Donnerstag, 28. März 2024

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Passkontrollen
Flüchtlinge auf dem Weg nach Nordeuropa

Flüchtlinge, die es bis Italien geschafft haben, machen sich mitunter weiter auf den Weg nach Norden. Viele gelangen über die Grenzen ohne eine Passkontrolle. Zwar wird dadurch nicht gegen Europarecht verstoßen, an Schengen-Innengrenzen sind keine Kontrollen vorgesehen, aber Stichproben sind erlaubt.

Von Arne Wilsdorff | 09.10.2014
    Flüchtlinge halten sich in der Flüchtlingsunterkunft in Essen in ihrem Vielbettzimmer auf.
    Viele Flüchtlinge, die Italien erreichen, wollen weiter nach Holland, Schweden und Dänemark. (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Der zweijährige Yousif aus dem syrischen Damaskus hat Fieber und findet kaum in den Schlaf. Deshalb singt ihm Vater Nazer im Abteil des Eurocity 84 ein vertrautes Lied vor. Mit vier kleinen Kindern und seiner Frau hat es der LKW-Fahrer für 4.000 Dollar nach Sizilien geschafft. Gut zwei Wochen dauert die Flucht nun schon - davon zehn Tage auf dem Wasser, übers Meer von Ägypten nach Catania.
    Den 400 Flüchtlingen ging nach sieben Tagen das Wasser aus - die Kinder mussten sich ständig übergeben.
    Dankbar erzählt der 40-jährige Nazer von der Rotkreuz-Unterkunft in Mailand, wohin es seine Familie mit der Bahn geschafft hat. Seine verschleierte Frau und die Kinder versuchen währenddessen auf den zusammengeschobenen, blauen Abteilsitzen zu schlafen.
    Die syrische Familie schafft es von Mailand über Innsbruck bis nach München - ohne eine einzige Pass-Kontrolle. Das dürfte eigentlich nicht vorkommen meint Jürgen Ascherl, Münchner Bezirks-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft.
    "Ich sehe den Rechtsverstoß darin, dass sich die Länder aus der Pflicht nehmen, sie sehen das zu locker und kontrollieren zu wenige Züge. Winken also durch."
    An Schengen-Innengrenzen sind keine Grenzkontrollen vorgesehen
    Der subjektive Eindruck ist das eine - den italienischen und österreichischen Grenzern Rechtsverstöße nachzuweisen - aber etwas ganz anderes, meint Walther Michl, Staatsrechtler an der Münchener Ludwigs-Maximilians-Universität:
    "Das ist kein Verstoß gegen Europarecht, denn es ist explizit vorgesehen, dass es an Schengen-Innengrenzen keine Kontrollen gibt. Wenn also die Österreicher sie einfach durchfahren lassen, dann tun sie genau das, was man von ihnen erwartet."
    Allerdings: Stichprobenkontrollen erlaubt das EU-Recht sehr wohl. Und wie die laufen, regeln wiederum nationale Gesetze in Italien und Österreich. Und die Stichproben finden ja auch statt. Allein im österreichischen Tirol wurden seit Januar 5.500 illegale Einreisen registriert. EU-Rechtler Walther Michl.
    "So pauschal nicht - die müssen auch schauen, wie sie mit ihren Polizeikräften haushalten. Die können jetzt nicht in jeden Eurocity reingehen, sondern nur wenn sie konkrete Hinweise haben."
    In Italien nicht ausreichend kontrolliert?
    Bleiben die Vorwürfe an Italien, dass dort Flüchtlinge nicht bereits bei der Einreise vorschriftsgemäß kontrolliert und für die Polizeicomputer registriert werden. Thomas Borowik von der Bundespolizei in München formuliert vorsichtig.
    "Es passiert sehr häufig dass die unerlaubt Eingereisten erzählen, dass sie mit Sicherheitsbehörden in anderen Ländern bereits zu tun hatten. Leider ist es aber nicht zu beweisen, dass die Einreise über ein anderes Land erfolgte, wir finden keine Erfassung und keine Fingerabdrücke dieser Personen."
    Auch Nazer und seine Familie mussten in Italien keine Fingerabdrücke abgeben. Lediglich im Rot-Kreuz-Camp notierte man persönliche Daten und das Fluchtziel Deutschland.
    Natürlich kontrollierten die italienischen Behörden ständig und täglich - aber es kommen eben jeden Tag hunderte, gar tausende Flüchtlinge an den Grenzen an - verwahrt sich Quästor Lucio Carluccio - der Bozener Polizeipräsident - gegen Vorwürfe aus Deutschland.
    Wir raten niemanden, in ein anderes Land zu gehen, aber natürlich wollen viele eigentlich nach Holland, Schweden und Dänemark.
    Für Nazers Familie ist die Flucht aus Damaskus über Sizilien nach Verona und München fast geglückt. Schnell soll es jetzt gehen, nach Halberstadt in Sachsen-Anhalt, denn dorthin haben es schon syrische Verwandte geschafft.