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Parlamentswahl in Griechenland
"Alles ist noch offen"

Der frühere griechische Regierungssprecher Evangelos Antonaros hält einen Sieg des Linksbündnisses Syriza unter Führung von Alexis Tsipras bei der Parlamentswahl für möglich. Allerdings seien die Wähler verunsichert. Und die Regierung setze darauf, "dass die Leute Angst bekommen", sagt der Nea-Dimokratia-Politiker im DLF.

Evangelos Antonaros im Gespräch mit Jürgen Liminski | 30.12.2014
    Evangelos Antonaros
    Evangelos Antonaros (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    Tsipras wechsele "ständig seine Positionen" und werde dabei "gelegentlich moderater", dem gegenüber stünden die Linksradikalen in seiner Partei, so Antonaros. "Deshalb werden viele griechische Wähler, die die jetzige Regierung abwählen wollen, stutzig."
    Der Politiker der liberal-konservativen Partei Nea Dimokratia erwartet vor der Parlamentswahl am 25. Januar nach der gescheiterten Präsidentschaftswahl keine gewalttätigen Demonstrationen. "Die Menschen können es sich nicht mehr leisten, einfach auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren." Es könne aber sein, dass die Menschen "Frust und Unzufriedenheit freien Lauf lassen" und es so zu einer noch größeren Niederlage für die jetzige Koalition komme.
    Grundsätzlich müsse Griechenland seine Reformen fortsetzen. Sollte Tsipras die Wahl gewinnen, müsse man mit einer Zeit der "schwierigen Beziehungen der griechischen Regierung zum europäischen Partner rechnen".

