Sonntag, 28. April 2024

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Parlamentswahlen in der Türkei
"Oppositionsparteien wollen nicht mit der AKP koalieren"

Nach den Wahlen in der Türkei spricht Ahmet Külahci, Korrespondent der Zeitung "Hürriyet", im DLF von einer "sehr, sehr komplizierten" und kritischen Situation im Land. Auch die gegenseitigen Beschimpfungen im Wahlkampf machten es schwer für die bisherigen Oppositionsparteien, mit der bisherigen Regierungspartei AKP zu koalieren.

Ahmet Külahci im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.06.2015
    Ahmet Külahci, Hürriyet-Korrespondent, aufgenommen am 15.10.2014 während der ARD-Talksendung "Anne Will"
    "In einem demokratischen Rechtsstaat soll es auch möglich sein, dass alle demokratischen Parteien miteinander koalieren": Ahmet Külahci, Hürriyet-Korrespondent, im DLF-Interview. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Darüber hinaus hätten die Parteien Angst, eigene Klientel zu verlieren. Der Deutschlandkorrespondent von "Hürriyet" hält eine Minderheitsregierung der AKP für wahrscheinlich. Sollte es nicht gelingen, binnen der 45-Tage-Frist eine Regierung zu bilden, käme es zu Neuwahlen, bei denen sich "wahrscheinlich wenig ändern" würde, so Ahmet Külahci im Interview mit dem Deutschlandfunk.
    AKP auf Bündnispartner angewiesen
    Bei der Parlamentswahl in der Türkei hatte die regierende Partei AKP ihre absolute Mehrheit verloren. Die Partei von Präsident Erdogan regiert seit zwölf Jahren und ist nun zum ersten Mal auf einen Koalitionspartner angewiesen. Damit steht auch ihr Projekt einer Verfassungsreform infrage. Ziel der AKP ist ein Präsidialsystem, das Erdogan größere Machtbefugnisse einräumen würde. Die prokurdische HDP zog erstmals ins Parlament in Ankara ein. Insgesamt sind dort vier Parteien vertreten.

    Das Interview im Wortlaut
    Mario Dobovisek: Seit mehr als zwölf Jahren ist die AK-Partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan in der Türkei an der Macht. Doch bei der Parlamentswahl am Sonntag hat sie ihre absolute Mehrheit verloren und muss nach einem Koalitionspartner Ausschau halten. Das Problem: Aus der Opposition will derzeit niemand mit der AKP zusammenarbeiten. So droht der Türkei eine ungewisse politische Zukunft. Der Stimmverlust seiner Partei ist auch eine persönliche Niederlage Erdogans, denn er strebte nach der Macht mit einem neuen Präsidialsystem für die Türkei. Die Wähler sehen das anders. Stattdessen bekehren sie der kurdischen HDP den Einzug ins Parlament. Ahmet Külahci, Deutschland-Korrespondent der türkischen Zeitung "Hürriyet", wie geht es jetzt weiter in der Türkei?
    Ahmet Külahci: Ja, zurzeit ist es überhaupt nicht einfach, wie sie auch schon angesprochen haben. Das ist eine sehr, sehr komplizierte Situation. Das heißt, alle bisherigen Oppositionsparteien wollen überhaupt nicht mit der AK-Partei koalieren. Das hat am Wahlabend schon der prokurdische HDP-Vorsitzende gesagt, dass er weder von innen, noch von außen sozusagen mit der AKP zusammenarbeiten wolle.
    Das heißt, auch eine Minderheitsregierung der AKP wird für die HDP nicht möglich sein. Und was die Demokraten betrifft, auch der Vorsitzende der CHP hat gestern Abend noch mal ganz deutlich gesagt, dass man mit AKP nicht koalieren will, und das gilt auch für die MHP, das heißt für die Nationalisten. Die wollen weder mit AKP, noch auf der anderen Seite mit HDP. Das heißt, eine Ampelkoalition mit CHP, MHP und HDP wird auch nicht möglich sein, weil wie gesagt die Nationalisten mit der prokurdischen Partei überhaupt nicht koalieren wollen.
    Das wird eine sehr, sehr kritische Sache, aber in einem demokratischen Rechtsstaat soll es auch möglich sein, dass alle demokratischen Parteien miteinander koalieren sollen, können, dürfen, und von daher gehe ich davon aus, dass man im Laufe der Zeit doch eine Lösung finden wird.
    "Die Lage war doch sehr hart"
    Dobovisek: Warum wehren sich denn im Moment alle Oppositionsparteien offensichtlich so vehement gegen eine Zusammenarbeit mit der AKP?
    Külahci: Ich meine, wenn man diese ganze Wahlkampagne oder Vorwahlkampagne mit beobachtet hat, kann man das ganz einfach verstehen. Das heißt, die Lage war doch sehr hart. Diese gegenseitigen Beschimpfungen waren ungewöhnlich für westliche Demokratien und von daher ist das nicht einfach, jetzt auf einmal nach den Wahlen zu sagen, na, das war vor der Wahl, nach der Wahl sollten wir uns anders verhalten.
    Sie haben alle Angst davor, dass man eigene Klientel verliert. Das heißt, deswegen wird es gar nicht einfach werden für diese Parteien, mit AKP zu koalieren. Darüber hinaus haben sie wahrscheinlich Angst, dass man im Laufe der Zeit, wenn man mit AKP koaliert, doch bei den nächsten Wahlen oder bei Frühwahlen sozusagen nicht mehr ins Parlament kommt.
    Dobovisek: 45 Tage bleiben der AKP jetzt, eine Regierung zu bilden. So sieht es die türkische Verfassung vor. Wird am Ende der süße Honig der Macht für die Oppositionsparteien doch stärker und leckerer sein als jetzt der Protest?
    Külahci: Ich kann es mir schlecht vorstellen, wie ich vorhin gesagt habe, dass diese Ampelkoalition auf der Oppositionsseite doch nicht ganz möglich sein wird. Man geht ja davon aus, dass doch irgendwie die AKP eine Minderheitsregierung bildet und darüber hinaus vielleicht irgendeinen Koalitionspartner aussucht und dass eine Wahlregierung zum Beispiel zustande kommt. Aber wenn man einmal koaliert, dann gehe ich davon aus, dass das keine Wahlregierung wird, sondern doch eine Legislaturperiode weiter dauert.
    "Viele sozialdemokratische Wähler haben die prokurdische Partei unterstützt, damit sie ins Parlament kommen"
    Dobovisek: Wenn es denn nicht gelingen sollte binnen dieser 45 Tage, dann wird es oder dann müsste es Neuwahlen geben. Was könnten die ändern?
    Külahci: Wenn man es nach jetziger Arithmetik betrachtet: Wenn es wieder so schnell zu einer Neuwahl kommen würde, würde sich wahrscheinlich wenig ändern, oder aber es könnte sein: Viele sozialdemokratische Wähler haben diese prokurdische Partei unterstützt, damit sie ins Parlament kommen. Dann könnte diese Unterstützung wegbleiben. Dann hätte aber wieder die AK-Partei die absolute Mehrheit. Deswegen müssen diese Oppositionsparteien das auch in Betracht ziehen.
    Dobovisek: Die absolute Mehrheit und dann am Ende vielleicht doch das präsidentiale System - Ahmet Külahci, Deutschland-Präsident der türkischen Zeitung "Hürriyet". Ich danke Ihnen für Ihre Einschätzungen.
    Külahci: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.