Donnerstag, 28. März 2024

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Pegida-Proteste
"Mit offenem Ohr begegnen"

CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer wirbt für einen Dialog mit den Pegida-Demonstranten. Es gelte, zwischen den Organisatoren und den Teilnehmern der Proteste zu unterscheiden. Hier zeige sich eine tiefe Enttäuschung über Demokratie, Medien und Establishment. Die Politik müsse diese Empfindungen ernst nehmen, sagte Mayer im DLF.

Stephan Mayer im Gespräch mit Sandra Schulz | 16.12.2014
    Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer spricht bei einem Statement vor einem Sitzungssaal in mehrere hingehaltene Mikrofone.
    Der CSU-Bundestagsabgeordnete Stephan Mayer (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    "Wir sind so weit wie nie zuvor von einer Islamisierung des Abendlandes entfernt", betonte Mayer. Der Angst vor einer "überbordenden Zuwanderung" müsse die Politik dennoch "mit einem offenen Ohr" begegnen. Grundsätzlich appellierte Mayer dafür, den Anliegen dieser Menschen aufgeschlossen gegenüberzutreten und sie nicht pauschal als "Nazis" oder "aufrührerische Revoluzzer" zu diskreditieren.
    Die Politik müsse die Sorgen der Bürger ernst nehmen, dürfe aber nicht die Parolen von Pegida übernehmen. Die überwiegende Zahl der Muslime in Deutschland sei gut integriert. Zugleich verwahrte sich Mayer gegen den Vorwurf, die CSU habe mit ihrem Kurs der Pegida-Aktivisten Vorschub geleistet. Die CSU habe verhindert, das unter dem Mantel der Freizügigkeit eine Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme stattfinde.
    In Dresden hatte gestern Abend die bisher größte Demonstration der "Pegida"-Bewegung mit rund 15.000 Teilnehmern stattgefunden.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Den Politikwissenschaftlern geben sie viel zu tun: Wie viel Rechts steckt in dem Bündnis, das sich "Patrioten Europas gegen eine Islamisierung des Abendlandes" nennt? Klar ist: Bei den Demonstrationen sind immer wieder auch polizeibekannte Rechtsextreme dabei gewesen, genau wie auch Personen aus der Hooligan-Szene. Aber mit dem Hinweis darauf sehen sich viele Demonstranten auch diskreditiert, weil sie eigentlich nur ihre Unzufriedenheit zeigen wollen. Die Kanzlerin warnt vor Hetze und Verleumdung. 15.000 Menschen haben gestern in Dresden demonstriert.
    Mitgehört hat Stephan Mayer, für die CSU Obmann im Bundestags-Innenausschuss. Guten Morgen!
    Stephan Mayer: Guten Morgen, Frau Schulz. Grüß Gott!
    Schulz: Welche Gefahr ist größer, Pegida oder eine mögliche Islamisierung?
    Mayer: Ja natürlich ist die Gefahr, die von Pegida ausgeht, wesentlich eminenter, wobei Gefahr muss man, glaube ich, auch relativiert sehen. Es sind mit Sicherheit unschöne Dinge, die sich entwickeln, aber ich glaube, man muss auch genau differenzieren zwischen den Personen, die diese Demonstrationen immer Montags organisieren, und vielen Menschen, die vielleicht aus Frust, aus Enttäuschung, auch aus Angst mitlaufen.
    "Motive der Teilnehmer sind sehr, sehr unterschiedlich"
    Schulz: Wie wollen Sie das denn differenzieren? Die laufen ja nun mal zusammen.
    Mayer: Ja, aber natürlich sind die Motive der Teilnehmer sehr, sehr unterschiedlich, und ich glaube, es wäre ein großer Fehler, wenn die Politik hier in Bausch und Bogen alle Teilnehmer als Nazis oder als Rassistisch diskreditiert. Die Ängste und diese Befürchtungen, die von vielen Demonstranten vor sich hergetragen werden, sind natürlich häufig irrational. Wir sind so weit wie noch nie zuvor von einer Islamisierung des Abendlandes entfernt. Ganz im Gegenteil! Der überwiegende Großteil der Moslems in Deutschland sind gut integriert, leben friedlich und gut integriert in der deutschen Gesellschaft. Aber es gibt natürlich viele weitere Motive, die diese Demonstranten antreiben. Da geht es teilweise um die Enttäuschung mit der Globalisierung, um persönliche Rückschläge in der eigenen Vita, und jetzt wird natürlich sehr vieles fokussiert auf dieses Thema drohende Islamisierung, was mit dem Motto der Veranstaltung an sich überhaupt nichts zu tun hat.
    Schulz: Sie haben es gerade ganz klar gesagt: Pegida sehen Sie als Gefahr und eine Islamisierung des Abendlandes droht nicht. Richtig?
    Mayer: Ja.
    Schulz: Wie erklären Sie sich denn dann die Ängste, die es ja so breit gibt?
