Freitag, 19. April 2024

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Parlamentswahlen in Israel
"Netanjahu hat einen kleinen Vorteil"

Benjamin Netanjahu habe in den letzten Jahren seine Stärke in der Außenpolitik gezeigt, sagte der frühere israelische Politiker Zalman Shoval im Dlf. In der momentanen Situation im Nahen Osten sei es deswegen wichtig, dass der israelische Premierminister "am Ruder der Politik bleibt".

Zalman Shoval im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 09.04.2019
Der israelische Ministerpräsident und Likud-Vorsitzende Benjamin Netanjahu bei einem seiner Wahlkampfauftritte in Jerusalem
Der israelische Ministerpräsident und Likud-Vorsitzende Benjamin Netanjahu bei einem seiner Wahlkampfauftritte in Jerusalem (picture alliance / Photoshot / Jini)
Tobias Armbrüster: Israel wählt heute ein neues Parlament. Das sind Wahlen, die für den gesamten Nahen Osten von Bedeutung sind. Es geht dabei auch um die politische Zukunft von Benjamin Netanjahu, ob er weitermachen kann als Premierminister, oder ob die Israelis einen anderen Regierungschef wollen.
Am Telefon ist jetzt ein Mann, der schon viele Regierungen in Israel hat kommen und gehen sehen: Zalman Shoval. Er war Mitbegründer der Likud-Partei von Benjamin Netanjahu und auch selbst viele Jahre in der Knesset. Und er war in den 90er-Jahren zweimal Israels Botschafter in den USA. Schönen guten Morgen, Herr Shoval.
Zalman Shoval: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Shoval, ist es Zeit für einen Regierungswechsel in Israel?
Shoval: Ich glaube, bevor wir von einem Regierungswechsel sprechen, der wichtigste Punkt, den man bemerken sollte, ist, dass Israel die einzige Demokratie im ganzen Mittleren Osten ist, unter hunderten Millionen ganz freie Wahlen hat.
Fast sechseinhalb Millionen Wähler, Juden, Araber, Christen, Tscherkessen und Drusen werden heute ihre Vertreter, ihre Repräsentanten in der Knesset, im Parlament wählen, was bestimmt imposant ist, wenn man daran denkt, dass Israel ständig unter Terroristenangriffen im Gazastreifen ist und dass wir noch keinen richtigen Frieden haben mit unseren Nachbarn. Das ist vielleicht der wichtige Punkt, wer auch immer gewinnen will oder wird in diesen Wahlen.
"Das einzige Programm ist Anti-Netanjahu"
Armbrüster: Dann muss ich da noch mal die Frage stellen. Soll in dieser Gemengelage so weitergemacht werden wie in den vergangenen Jahren? Soll das Benjamin Netanjahu mit seinem Bündnis, mit seiner Regierungskonstellation noch einmal tun? Oder ist es wie gesagt Zeit für einen Wechsel?
Shoval: Schauen Sie, wenn man von einem Wechsel spricht, dann möchte man sich vorstellen, was ist der Wechsel. Was ist eigentlich die andere Seite, was ist ihr Programm. Und diese neue Partei von Herrn Benny Gantz und auch anderen Generälen und anderen Personen ist, als ob das in Deutschland ein Bündnis zwischen der AfD und den Linken wäre. Da gibt es ganz rechtsextreme Elemente in dieser Partei und linke Elemente, kein richtiges Programm für Außenpolitik, kein richtiges Programm für Sicherheit, kein richtiges Programm für Wirtschaft. Das einzige Programm ist Anti-Netanjahu.
Für einige Leute ist das wichtig, vielleicht für viele Leute, aber ob das für eine Mehrheit der Population, der Bevölkerung wirklich der wichtigste Punkt ist, das ist schwer zu sagen. Wie Sie früher sagten und Ihr Korrespondent: Die zwei Listen sind ziemlich nah, was die Umfragen angeht. Ich glaube, Netanjahu hat einen kleinen Vorteil, aber das ist noch nicht das letzte Wort. Es hängt natürlich davon ab, wie viele Leute wirklich wählen werden, denn wenn Leute, die den Likud unterstützen, sagen, er wird ja sowieso gewählt werden, er wird ja sowieso der nächste Ministerpräsident sein, dann könnten sie natürlich eine unangenehme Überraschung heute Abend um acht Uhr haben, oder um zehn Uhr.

