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Parteitag in Nordkorea
"Man kann nur vorsichtig optimistisch sein"

Der Ostasienwissenschaftler Rüdiger Frank warnt davor, vom Parteitag in Nordkorea zuviel zu erwarten. Zwar gebe es immer eine Chance für eine Öffnung und zuletzt habe es im Land auch einige Verbesserungen gegeben, sagte er im DLF. Dennoch sei der Parteitag vor allem ein wichtiges Machtinstrument für Kim Jong-un.

Rüdiger Frank im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 07.05.2016
    Ein großer Saal mit Bühne, die von einem roten Umhang gesäumt ist. In der Bühne hängen große Bilder von Kim Jong-un und Kim Il-sung, auf der Bühen sitzen Parteifunktionäre, im Publikum Delegierte.
    Der Parteitag in Nordkorea ist der erste seit 36 Jahren. (dpa/picture alliance/Kcna)
    Jürgen Zurheide: Nordkorea, das ist einer jener Staaten, über die wir ganz wenig wissen, und wenn wir etwas erfahren, sind es meistens nicht ganz erfreuliche Dinge. Das hat mit Atomwaffentests zu tun oder möglichen Atomwaffentests, das hat mit einer Lebenssituation der Menschen zu tun, die alles andere als erträglich erscheint, und das hat mit einem Diktator zu tun, der mindestens für unsere Verhältnisse einigermaßen ungewöhnlich agiert. Über all das wollen wir reden, denn dort gibt es einen Parteitag wieder einmal, und wir wollen reden mit einem Wissenschaftler, der sich ganz besonders gut auskennt. Er ist Ostasienwissenschaftler, der aber selbst gerade in dieser Woche aus Nordkorea zurückgekommen ist. Ich begrüße mit Ihnen Rüdiger Frank, den wir in Wien erreichen, guten Morgen, Herr Frank!
    Rüdiger Frank: Guten Morgen!
    "Man bekommt Stimmungen und Veränderungen mit"
    Zurheide: Herr Frank, Sie sind gerade - ich habe es gesagt - am Mittwoch aus Nordkorea zurückgekommen. Mit welchen ganz frischen Eindrücken sind Sie zurückgekommen?
    Frank: Na ja, zunächst mal das Ende der 70-Tage-Kampagne habe ich dort miterlebt mitsamt einem Countdown. Das war so eine Hochleistungskampagne, wie man sie in Nordkorea früher relativ häufig hatte, wo die Menschen aufgefordert sind, eben noch eine Stunde eher aufzustehen und noch ein bisschen mehr Leistung zu bringen, entsprechend waren alle müde, auch irgendwie froh, dass es zu Ende ist, und haben gespannt geschaut, was denn nun bei dem Parteitag herauskommt. Denn interessanterweise wussten die Menschen in Nordkorea, glaube ich, fast noch weniger als wir hier bei uns im Westen, die wir Zugang zu Internet und anderen Medien haben.
    Zurheide: Das heißt, der Parteitag hat begonnen, übrigens ohne die internationalen Journalisten, das sind dann so die üblichen Spielchen, die man da wohl spielt. Sie haben gestern in einem Bus gewartet, durften dann doch nicht ins Gebäude, heute dringt ganz wenig nach draußen. Wie ist das für Sie gewesen? Sie schreiben ja lange schon und beschäftigen sich lange mit Nordkorea und sagen dann häufig, als Wissenschaftler ist es schwierig, ich habe immer nur meine eigenen Eindrücke. Wie offen können Sie sich bewegen?
    Frank: Na ja, es ist relativ klar, dass man sich in Nordkorea nur in Begleitung bewegen kann, damit einem da nichts zustößt, wie die offiziellen Aussagen sind. Aber ich fand es ein bisschen naiv, dass die Journalisten der Meinung waren, die wären da jetzt zugelassen zu dem Parteitag, der doch irgendwo den Charakter einer relativ wichtigen und irgendwie auch geheim gehaltenen Veranstaltung hat. Die dienen im Prinzip als Staffage, der Staat hat 20.000 bis 30.000 Euro damit eingenommen, dass die 100 Leute da eingeflogen sind, und die dürfen eben ein bisschen Hofberichterstattung machen. Ich glaube, da war aber von vornherein relativ klar. Nur, Fakt ist eben auch: Vor Ort zu sein ist etwas wert, gerade da wir so wenig wissen über das Land. Man kriegt doch relativ viel mit, man kann doch mit einzelnen Menschen reden, man bekommt Stimmungen mit, man bekommt vor allem auch Veränderungen mit. Deswegen lohnt es sich, oft und regelmäßig dahin zu fahren. Also, ganz so umsonst wird es nicht gewesen sein. Aber die großen Durchbrüche können wir uns von den Journalisten vor Ort nicht erwarten.