    Mayer: Pegida muss natürlich alle demokratisch engagierten Politiker aufrütteln, weil es kann uns ja nicht egal sein, dass sich mittlerweile Montags in Dresden ja immer 5000 zusätzliche Demonstranten finden. Das ist natürlich auch eine Enttäuschung mit der Demokratie, die dort zum Ausdruck gebracht wird, mit dem Establishment, auch mit den herkömmlichen Medien, auch mit den herkömmlichen Parteien, auch mit der Demokratie insgesamt, und ich glaube, der größte Fehler wäre, jetzt so zu tun, als wäre nichts. Deswegen sehe ich Pegida als Gefahr.
    Ich sehe jetzt Pegida nicht als Gefahr für unsere Demokratie insoweit, als dass hier aufrührerische Revoluzzer am Werk sind, aber wir müssen natürlich als politische Verantwortungsträger diese Bewegung insoweit ernst nehmen, als dass wir nicht deren Parolen übernehmen - das wäre Grund weg falsch -, sondern dass wir uns auf allen politischen Ebenen darum bemühen, den Menschen ihre Ängste, auch möglicherweise ihre Wut zu nehmen, was zugegebenermaßen nicht einfach ist, aber ich glaube, man muss auf jeden Fall diesen Versuch unternehmen und sollte nicht der Versuchung unterliegen, die Menschen einfach nur zu diskreditieren und sie als Nazis in Nadelstreifen zu titulieren, wie dies der SPD-Landesinnenminister Jäger aus Nordrhein-Westfalen gemacht hat.
    "Politik braucht offenes Ohr für Anliegen der Bürger"
    Schulz: Es ist ja wohlfeil, darüber zu sprechen, was wir nicht tun sollten. - Ich möchte von Ihnen gerne wissen, was Sie tun wollen, damit die Menschen mit ihren Sorgen aufhören, auf die Straße zu gehen und sich so unverstanden fühlen.
    Mayer: Zunächst mal sollte die Politik ein offenes Ohr haben für die Anliegen und für Beschwerden der Bürger, dass da durchaus vieles irrational ist und auch viele Ängste unberechtigt sind, insbesondere was die überbordende Zuwanderung anbelangt. Gerade in Dresden und gerade in den neuen Bundesländern ist die Zuwanderung ja im Vergleich zu den alten Bundesländern noch weitaus geringer. Aber ich glaube, Hinhören, Zuhören ist das A und O.
    Schulz: Wir haben es ja gerade gehört: Die Bewegung will gar keinen Dialog.
    Mayer: Na ja. Aber ich glaube, trotzdem sollte man das Angebot unterbreiten. Das mag ja sein, dass die Initiatoren, vielleicht auch um sich zu profilieren, jetzt ganz bewusst den Dialog ausschlagen. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, wenn man Menschen, selbst wenn sie enttäuscht oder vielleicht auch wütend auf die Politik sind, sich doch anbietet und sagt, man hat jederzeit ein offenes Ohr, man ist auch aufgeschlossen auch den Anliegen, den Bürgern gegenüber, dann wird dies irgendwann dann doch mal angenommen werden.
    Mehrere Pegida-Demonstranten halten ein Banner mit der Aufschrift "Gewaltfrei und vereint gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden!"
    In Dresden gingen am Abend 15.000 Menschen auf die Straße um gegen eine Islamisierung Deutschland zu demonstrieren. (imago/Peter Blick)
    "Debatte nicht auf dem Rücken der Zuwanderer"
    Schulz: Es wäre vielleicht auch ein wichtiger erster Schritt, wenn Ihre Partei aufhören würde, Vorurteile und Ressentiments gegen fremde Menschen zu schüren. Ich habe mal rausgesucht aus dem Positionspapier der Pegida. Da heißt es: "Pegida ist für die Ausschöpfung und Umsetzung der vorhandenen Gesetze zum Thema Asyl und Abschiebung." Was ist der Unterschied zu "Wer betrügt, der fliegt"?
    Mayer: Man muss jetzt schon aufpassen, dass man die unterschiedlichen Themen nicht miteinander vermengt. Dieser Begriff "Wer betrügt, der fliegt", der ist aufgekommen im Zusammenhang mit der Debatte über Binnenmigration innerhalb der Europäischen Union, insbesondere aus Bulgarien, aus Rumänien, und wie jetzt auch bestimmte gesetzliche Veränderungen zeigen, ist diese Debatte von der CSU nicht ohne Not losgebrochen worden und nicht auf dem Rücken der Zuwanderer.
    Schulz: Der Unterschied besteht darin, dass Sie sich nur gegen Zuwanderer aus der EU wenden und gegen die Ressentiments schüren?
    Mayer: Nein. Liebe Frau Schulz, bitte unterstellen Sie mir nicht Dinge, die ich so nicht gesagt habe. Ganz im Gegenteil! Wir sind offen für Zuwanderung auch aus der EU. Wir brauchen auch verstärkte Fachkräfte aus Rumänien, aus Bulgarien, und die Bewegungsfreiheit und die Freizügigkeit sind wesentliche Grundpfeiler der Europäischen Union. Nur gegen was wir uns gewandt haben und das ja durchaus auch mit Erfolg - sonst wäre es auch nicht zu diesen gesetzlichen Änderungen gekommen, zum Beispiel im Einkommenssteuergesetz, zum Beispiel im Freizügigkeitsgesetz -, das ist, dass wir der Meinung sind, dass es unzulässig ist, dass unter dem Mantel der Freizügigkeit Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme erfolgt.