Armbrüster: Herr Shoval, dann lassen Sie uns versuchen, auf die Bilanz von Benjamin Netanjahu zu blicken. Hat er in seinen bisherigen Amtszeiten, vor allen Dingen in den vergangenen Jahren, alles richtig gemacht?
Salman Shoval, Außenpolitischer Berater des israelischen Ministerpräsidenten
Zalman Shoval, ehemaliger israelischer Diplomat und Politiker (AP)
Shoval: Zeigen Sie mir einen Politiker, der alles richtig macht. Das wäre, würde ich sagen, sogar beängstigend.
"Netanjahus Stärke und Kraft ist wirklich in der Außenpolitik"
Armbrüster: Gut. Herr Shoval, dann will ich anders fragen. Die Frage war vielleicht tatsächlich etwas ungeschickt gestellt. Vielleicht die andere Frage: Welche Fehler hat er gemacht?
Shoval: Ich glaube, die Fehler in der Außenpolitik waren nicht sehr wichtig. Ich glaube im Gegenteil: In der Außenpolitik hat sich besonders, ich würde sagen, Netanjahu in den letzten paar Jahren wirklich gezeigt als vielleicht der erstklassigste Außenpolitiker, den Israel hatte seit der Zeit Ben-Gurions: die Beziehungen einerseits, die engen Beziehungen mit Amerika auf der einen Seite, die praktischen, guten Beziehungen mit Russland auf der anderen Seite, die viel engeren Beziehungen mit der arabischen Welt. Das ist wirklich ohne Präzedenz.
Fehler? Ich glaube, es waren verschiedene Fehler im wirtschaftlichen Bereich. Das sind Sachen, die man bestimmt korrigieren muss. Auch andere interne Sachen wie das Gesundheitswesen vielleicht und so weiter. Aber Netanjahus Stärke und Kraft ist wirklich in der Außenpolitik. Und heute, wo wir vielleicht einen neuen Plan von Präsident Trump erwarten für einen comprehensiven Frieden im Mittleren Osten, ist es besonders wichtig, dass so ein Mann am Ruder der israelischen Politik bleibt.
Herr Gantz und die anderen, seine Kollegen, sind gute Leute. Ich kann nichts Schlechtes über sie sagen. Aber Herr Gantz sagt selbst, ja, ich werde lernen. Haben wir wirklich das Privilegium, jetzt zu lernen, oder sollen wir doch die Chance nehmen, vielleicht zu einem Kompromiss im Mittleren Osten zu kommen, mit der Unterstützung der Vereinigten Staaten, zur selben Zeit in guten Beziehungen mit Russland und mit den arabischen Staaten? Ich glaube, das ist der Hauptpunkt.
US-Präsident Trump und Israels Ministerpräsident Netanjahu auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos
US-Präsident Trump und Israels Ministerpräsident Netanjahu (re.) (AFP / Nicholas Kamm )
"Es wäre sehr schön, wenn unsere Partner vielleicht nur die Schweizer Kantone wären"
Armbrüster: Herr Shoval, Sie haben diese beiden engen Partner von Benjamin Netanjahu erwähnt, Donald Trump, Wladimir Putin. Das sind zwei Männer, die in vielen Ländern der Welt durchaus mit einigem, ich sage mal, Stirnrunzeln gesehen werden. Sind solche Partnerschaften wirklich gut für einen israelischen Ministerpräsidenten?
Shoval: Wir haben nicht den Luxus. Es wäre sehr schön, wenn unsere Partner vielleicht nur die Schweizer Kantone wären. Aber man sollte das vielleicht nicht richtig zeigen, denn unsere Beziehungen mit Westeuropa und mit Indien, die größte Demokratie in Asien, China auch, alles natürlich etwas ganz anderes, aber auch Japan, die internationalen Beziehungen Israels haben sich sehr, sehr entwickelt in den letzten paar Jahren unter Netanjahu. Und wir sind nicht groß genug und Staat genug zu sagen, hört mal, eure Innenpolitik gefällt uns nicht, und das ist natürlich wahr.
Es gibt einige unserer Partner, wo die Innenpolitik nicht ganz so ist, wie wir sie vorgezogen hätten. Aber wir müssen pragmatisch sein, wir müssen realpolitisch sein. Wir sind nicht so groß, dass wir sagen können, nur wir bestimmen.
Armbrüster: Wenn wir über Donald Trump und Israel reden, dann geht es ja nicht nur um Innenpolitik. Donald Trump hat da ja durchaus einige Pflöcke eingeschlagen in den letzten Wochen und Monaten, unter anderem auch mit seiner Bestätigung, dass die USA Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkennen. Und er hat damit viele Regierungen, auch viele enge Partner von Israel, nicht zuletzt ja auch Deutschland, Europa vor den Kopf gestoßen. War das wirklich gut für Israel?
