Dienstag, 16. April 2024

Finanzierung von Pflegeheimen
Für viele unbezahlbar – und trotzdem kaum rentabel

Viele Pflegeheime stehen vor der Insolvenz, obwohl Pflegebedürftige oft Tausende Euro für einen Platz bezahlen. Warum ist die Finanzierung der Heime so schwierig und wie könnte die Lage verbessert werden?

21.09.2023
    Blick in den Gang eines Pflegeheimes. Von hinten sieht man eine Schwester, die eine Person beim Laufen mit einer Gehhilfe unterstützt.
    Wer kann sich ein Pflegeheim noch leisten (Getty Images / Maskot)

    Überblick

    Was kostet ein Pflegeplatz?

    Im bundesweiten Durchschnitt zahlen Pflegebedürftige im ersten Jahr monatlich 2548 Euro für einen Platz in der stationären Pflege, das geht aus Zahlen des Verbandes der Ersatzkassen aus dem August 2023 hervor. Im Vergleich zum Januar 2023 sind die Kosten damit um monatlich fast 140 Euro gestiegen.
    Die Kosten variieren dabei zwischen den Bundesländern um mehrere hundert Euro. In Sachsen-Anhalt zahlen Pflegebedürftige im ersten Jahr ihrer Pflege im Durchschnitt knapp unter 2.000 Euro, in Nordrhein-Westfalen hingegen etwa 2.800 Euro, in Baden-Württemberg knapp über 2.900. Die genauen Kosten hängen zudem von der Wahl des Pflegeheims ab. Für Einrichtungen im gehobenen Preissegment zahlen Pflegebedürftige auch 4.500 Euro oder noch mehr.
    Seit Januar 2022 übernehmen die Pflegekassen einen Teil der Kosten, die die Pflegebedürftigen für ihren Heimplatz selbst aufbringen müssen. Der Zuschuss hängt ab von der Dauer des Aufenthalts und bezieht sich nur auf die reinen Pflegekosten. Bei den Kosten für Unterkunft, Verpflegung und weiteren Posten werden die Betroffenen nicht entlastet.*
    Im ersten Jahr tragen die Kassen fünf Prozent der Summe, die die Heimbewohner für die Pflege selbst aufbringen müssen. Im zweiten Jahr sind es 25, im dritten 45 und ab dem vierten Jahr 70 Prozent. Damit soll die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen durch die seit Jahren steigende Eigenbeteiligung abgefedert werden.
    Im September 2022 waren diese Heimplatzkosten zuletzt nochmal deutlich gestiegen. Seitdem werden Pflegekräfte nämlich nach Tarif bezahlt. Eine Regelung, die gut für die Pflegekräfte ist und ihnen mehr Gehalt beschert hat. Die Kosten aber werden an die Pflegebedürftigen weitergereicht.
    Seit 2017 ist der Eigenanteil fast unabhängig vom Pflegegrad. Ob man im Pflegegrad 2 bis 5 eingestuft ist, spielt keine Rolle mehr für die Kosten, die man übernehmen muss. Wer allerdings lediglich im Pflegegrad 1 eingestuft ist und trotzdem vollstationär gepflegt werden möchte, bekommt lediglich 125 Euro Zuschuss zu einem Pflegeplatz und muss den Rest selbst bezahlen. Die Kosten, die die Pflegekasse zahlt, fallen aber je nach Grad natürlich unterschiedlich aus. Ein Pflegebedürftiger im Grad 2 kostet die Kasse 770 Euro, im Grad fünf sind es 2.005 Euro.

    Was passiert, wenn sich jemand den Platz im Pflegeheim nicht leisten kann?

    In Deutschland springt die Sozialhilfe ein, wenn jemand den Eigenanteil nicht stemmen kann. Trotzdem ist das eigene Vermögen inzwischen oft entscheidend dafür, ob ein Pflegebedürftiger zeitnah einen Pflegeplatz findet oder nicht.
    Jens Bauermeister betreibt ein Pflegeheim im Berliner Süden und er spricht offen darüber, dass die finanziellen Engpässe immer mehr zu einer Zwei-Klassen-Versorgung führen: „Die Bearbeitungszeiten bei der Sozialhilfe sind sehr langsam, und teilweise müssen da die Pflegeeinrichtungen und die Pflegedienste viel Geld vorfinanzieren. Und als kleiner Träger ist das auch nur sehr bedingt möglich.“
    In seiner Einrichtung sei ein Drittel der Bewohner Sozialhilfeempfänger. Er müsse sehr genau überlegen, wie viele weitere Sozialhilfeempfänger er annehmen könne. Eine zu hohe Quote könne seinen mittelständischen Betrieb gefährden.

    Warum ist die Finanzierung der Pflegeheime so schwierig?