    "Kim Jong-un braucht die Partei als Instrument zur Machtausübung"
    Zurheide: Was erwarten Sie denn überhaupt von diesem Parteitag, was ist aus Ihrer Sicht das wichtige Signal oder wird das wichtige Signal werden?
    Frank: Na ja, da gibt es im Prinzip zwei Dinge. Das eine ist, dass der Parteitag überhaupt mal stattfindet, ist schon wirklich bemerkenswert. Seit 36 Jahren gab es keinen mehr und wir reden hier von einem System, wo man eigentlich davon ausgehen müsste, dass die Parteitage wirklich stattfinden, einfach um das System am Laufen zu halten. 36 Jahre kein Parteitag ist eine wirklich außergewöhnliche Phase, die hiermit im Prinzip zu Ende geht. Kim Jong-un hat sich ja durchaus auch seit seiner Machtübernahme bemüht, eine gewisse Normalität in der Tätigkeit der Partei wiederherzustellen. Er ist seit 2010 überhaupt bei einer Parteikonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt worden, auch die gab es seit 44 Jahren nicht mehr. Und dann 2012 gab es schon die nächste, also, der Trend ist relativ klar. Er braucht die Partei als Instrument zur Machtausübung, deswegen muss er natürlich ihre Funktion normalisieren, wiederherstellen. Entsprechende Positionen müssen besetzt werden, so was wie eine Arbeitsroutine muss einkehren. Und natürlich bleibt bei Leuten wie mir, die dieses Land seit über 25 Jahren beobachten, auch immer die Hoffnung darauf, dass eine solche normalisierte Partei auch der Anfang sein könnte für eine kontrolliertere Form. Denn schließlich war das in China, in Vietnam und auch in der Sowjetunion nicht anders, dort sind die wichtigen Reformen, Impulse, die dazu geführt haben, was wir heute sehen, von Parteitagen, von der Partei ausgegangen, und das könnte auch in Nordkorea so sein.
    "Wir sind in der Phase, wo er die Machtübernahme abschließt"
    Zurheide: In welcher Phase befinden wir uns demnach? Er hat die Macht konsolidiert. Ist das aus Ihrer Sicht inzwischen verbrieft?
    Frank: Nun, er hat ja offensichtlich kräftig aufgeräumt, wie wir ja auch bei uns mitbekommen haben, da sind einige Köpfe gerollt, zum Teil im tatsächlichen Wortsinn.
    Zurheide: Im wahrsten Sinne des Wortes, ja.
    Frank: In der Tat. Nun, das gehört natürlich dazu, wenn Sie als Diktator ein Land übernehmen und weiterhin autokratisch herrschen wollen, ist natürlich Ihre größte Sorge, dass Ihnen jemand die Macht wieder wegnimmt. Entsprechend ist das bedauerlich, aber irgendwie auch zu erwarten gewesen. Das hat er in den letzten Jahren getan, es mag sein, dass das bei dem Parteitag vielleicht sich fortsetzt. Ich glaube nicht, weil, die spektakulärsten Ersetzungen, sage ich mal vorsichtig, von Personen haben ja schon stattgefunden. Wir sind in der Phase, glaube ich, wo er diese Machtübernahme abschließt, die Konsolidierungsphase ist zu Ende. Die Menschen erwarten auch von ihm mehr. Er ist ja angetreten mit großen Versprechungen gleich zu Anfang, wenige Tage nach seiner Machtübernahme hat er den Menschen versprochen, dass unter seiner Herrschaft vor allem ihr Leben besser werden wird. Das ist das Maß, an dem er gemessen werden möchte. Und nun muss er Leistung bringen und ich glaube, da wird es bei dem Parteitag entsprechende Ankündigungen auch geben.
    "Der Mittelstand breitet sich weiter aus"
    Zurheide: Nun sind die Ankündigungen das eine. Wie sind denn die Lebensverhältnisse, zumindest so weit Sie das beobachten können oder jetzt auch gerade konnten, aktuell?
