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Perspektiven für wissenschaftlichen Nachwuchs
"Forschung leidet unter Personalfluktuation und Potenzialverlust"

Gerade mal sechs Monate dauern manche Arbeitsverträge für Nachwuchswissenschaftler. Nicht nur die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft macht der Bundesregierung deshalb Druck. Auch Sebastian Raupach, Initiator der Studie "Perspektive statt Befristung" kritisiert im DLF diese "Fehlsteuerung der Beschäftigungspolitik".

Sebastian Raupach im Gespräch mit Regina Brinkmann |
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    Mehr als 25.000 Menschen haben im letzten Jahr die Online-Petition "Perspektive statt Befristung" gezeichnet. Sie fordern, Karrierewege in der Wissenschaft planbarer zu machen. (picture-alliance / dpa / Thomas Frey)
    Regina Brinkmann: Dauerhaft Geld für Dauerstellen, das klingt erst einmal vielversprechend. Nachdem Bundesbildungsministerin Johanna Wanke die Bundestagsdebatte über den Nationalen Bildungsbericht eröffnet hatte, waren Dauerstellen auch Thema bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
    Oft müssen sich nämlich Nachwuchsforscher von einer Stelle zur anderen hangeln. Manche Arbeitsverträge dauern gerade mal sechs Monate. Aus Sicht der Betroffenen und der GEW müssen Karrierewege in der Wissenschaft planbarer werden. Ein Weg dahin ist nicht nur mehr Geld, sondern auch eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.
    Diese Reform hatte die Große Koalition versprochen, weil sich bislang aber noch nichts bewegt hat, ist die GEW jetzt mit einem eigenen Vorschlag für einen Gesetzesentwurf vorgeprescht, denn die Situation im Wissenschaftsbetrieb hat sich in den letzten Jahren erheblich verschlechtert. Nicht nur die GEW macht der Bundesregierung Druck, endlich etwas für die Nachwuchswissenschaftler zu tun.
    Mehr als 25.000 Menschen haben im letzten Jahr die Online-Petition "Perspektive statt Befristung" gezeichnet. Initiiert hatte sie der Physiker und Nachwuchswissenschaftler Sebastian Raupach, den ich jetzt am Telefon begrüße. Herr Raupach, Sie haben erst kürzlich das erreicht, für das Sie mit Ihrer Onlinepetition noch gekämpft haben: Sie haben eine feste Stelle in einem außeruniversitären Institut. Hätten Sie sich sonst aus dem Wissenschaftsbetrieb kurz- oder langfristig verabschiedet?
    Sebastian Raupach: Ja, ich denke, schon. Ich stand sicherlich kurz davor, mir sehr sehr ernsthaft den Ausstieg aus dem Wissenschaftsbereich zu überlegen.
    Studie: "Exzellenz braucht Existenz"
    Brinkmann: Was halten Sie denn jetzt von den Reformvorschlägen der GEW, diese Situation zu verändern?
    Raupach: Ich finde das sehr, sehr positiv, habe ganz große Zustimmung zu der weit überwiegenden Zahl der Reformvorschläge der GEW. Ich denke, es ist auch klar, dass die Tatsache, dass die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes im Koalitionsvertrag steht, dem langjährigen Engagement der Gewerkschaften, gerade auch der GEW zu verdanken ist.
    Ja, und viele Vorschläge decken sich mit den Ergebnissen, die unsere Studie "Exzellenz braucht Existenz" zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ja auch gefunden haben, und gehen auch noch darüber hinaus. So zum Beispiel die Mindestlaufzeit von drei Jahren, das war auch ein Wunsch der Teilnehmenden an der Studie. Sicherlich sehr positiv ist die Forderung nach Dauerstellen für Daueraufgaben, ein guter Schritt in Richtung für mehr unbefristete Stellen.
    Die behinderungspolitische Komponente wie auch die Herausnahme des nicht-wissenschaftlichen Personals aus dem Gesetz, die Tenure Tracks, auch ganz massiv gefordert von den Teilnehmenden der Studie. Ja, also ganz, ganz positiv. Ein, zwei kleine Fragezeichen würde ich für mich vielleicht hinter die Umgestaltung der sogenannten Zwölf-Jahresregel setzen, die die GEW vorschlägt.
    Brinkmann: Welche Fragezeichen sind das?
