Attacken tatsächlich durchgeführt - mit weniger Opfern. „Das ist im Grunde eine taktische Anpassung und nicht die bevorzugte Strategie der Dschihadisten.“

    Beitrag: Steffi Orbach, Onlinetext: Leila Knüppel