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Gestern Mittag um kurz vor zwölf, da dürften sich Menschen überall in der Europäischen Union gefragt haben: Geht die Sache nun wieder von vorn los? Gemeint ist natürlich die Euro- und Schuldenkrise. Zu diesem Zeitpunkt war nämlich der dritte Anlauf im griechischen Parlament gescheitert, einen neuen Staatspräsidenten zu wählen. Die Konsequenz: Ende Januar gibt es nun Neuwahlen in Griechenland. Und der Ausgang ist mehr als ungewiss: In den Umfragen vorn liegt die linkspopulistische Partei Syriza, die ein Ende aller Sparprogramme und einen Schuldenerlass für das Land fordert. Thomas Otto fasst die Reaktionen darauf in Brüssel zusammen:
    So weit Thomas Otto zu den Reaktionen in Brüssel auf die anstehenden Neuwahlen in Griechenland. Der Oppositionsführer im Athener Parlament, der Name ist ja gerade schon gefallen, Syriza-Chef Alexis Tsipras, kündigte unmittelbar nach der Parlamentsentscheidung an, der Rettungsplan der Troika aus EU, EZB und IWF werde schon in wenigen Tagen der Vergangenheit angehören. Der gestrige Tag, so Tsipras wörtlich, sei historisch für die griechische Demokratie. Mein Kollege Jürgen Liminski hat gestern Abend den Publizisten und früheren Sprecher der konservativen griechischen Regierung, Evangelos Antonaros gefragt, wie ernst solche Parolen zu nehmen sind.
    Evangelos Antonaros: Das ist natürlich das ganz große Rätsel im Moment. Das ist ein Rätsel seit vielen Wochen, weil Tsipras seine Positionen, den Eindruck hat man ganz bestimmt, ständig wechselt. Er wird gelegentlich moderater, da kommen manche Leute allerdings aus seiner Partei und werden sehr radikal, sehr linksradikal, und deswegen werden auch sehr viele griechische Wähler, die eigentlich möglicherweise die jetzige Regierung abwählen wollen, die werden doch stutzig. Und Parolen haben in der griechischen Politik eine sehr lange Tradition. Sie werden von den Wählern oft ernster genommen, als sie tatsächlich sind, und das führt zu Missverständnissen.
    Jürgen Liminski: Werden die Reformen fortgesetzt oder tatsächlich ausgesetzt?
    Antonaros: Griechenland muss die Reformen fortsetzen, das ist ganz klar. Sonst kommt das Land nicht über die Runden. Sonst kann das Land die Krise, die sehr tief ist, nicht bewältigen. Aber ob die Reformen, die in den letzten sechs Monaten, seit der Europawahl, würde ich sagen, ständig an Elan verloren haben, sofort fortgesetzt werden oder noch mehr Zeit verloren wird, das kann ich leider nicht voraussagen. Ich würde eher sagen, dass, sollte Tsipras die linke Koalition, die linke Partei die Wahl gewinnen, dann würde man eher mit einer Zeit der schwierigen Beziehungen zu Griechenlands europäischen Partnern rechnen müssen.
    Liminski: Zu den konkreten Problemen: Es fehlen elf Milliarden Euro in der griechischen Kasse. Der IWF hat die Hilfszahlungen ausgesetzt. Woher kann die künftige Regierung das Geld holen?
    "...dann können Gehälter und Renten nicht bezahlt werden"
    Antonaros: Es ist sehr interessant, dass ausgerechnet heute, jetzt vor ein paar Stunden, der griechische Finanzminister sehr deutlich und öffentlich gesagt hat, dass es Geld nur noch bis Februar gebe. Das bedeutet in der Praxis, dass bis Februar man sich hätte einigen sollen. Sonst kommt Griechenland an kein Geld. Dann gibt es ein Loch in der Kasse, dann können Gehälter und Renten nicht bezahlt werden. Und das wird die Leute, glaube ich, die jetzt schon sehr böse und unruhig und verunsichert sind, noch mehr verärgern. Es muss also eine Möglichkeit gefunden werden, dieses Geld aufzutreiben. Auf den internationalen Geldmärkten ist das nicht mehr möglich, insofern ist man auf die Hilfe der europäischen Partner angewiesen.
    Liminski: Sollte aber die künftige Regierung keinen Schuldenschnitt oder weitere Hilfen bekommen – ist da mit Gewalt auf der Straße zu rechnen?
    "Die Regierung setzt darauf, dass die Leute Angst bekommen"
    Antonaros: Ich glaube, nicht. Die Griechen sind ein sehr geduldiges Volk geworden in den letzten vier, fünf Jahren. Das hat natürlich mit den Schwierigkeiten und den Härten etwas zu tun, die sie in Kauf nehmen mussten: Erheblich höhere Steuern, Verlust an Einkommen durch die Kürzung von Gehältern und Renten, Hunderttausende von verlorenen Arbeitsplätzen. Die Leute können es sich einfach nicht mehr leisten, auf die Straße zu gehen und einfach zu demonstrieren. Sie haben weder die Zeit noch die Kraft, so etwas zu tun. Ich würde sagen, sie nehmen alles sehr passiv zur Kenntnis, und es kann natürlich sein, dass bei der Wahl am 25. Januar sie diesem Ärger, dieser Unzufriedenheit, diesem Frust freien Lauf lassen. Und deswegen kann es dann zu einer noch größeren Niederlage für die jetzige liberal-sozialdemokratische Koalition kommen. Aber alles ist noch offen. Die Regierung setzt darauf, dass die Leute Angst bekommen werden vor einer Regierung Tsipras. Und sie will noch schärfere Töne in den kommenden vier Wochen einschlagen. Und deswegen weiß man noch nicht so ganz genau, wie diese Wahl ausgehen wird. Tsipras ist vorne, das ist klar. Das sagen alle Meinungsumfragen. Aber der Vorsprung, der vor zwei, drei Monaten noch bei sieben bis acht Prozent lag, scheint jetzt zu schrumpfen und liegt bei drei bis vier Prozent. Ist das umkehrbar? Das ist schlecht zu beurteilen im Moment.
    Kapern: Der frühere griechische Regierungssprecher Evangelos Antonaros im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.