Shoval: Schauen Sie, diese ganze Situation war unlogisch. Übrigens die Frage der Hauptstadt und die Anerkennung, das ist nicht, würde ich sagen, eine Sache, die zwischen links und rechts in Israel irgendwie bekämpft wird. Auch Herr Gantz war für diesen Schritt und so weiter. Denn es war eigentlich nur logisch. Alle amerikanischen Präsidenten haben in der Knesset gesprochen, Jerusalem ist die israelische Hauptstadt seit Ben-Gurion. So eine Vogel-Strauß-Politik zu führen und zu sagen, nein, es ist nicht so, das ist nicht logisch.
Und übrigens hat Trump, soweit ich mich erinnere, auch gesagt, das sagt nicht, dass in irgendeiner Resolution, in irgendeinem Endkapitel dieses Konflikts man nicht einen Platz auch für die Palästinenser in Jerusalem finden könnte. Das muss man abwarten. Aber Jerusalem ist die Hauptstadt Israels, war es seit tausenden Jahren, war es bestimmt in den letzten 71 oder 72 Jahren, und ich glaube, das war der richtige Schritt.
Die Altstadt der heiligen Stadt Jerusalem (Israel) mit dem Tempelberg und dem Felsendom
Blick auf Jerusalems historische Altstadt (picture alliance / Jens Büttner)
"Die 1,8 Millionen Palästinenser in den Gebieten sind keine Bürger Israels"
Armbrüster: Herr Shoval, kann das heute eine wirklich demokratische Wahl sein, wenn Millionen von Palästinensern von Israel regiert werden, aber nicht an dieser Wahl teilnehmen dürfen?
Shoval: Die sind nicht ein Teil des Staates Israel. Darüber ist natürlich die ganze Diskussion. Soll dieser Teil, sollen die Gebiete ein Teil des israelischen Staates werden, mit Rechten, zivilen Rechten, ohne Rechte. Und das ist auch keine Rechts-Links-Frage, denn soweit ich weiß, die Mehrheit im Likud möchte keine Situation sehen, wo Israel seinen Charakter als demokratischer jüdischer Staat verlieren würde.
Das heißt, das ist ein Problem, das man noch besprechen muss und lösen muss. Aber augenblicklich ist es ganz klar: Die 1,8 Millionen Palästinenser in den Gebieten sind keine Bürger Israels.
Armbrüster: Aber sie stehen quasi direkt unter israelischer Herrschaft. Und wie gesagt, sie haben kein Mitspracherecht. Deshalb noch mal die Frage: Kann das wirklich demokratisch sein?
Shoval: Ja! Sie haben kein Mitspracherecht, weil wir sie nicht als Bürger Israels sehen. Sie haben ihre eigenen Autoritäten. Leider haben sie schon seit Jahrzehnten keine richtigen Wahlen gehabt. Sie hatten die Chance, ihren Staat aufzubauen, von unten nach oben. Aber wie Sie wissen, Präsident Abu Mazen, also Abbas, sollte schon vor ungefähr zwölf Jahren seine Präsidenz abschalten. Keine Wahlen! Und die Lage heute ist wirklich ein Status quo.
Es ist nicht klar, was die Zukunft sein wird. Das hängt natürlich davon ab, dass die Palästinenser sagen, ja, wir erkennen das Recht des jüdischen Volkes an für ihren eigenen Staat. Wir haben dasselbe gesagt für die Palästinenser, noch in den Oslo-Verträgen. Aber nichts, es war kein Vorwärtskommen überhaupt in diesen Sachen.
Aber wir wollen nicht, auch ich will nicht, ich glaube, auch Netanjahu will nicht, dass wir in eine Situation kommen, wo wie gesagt 1,8 oder vielleicht zwei oder vielleicht mehr Millionen Menschen in einem Staat leben werden, die keine demokratischen Rechte haben werden. Augenblicklich ist das nicht die Situation, weil sie keine Bürger Israels sind und weil diese Gebiete auch kein Teil des Staates Israel sind.
Armbrüster: Herr Shoval, wir müssen hier leider zu einem Ende kommen. Die Nachrichten folgen in wenigen Sekunden hier im Deutschlandfunk. Das war Zalman Shoval, der ehemalige israelische Botschafter in den USA.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.