    Raupach: Nach den Vorschlägen der GEW ist, nach meinem Verständnis, eine Befristung auf drei Arten möglich: Einmal aus Haushaltsmitteln, weiter für maximal zwölf Jahre, verlängert unter gewissen Bedingungen, aber nur in Form eines Tenure Tracks, oder aus Drittmitteln, dann ganz ohne Einschränkungen, oder während der Promotion. Die Konsequenzen daraus wären jetzt, dass für die Tenure-Track-Befristung nach der Zwölf-Jahres-Regel erst mal für jeden Wissenschaftler, jede Wissenschaftlerin, die danach befristet ist, auch eine Zielstelle vorhanden sein muss. Eine sehr starke Forderung.
    Und gleichzeitig stellt sich die Frage, was ist mit denen, die es nicht schaffen? Die sind dann wieder in der Situation, der sich momentan auch viele befristete Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgesetzt sehen, dass sie dann – ja, das wird immer als Berufsverbot bezeichnet – unter Umständen bundesweit große Schwierigkeiten haben, überhaupt noch eine Anstellung als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler zu finden.
    Und gleichzeitig würde ich dann die Vorschläge der GEW gern noch dahingehend ergänzen, dass ich mir noch eine Begrenzung für Drittmittelbefristungen wünschen würde. Und da war ja ein Vorschlag aus der Studie, zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hier eine Deckelung des Befristungsanteils einzuführen und hiermit auch die Last sozusagen, dieses Risiko von dem einzelnen Wissenschaftler wegzunehmen und den Arbeitgeber stärker einerseits in die Verantwortung zu nehmen, ihm andererseits aber auch eine gewisse Flexibilität der Arbeitsvertragsgestaltung zu geben.
    Attraktivität des deutschen Forschungssystems leidet massiv
    Brinkmann: Jetzt haben Sie ja schon häufiger erwähnt das Wort Studie. Die Studie, die Sie durchgeführt haben. Da ging es auch um die Qualität der Wissenschaft, die eben auch darunter leide, wenn eben Nachwuchswissenschaftler keine Perspektive haben. Inwiefern leidet sie darunter?
    Raupach: Einerseits leidet gerade an den Hochschulen die Qualität der Lehre dadurch, dass die Lehrenden unter Umständen gar nicht wissen, ob die Lehrveranstaltungen, die sie vorbereiten, ob sie die noch halten können, weil ihre Stelle eben befristet ist. Aber auch die Forschung leidet massiv unter hoher Personalfluktuation, da immer wieder Know-how verloren geht, aber auch unter Potenzialverlust, wenn zum Beispiel gerade Wissenschaftlerinnen systematisch, und das ist der Verdacht, der nahe liegt, aus dem System gedrängt werden, geht ja ein Riesenpotenzial verloren.
    Aber auch im Vergleich mit dem Ausland führt es dazu, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland ja nur sehr ungern zurückkehren, weil sie halt hier eine Situation vorfinden, die es ihnen sehr schwierig macht, zum Beispiel eine Familie aufzubauen, ihr Leben aufzubauen. Zum Beispiel hat es in einem Onlinekommentar zu der Onlinepetition schreibt ein Kommentator, er sei seit vier Jahren in einer Ivy-League-Universität in den USA und würde sehr, sehr gerne seine Karriere an einer Universität in Deutschland fortsetzen. Da er aber auch Familienvater sei, könne er das Risiko schlicht und einfach nicht eingehen. Und das ist natürlich ein sehr, sehr unglücklicher Zustand, wenn die Attraktivität des deutschen Forschungssystems so massiv unter einer Fehlsteuerung der Beschäftigungspolitik leidet.
    Brinkmann: Nun wird ja der Bundesregierung mit diesen GEW-Vorschlägen etwas Druck ja vielleicht gemacht, aber auch Sie haben versucht, Druck auszuüben mit dieser zitierten Onlinepetition "Perspektive statt Befristung". Mehr als 25.000 Menschen haben die gezeichnet, und sie liegt auch dem Bundesbildungsministerium vor. Wie hat denn Frau Wanka darauf bislang reagiert?
    Raupach: Ja, bisher leider noch gar nicht. Ich warte seit zwei Monaten auf Antwort aus dem Büro der Ministerin, aber ich bin sehr zuversichtlich und denke, dass, sobald die Bundesregierung eigene Eckpunkte hat, die sie vorstellen möchte, sie dann auch hier auf die Petenten zugehen wird und in die Öffentlichkeit treten wird mit den Vorschlägen und dann auch die Petition entgegennehmen wird.
    Brinkmann: Ja, so weit Nachwuchswissenschaftler Sebastian Raupach über seine Onlinepetition und die Vorschläge der GEW, die beruflichen Perspektiven im Wissenschaftsbetrieb zu verbessern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.