    Frank: Na ja, es ist immer relativ schwierig, wenn man zu einer so ungewöhnlichen Phase nach Nordkorea fährt, da muss man sehr vorsichtig sein, nicht zu sehr zu verallgemeinern. Was ich jetzt beobachtet habe in dieser Woche, war eine bemerkenswerte Verfügbarkeit von Elektroenergie. Es ist normal, wenn man in Nordkorea ist, dass ab und zu mal das Licht ausgeht, der Strom ausfällt und dass auch Wasser nicht läuft, weil die Pumpen nicht funktionieren, das war diesmal kein einziges Mal der Fall. Also, in der Richtung geht es dem Land mal gut. Wie gesagt, das große Fragezeichen, ist das jetzt nur temporär oder zeichnet sich da ein Trend ab? Ich habe auch erstmals auf dem Land mehr Traktoren als Ochsen gesehen, was darauf hindeutet, dass zumindest die Versorgung mit Treibstoff durchaus stabil zu sein scheint. Es fuhren enorm viele Lastwagen durch die Gegend, wesentlich mehr als sonst. Also, die wirtschaftliche Aktivität ist wirklich massiv nach oben geschraubt worden und offenbar wirken die Sanktionen auch seitens Chinas im Augenblick zumindest noch nicht in der Art, dass sie diese Aktivitäten abwürgen würden. Der Mittelstand, den man in Pjöngjang natürlich ganz offenkundig beobachten kann, breitet sich weiter aus. Es gibt mehr und mehr Einrichtungen, wo diese Leute auch ihr Geld ausgeben können, also in der Richtung auch eine gewisse Normalisierung. Die Schere zwischen Stadt und Land ist weiter auseinandergegangen, Pjöngjang hat einige, ja, man muss es sagen, wirklich bemerkenswert aussehende Gebäude mehr bekommen, eine Straße, die nachts so ein bisschen wie ein kleines Dubai aussieht, ein Wissenschaftszentrum, das, glaube ich, in jeder westlichen Stadt auch in dieser Art stehen könnte. Und das ist ein recht intelligenter Schachtzug, weil es den Menschen sozusagen ein kleines Paradies im Inland gibt, von dem sie träumen können. Also, generell, glaube ich, ist die Lage nicht ganz so schlecht, aber sie könnte natürlich deutlich besser sein.
    "Eine Entspannung der Lage ist ganz wichtig"
    Zurheide: Sie haben gesagt, die Menschen mussten etwas mehr arbeiten, das waren diese berühmten 70 Tage, wenn ich das jetzt richtig im Ohr habe. Daran, dass die Menschen nicht arbeiten, kann es ja nicht liegen. Wenn es nicht funktioniert, gibt es eher wohl strukturelle Hemmnisse. Was müsste Kim Jong denn da ändern, um da wirklich voranzukommen?
    Frank: Es gibt diese zwei typischen Probleme von sozialistischen Volkswirtschaften, einerseits tatsächlich das schlechte Management, was damit auch zu tun hat, dass es eben eine große Bürokratie ist, und wer auch bei uns mal in einer großen Bürokratie gearbeitet hat, der weiß, wie die funktioniert oder eben auch nicht funktioniert. Das muss man sich einfach nur in Nordkorea vorstellen, für ein ganzes Land geltend. Hinzu kommt der massive Einsatz von Arbeitskraft an Stellen, wo man mit ein bisschen Maschinen eigentlich doch relativ viel erreichen könnte, nur fehlen eben die Gelder und inzwischen auch tatsächlich der Zugang, um viele Dinge im Ausland einkaufen zu können. Das Land hat keine konvertierbare Währung. Was kann man tun? Nun, relativ klar, mehr Verantwortung dem Individuum, mehr Verantwortung den einzelnen Unternehmen geben, in der Hoffnung, dass sozusagen die Anreize wie Profitstreben und Ähnliches wie bei uns da auch wirken, auch dort entsprechend das Potenzial entfalten. Und natürlich hat die Politik in Nordkorea die Aufgabe, eine Atmosphäre herzustellen, wo das Land international kooperieren kann, um seine Produkte zu verkaufen, um wichtige Inputs einzukaufen. Das heißt, eine Entspannung der Lage und insbesondere irgendwo eine Regelung dieser Atomproblematik ist ganz, ganz wichtig, um Nordkorea aus der wirtschaftlichen Misere herauszuheben, in der es trotz aller Erfolge immer noch steckt.
    Zurheide: Sehen Sie denn - jetzt letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort - eine Chance, dass das möglicherweise nach dem Parteitag gelingen könnte?
    Frank: Eine Chance ist immer gegeben, aber ich glaube, bei Nordkorea muss man immer nur vorsichtig optimistisch sein. Es ist alles möglich, aber man ist auch schon so oft enttäuscht worden. Also, wir sollten besser einfach mal abwarten.
    Zurheide: Das war Rüdiger Frank, Ostasienwissenschaftler aus Wien heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank für diese Informationen und Eindrücke aus Nordkorea! Das Ganze um 6:57 Uhr, danke schön!
    Frank: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.