    Schulz: Die findet in großem Maße statt, das ist Ihre Botschaft?
    Mayer: Die findet auch nicht ...
    Schulz: Dann haben die Demonstranten ja Recht!
    Mayer: Die Demonstranten wenden sich gegen eine angebliche Islamisierung des Abendlandes. Sie wenden sich nicht gegen Sozialmissbrauch innerhalb der europäischen Union. Aber ich bin auch der festen Überzeugung, wenn man sich die Statements der Demonstranten anhört, dann führen nur die wenigsten auch dieses Thema Islamisierung überhaupt im Munde. Was man häufig hört ist eine Frustration über die Politik, ist das Gefühl, unverstanden zu sein, vielleicht auch etwas zurückgelassen, verloren zu sein, auch abgehängt zu sein vom wirtschaftlichen Fortschritt, und ich glaube, das A und O ist, der Bevölkerung und den Bürgern auch zu zeigen, dass es in Deutschland den meisten Menschen so gut geht, wie kaum Bürgern in anderen Ländern auf unserem Globus oder auch in Europa, und dass wir natürlich auch durchaus noch Unzulänglichkeiten haben, auch im Sozialsystem, und da durchaus aber auch jetzt im Rahmen der Großen Koalition aus meiner Sicht auf einem guten Weg sind.
    Schulz: Es hat aber auch Stimmen gegeben aus der Demonstration von gestern, da hat ein Mann gesagt, er habe die Sorge, seine Tochter könne gezwungen werden, später einmal Burka zu tragen. Sehen Sie da einen Zusammenhang zwischen dieser Angst und der Diskussion, die in der letzten Woche auf dem CDU-Parteitag gelaufen ist?
    Mayer: Da sehe ich keine unmittelbare Verbindung. Natürlich ist diese Angst vollkommen irrational und vollkommen abwegig, dass irgendjemand in Deutschland mal gezwungen wird, eine Burka zu tragen.
    Schulz: Warum diskutiert die Union dann darüber?
    Mayer: Es wird ja nicht nur in der Union, oder besser gesagt - Sie haben ja den CDU-Parteitag genannt -, es ist nicht auf dem CSU-Parteitag darüber debattiert worden. Aber es wird ja nicht nur in der CDU über ein mögliches Burka-Verbot debattiert, sondern viele Länder in Europa, zum Beispiel Belgien oder Frankreich, haben ein Burkaverbot erlassen. Es wäre doch jetzt vollkommen abstrus, so zu tun, als ob nur die CDU in ganz Europa als einzige Partei über ein mögliches Burka-Verbot spricht. Da gibt es Gründe dafür und da gibt es Gründe dagegen. Ich persönlich bin der Meinung, dass es keines Burka-Verbotes bedarf in Deutschland. Aber wie schon gesagt: In anderen Ländern waren auch ganz andere Parteien offenbar der Auffassung, wie in Frankreich, wie in Belgien, dass es eines Burkaverbotes bedarf. Ich bitte auch darum, jetzt nicht so zu tun, als ob hier nur in den Unions-Parteien ausgerechnet nur in Deutschland derartige Debatten laufen.
    "Kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Pegida und Brandanschläge"
    Schulz: Einen Punkt möchte ich gerne noch ansprechen. Sie haben es vorhin gesagt, oder wir haben es auch in dem Beitrag gehört: Es gab Buh-Rufe auf die Ankündigung, dass ein neues Flüchtlingsheim gebaut werden solle. Sehen Sie einen Zusammenhang - Bitte um kurze Antwort - zwischen Pegida und den Brandanschlägen aus der letzten Woche von Vorra?
    Mayer: Da sehe ich keinen unmittelbaren Zusammenhang. Was sich in Vorra abgespielt hat, ist wirklich ekelhaft. Das ist barbarisch und dem muss auch mit aller Macht des Staates und auch des Rechtsstaates entgegengetreten werden. Aber man muss nun mal auch festhalten: Zu demonstrieren ist das gute Recht der Menschen. Man kann es inhaltlich ablehnen, was sie propagieren. Das tue ich auch, um das auch klar zu sagen. Vieles ist irrational. Aber es wäre jetzt wirklich falsch, diese 15.000 Teilnehmer der Demonstration gestern in Dresden alle in die rechtsradikale Ecke zu stellen. Da waren offenkundig auch Neonazis dabei, da waren Rechtsradikale mit dabei, das ist auch klar zu brandmarken, aber ich warne davor, gerade nachdem dieses Thema so sensibel ist, hier jetzt unmittelbare Kausalitäten herzustellen zwischen einer Demonstration in Dresden und einem wirklich absolut verabscheuungswürdigen Anschlag in Vorra.
    Schulz: ... , sagt heute Morgen der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer. Sorry für das abrupte Ende dieses Interviews.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.