
Eigentlich sind die Schweizer wahlfaul. Während in der EU die durchschnittliche Wahlbeteiligung bei 66 Prozent liegt, beteiligte sich in der Schweiz bei den letzten Nationalratswahlen nicht einmal jeder zweite Stimmberechtigte. Das liege unter anderem am System der direkten Demokratie - erläutert der Politikforscher Andreas Ladner von der Universität Lausanne:
"Ganz klar, wir haben traditionell eher eine tiefe Wahlbeteiligung, und das wird so begründet: dass halt die Leute sonst, wenn wichtiger wird, wenn es zu Abstimmungen kommt, also wenn es dann zu Fragen kommt, wo man konkret Ja oder Nein sagen kann mit der direkten Demokratie, dann - je nachdem, wenn es wichtig ist - können sich die Leute ja dann noch immer beteiligen und können dann sagen, was gemacht werden muss."
Die letzten Wahlen 2015 standen unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise. Sie bescherte der schon seit Jahren stärksten Partei, der rechtskonservativen, EU- und zuwanderungskritischen Schweizerischen Volkspartei, SVP, das Rekordergebnis von fast 30 Prozent. Doch nicht mehr die Zuwanderung beschäftigt die Schweizer am stärksten, sondern ein anderes Thema, erläutert Politikforscher Andreas Ladner:
"Wir sehen tatsächlich, dass in diesem Wahlkampf, die Umwelt und vor allem der Klimawandel das entscheidende Thema ist. Das ist etwas, was alle Leute umtreibt und wo sie sich Sorgen machen."
SVP setzt auf Altbekanntes
Und zwar noch vor der Finanzierung von Renten und Krankenkassen, dem komplizierten Verhältnis zur Europäischen Union oder der Zuwanderung. Angesichts dessen hat sich die zweitstärkste Schweizer Partei, die liberale FDP, dem Thema Klimawandel geöffnet. Die SVP setzt dagegen weiter auf Altbekanntes: Abgrenzung von der EU und Begrenzung der Zuwanderung, so Parteipräsident Albert Rösti:
"Wir sind nicht eine Partei, die auf Umfragen zur Stimmungslage reagiert, sondern wir wollen das bearbeiten, was für den Wohlstand unseres Landes richtig ist, was auch langfristig für den Erfolg der Partei richtig ist, eine programmatische Partei, die seit hundert Jahren sich für Freiheit und Sicherheit einsetzt. Da wechselt man nicht die Thematik, nur weil ein paar Schüler auf die Straße gehen und über apokalyptische Szenarien zum Weltuntergang diskutieren."
Diese Haltung dürfte laut der letzten Wahlumfrage des Schweizer Radio und Fernsehens die SVP Stimmen kosten, doch der Parteichef gibt sich gelassen. Albert Rösti: "Wir hatten auch vor vier Jahren einen negativen Trend vorausgesagt und dann gewonnen. Ich bin zuversichtlich."
Während den Mitteparteien - egal ob christlich-bürgerlich oder sozialdemokratisch - keine größeren Veränderungen vorhergesagt werden, dürfen sich die Öko-Parteien auf Zuwächse freuen. Entsprechend der Umfragen legen die Grünen und die Grünliberalen zusammen auf 18 Prozent zu und wären damit die drittstärkste Kraft. Nach dem Rechtsrutsch von vor vier Jahren wird jetzt schon vom Grünrutsch gesprochen. Auf die Zusammensetzung der Schweizer Regierung wird das wohl keinen Effekt haben, obwohl traditionell im siebenköpfigen Bundesrat die vier stärksten Parteien vertreten sind. Die Hoffnung der Grünen auf einen Ministerposten dürfte sich nicht erfüllen, meint Balthasar Glättli der bisherige Fraktionschef der Grünen im Nationalrat:
Die Grünen bleiben wohl außen vor
"Die Wahrscheinlichkeit, dass die Grünen ihre grundsätzlich berechtigte Forderung, endlich in der Regierung auch Mitverantwortung tragen zu dürfen, auf Bundesebene realisieren können, ist sehr klein. Die Verteilung der Bundesratssitze - das ist ja quasi ein Kartell der vier größten Parteien, und die müssten ja gegen ihre eigenen Interessen abstimmen, um uns einen Sitz zu geben."
Das wird wohl erst passieren, wenn sich die Kräfteverhältnisse im Nationalrat auf Dauer verändern - also über mehrere Legislaturperioden. Auch wenn die Wahlen also keine großen Veränderungen bringen, so wird der Wahlausgang dennoch einen Effekt haben, erklärt Politikforscher Andreas Ladner:
"Das sind Signale, die dann aufgenommen werden, die auch in die Politik einfließen. Man weiß, Ökologie ist ein Thema, wird wichtiger werden. Und es wird schwieriger, mit immigrationsfeindlichen Parolen die großen Massen zumindest zu erreichen. Also, die Auswirkungen sind nicht ein Wandel der Kräfteverhältnisse fundamental, sondern es sind mehr so kleine Korrekturen in der Politik, die dann aber auf längere Zeit hinaus durchaus ihre Auswirkungen haben können."