    Die Betreiber haben insbesondere drei Probleme: steigende Mieten, hohe Energiepreise und den Fachkräftemangel.
    Die Energiepreise und die Mieten können die Betreiber zumindest teilweise auf die Bewohner umlegen. Der Fachkräftemangel hingegen wird für viele Altenheime zum Ruin. Fehlendes Personal führt zu der paradoxen Situation, dass in immer mehr Pflegeheimen Betten leer stehen, obwohl der Andrang groß ist. Der Grund ist die gesetzlich vorgeschriebene Untergrenze für das Personal: Die Heime dürfen nur so viele Betten belegen, wie sie den Anforderungen entsprechend mit ihrem Personal abdecken können. Fehlt das Personal, müssen die Betten also leer stehen. Leere Betten aber sind für Pflegeheime der sichere finanzielle Ruin.
    „Wir müssen mit einer 96-prozentigen Auslastung rechnen, sonst sind wir von der Kalkulation der Pflegekassen her, wenn wir darunter sind, im Minusbereich“, sagte Jens Bauermeister, der ein Pflegeheim im Berliner Süden leitet. Die Pflegekassen handeln mit den Heimbetreibern regelmäßig neue Pflegesätze aus, diese sind aber immer sehr knapp kalkuliert.
    Ein weiterer Kostentreiber waren die Infektionsschutzmaßnahmen während der Corona-Pandemie. Diese hätten für Betreiber viele Zusatzkosten bedeutet, sagte der Geschäftsführer des Verbands katholischer Altenhilfe in Deutschland, Andreas Wedeking, Anfang März 2023. Zwar würden Pflegesätze an die gestiegenen Kosten angepasst, aber erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung. Die Finanzierung der Altenheime laufe dadurch dem realen Kostenanstieg hinterher.

    Warum müssen insbesondere kleine Pflegeheime aufgeben?

    Wenn ein Altenpflegeheim Insolvenz anmeldet, dann hat das für die Mitarbeitenden und Bewohner oft weniger Konsequenzen als befürchtet. Denn meistens werden die Heime von einem neuen Betreiber aufgekauft, der dann auch das Personal und die Pflegebedürftigen übernimmt, berichtet Tobias Hartwig, der als Insolvenzverwalter für das Unternehmen Schultze und Braun arbeitet.
    Heime, die nicht rentabel arbeiten, finden trotzdem einen Käufer, weil die Marktbedingungen nicht für alle Unternehmer schlecht sind. Während kleine Betriebe straucheln, kann sich das Geschäft ab einer bestimmten Größe noch immer lohnen. Einer, der das aus eigener Erfahrung weiß, ist Christoph Jaworski.
    Jaworski betreibt mehrere Pflegeheime und ambulante Dienste vom nördlichen Hessen bis ins südliche Niedersachsen. Es kommen immer mehr dazu – zuletzt ein kleines Pflegeheim in Braunschweig, das Haus am Lehmanger, das ihm Insolvenzverwalter Tobias Hartwig vermittelt hat. Fast 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt der Unternehmer inzwischen an 16 verschiedenen Standorten. Doch wenn man ihm zuhört, bekommt man den Eindruck, lieber, als die insolventen Heime zu sanieren, wäre ihm eigentlich, sie würden die Hilfe gar nicht brauchen.
    Ich persönlich bin überzeugt davon, dass die 40-Betten Pflegeheime die besseren Pflegeheime sind. Klassisches Beispiel, eine Einrichtung in der Nähe von Kassel, die wir mal übernehmen sollten - 35 Betten. Die Eigentümerin ist 85 Jahre alt. Die war Gemeindeschwester. Sie kennt vor Ort alle. Das sind zwei Einfamilienhäuser, die mit einem Baukörper verbunden sind. Das ist einfach ein Zuhause.“
    Doch solche kleinen Pflegeheime könnten auf dem Markt heute nicht mehr bestehen, wenn sie nicht zu einem größeren Unternehmen gehörten. Jaworski macht dafür die politischen Bedingungen verantwortlich: Während er mit seinem großen Unternehmen die zwölf Monate überbrücken konnte, die die letzten Pflegekassen-Verhandlungen bei ihm gedauert hätten, treibe das kleinere Heime in den Ruin.

    Welche Ansätze gibt es, um die Probleme der Pflegeheime zu lösen?

    Klar ist, dass der Druck im Pflegesystem zunehmen wird. Denn die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland steigt - und wird weiter steigen. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass Ende 2021 fünf Millionen Menschen in Deutschland gepflegt wurden. Bis 2055 werde diese Zahl auf 6,8 Millionen ansteigen, schätzt das Bundesamt. Danach seien keine größeren Steigerungen mehr zu erwarten, weil ab 2055 geburtenschwächere Jahrgänge pflegebedürftig werden.
    In den kommenden Jahren müssen also mehr und mehr Pflegebedürftige finanziert werden, dabei ist das Pflegesystem jetzt schon am Limit. Das Bundeskabinett hat am 5. April 2023 einen Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) beschlossen, der Abhilfe schaffen soll. Ein wichtiger Baustein darin: höhere Beiträge zur Pflegeversicherung. Ab dem 1. Juli 2023 soll der Beitrag zur Pflegeversicherung um 0,35 Prozentpunkte steigen.
    Für Menschen im Pflegeheim sollen die Leistungszuschläge um fünf bis zehn Prozentpunkte angehoben werden. Wer längere Zeit gepflegt wird, müsste dann einen kleineren Eigenanteil zahlen. Lauterbach selbst räumte ein, dass damit noch keine langfristige Perspektive für die Pflege geschaffen sei. Zu dieser Frage habe man eine Kommission eingesetzt.
    Im größten Problemfeld, dem Fachkräftemangel, wurde ein entscheidender Schritt schon gemacht: Seit dem 1. September 2022 müssen Pflegeheime ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen. Eine Lohnerhöhung, die ein Baustein sein kann, um den Beruf attraktiver zu machen. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sind noch nicht abschätzbar. Das Eintrittsgehalt in den Beruf sei aber immer noch ein Drittel zu niedrig, meinte der Pfleger Marcus Jogerst-Ratzka in Deutschlandfunk Kultur.
    *Wir haben diese Textpassage nachträglich angepasst, weil In der ursprünglichen Formulierung nicht deutlich wurde, dass der Zuschuss der Pflegekasse sich nur auf die Pflegekosten bezieht.

    pto