Montag, 06. Mai 2024

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Pastor Manfred Brockmann in Russland
Die große Einsamkeit in Wladiwostok

8.000 Kilometer von seiner Heimatstadt Hamburg entfernt leitet der deutsche Pastor Manfred Brockmnann die Paulus-Gemeinde im russischen Wladiwostok. Seit seiner Ankunft vor 24 Jahren hat sich sein Kirchenkreis - der flächenmäßig wohl größte weltweit - stark verändert. Viele Menschen haben den fernen Osten Russlands mittlerweile verlassen.

Von Gesine Dornblüth | 06.09.2016
    Manfred Brockmann steht lächelnd in seiner Kirche, im Hintergrund der Altar und bunt leuchtende Fenster
    Der evangelische Pastor Manfred Brockmann in seiner Paulskirche in Wladiwostok. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    "Wir machen uns auf die Reise, um die Quelle zu finden. Ist der Durst unser einziges Licht? Ist nur der Durst unser Licht?"
    Pastor Manfred Brockmann steht in seiner Kirche und blättert in einem Hefter mit Liedtexten. 8000 Kilometer von seiner Heimatstadt Hamburg entfernt.
    Die Kirchentür steht offen. Wenige hundert Meter weiter brandet der Pazifik gegen die Hafenmauern. Ein bisschen Abenteuerlust war dabei, als er vor 24 Jahren kam. Es hieß, in Wladiwostok gäbe es mehrere hundert Russlanddeutsche und eine lutherische Kirche. Als Brockmann ankam, war in der Kirche ein Marinemuseum untergebracht.
    "Die Kirche fand ich sofort, aber die Leute fand ich nicht. Und dann dachte ich: Sind wir mal ganz schlau, gehen wir mal zum alten KGB, dem russischen Geheimdienst. Wenn der einen guten Job gemacht hat, muss der doch so eine Liste von Dissidenten haben. Gut gedacht, aber die gaben nichts raus. Und der zweite Schritt war auch sehr schlau gedacht, ich denke, dann gehen wir doch mal zur russisch-orthodoxen Kirche, Christen, Kirchenleute sollten sich doch helfen. Die hätten mich fast rausgeschmissen. Die haben gesagt: Was suchen Sie denn hier? Sie suchen Christen in Russland? In Russland kann es nur Orthodoxe geben."
    Er fand sie doch. Im Sommer 1992 feierten sie ihren ersten Gottesdienst, draußen, vor der Kirche.
    "Die Kirche war so kaputt, da hinten am Altar stand eine Lenin-Büste, hier oben war ein Loch in der Decke, da hatten sie einen Eimer runtergestellt, weil es immer durchtropfte, und da wuchs in der Wand ein Baum."
    Verhältnis zur orthodoxen Kirche hat sich entspannt
    Heute ist der Backsteinbau komplett renoviert. Das Licht fällt durch bunte Mosaikfenster. Die Paulus-Gemeinde ist mit ihren rund 200 Mitgliedern offiziell in Russland registriert, und auch das Verhältnis zur orthodoxen Kirche hat sich entspannt.
    "Man kennt mich hier. Und wir haben einen guten Ruf. Also uns passiert so leicht nichts."
    Brockmann fährt sich über das wettergegerbte Gesicht. Sein violettes Hemd gibt ihn als Propst zu erkennen. Sein Kirchenkreis ist wohl der größte der Welt.
    "Bis Magadan, das ist 2.500 km nach Nordosten. Dann haben wir eine Gemeinde in Tschita, zwei Tage und drei Nächte mit der Eisenbahn. So ist das."
    "Da ist Ljudmila! Ljdumila! Hier, eto nasch nemezkich radio. Das ist unsere Prachtfrau Ljudmila."
    Die Gemeindehelferin. Sie kümmert sich um den Papierkram. Alles andere erledigt Brockmann weitgehend allein: Hält Gottesdienste. Leitet eine Anlaufstelle für anonyme Alkoholiker und Drogenabhängige. So etwas ist selten in Russland. Vor allem aber organisiert er Konzerte, sammelt Sponsorengelder, lässt Musiker aus Westeuropa einfliegen.
    Dann ist die Kirche so proppenvoll, dass die wirklich stehen oder manche auf dem Fußboden sitzen. Deshalb bin ich ja auch sehr gern hier, obwohl ich schon sehr alt bin, im nächsten Jahr werde ich 80 Jahre, also, die dankbaren Gesichter dieser Menschen. Die sind so dankbar. Das Leben ist hier so schwierig. Die Musik tröstet wirklich unheimlich.
    Viele Menschen verlassen die Stadt
    Russland hat den Fernen Osten lange vernachlässigt. In die Hafenstadt Wladiwostok fließt seit einiger Zeit mehr Geld, es fand ein großer Asien-Pazifik-Gipfel statt. Dennoch gehen viele Leute weg, in weiter westlich gelegene Städte Russlands oder ins Ausland. Brockmann leider darunter.
    "Meine Erfahrung in diesen 24 Jahren ist, dass uns immer Leute verlassen haben. Die haben auf unsere Kosten studiert, auch in Amerika und Deutschland, und dann waren sie weg. Ich bin hier sehr einsam, nicht? Du hast ja nie einen, der dich mal kritisiert. Alle erwarten sie, dass ich sage, was gemacht wird. Ich find das schon anstrengend hier, das Leben. Ich muss viel schlafen."
    Seit Jahren schon möchte Brockmann zurück nach Deutschland, zu seinen Enkeln.
    "Ich werde Musik schreiben. Dann kann ich endlich mal richtig komponieren. Aber ich weiß ja nicht, wie das klappt. Es hängt ja alles davon ab, ob man einen findet, der das hier weiter fortsetzt."
    Und das gestaltet sich schwierig. Brockmann sucht einstweilen Entspannung in der Natur. Wladiwostok ist umgeben von Nationalparks.
    Wo ich mich erhole, einfach für eine Nacht verschwinden. Mit dem Zelt in die Berge. Ich stell mich dann an die Straße, halte ein Auto an, mach einen kleinen Preis aus, in einer halben Stunde bin ich auf dem Bergrücken, und da kann man ein Zelt aufbauen. Hier gibt es Tiger sogar. Aber ich hab noch keinen gesehen. Die verachten uns wohl, da passiert nix. Gefährlich sind die Bären, weil die so neugierig sind. Aber die Tiger sind nicht gefährlich, die laufen weg.