
Der Fachkräftemangel liegt in Deutschland weiter auf hohem Niveau. Zwar ist die die Nachfrage nach Arbeitskräften laut Bundesagentur für Arbeit erneut leicht zurückgegangen. Im Februar 2023 waren aber noch immer 778.000 offene Stellen gemeldet, 44.000 weniger als vor einem Jahr.

Die sogenannte Fachkräftelücke lag laut Institut der deutschen Wirtschaft im Dezember bei 533.000. Die Zahl beinhaltet die offenen Stellen, die rein rechnerisch nicht besetzt werden konnten, da es keine passend qualifizierten Arbeitslosen für sie gab. Zum Vergleich: Im Zwölf-Monats-Durchschnitt von Juli 2021 bis Juli 2022 betraf die Fachkräftelücke noch knapp 574.000 Stellen.
- Welche Gründe gibt es für den Fachkräftemangel in Deutschland?
- Welchen Einfluss hat der demografische Wandel auf den Fachkräftemangel?
- Kann Zuwanderung das Problem des Fachkräftemangels lösen?
- Welche Rolle spielt das Thema Bildung beim Fachkräftemangel?
- Rente mit 70 - ist das die Lösung für den Fachkräftemangel?
Welche Gründe gibt es für den Fachkräftemangel in Deutschland?
Als aktuellste Ursache für den Mangel ist die Coronakrise zu nennen. Viele Branchen haben während der Pandemie Beschäftigte verloren oder entlassen, die jetzt nicht zurückkommen. Laut Bundesagentur für Arbeit haben allein bei Gastronomie und Hotellerie im ersten Coronajahr 2020 knapp 390.000 Beschäftigte - das ist mehr als die Hälfte - neue Stellen angetreten. Viele davon im Verkauf, der Logistik und in der Verwaltung von Unternehmen.

Eine besonders starke Abwanderung gab es bedingt durch die Coronakrise im Bereich der Dienstleistungsberufe. Das merken Verbraucher im Alltag, wenn beispielsweise Handwerker fehlen oder Frisöre. So wie es aussieht, wollen die meisten der Beschäftigten auch nicht in ihre alten Berufe zurückkehren. Die Zahl unbesetzter Stellen war allerdings schon vor der Corona-Pandemie stetig gestiegen - vor allem aufgrund einer veränderten Altersstruktur der Bevölkerung.
Welchen Einfluss hat der demografische Wandel auf den Fachkräftemangel?
Die zahlenmäßig starken Jahrgänge der Babyboom-Generation gehen langsam in Rente. Sie wurden Ende der 1950er- und in den 1960er-Jahren geboren. In den 2020er-Jahren werden diese Altersjahrgänge den Arbeitsmarkt verlassen. Aktuell machen Menschen im Rentenalter noch den kleinsten Teil der Bevölkerung aus. In zehn bis 15 Jahren werden sie den größten Anteil darstellen, davon geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus. Zugleich werden in Deutschland, so schätzt es das Statistische Bundesamt, voraussichtlich immer weniger Kinder geboren. Der Stellenmarkt wird aber nicht kleiner.
Zwar arbeiten mehr Frauen als früher, viele Arbeitskräfte bleiben auch länger erwerbstätig, doch das reicht nicht, um alle Jobs zu besetzen. Die bis 2026 errechnete Fachkräftelücke von rund 240.000 Personen aus Neubedarf und Neuangebot fällt aber laut Zahlen des Bundes weniger als halb so groß aus wie noch im vorigen Jahr für 2025 erwartet (540.000 Personen). Dies wird mit dem höheren Arbeitskräfteangebot etwa durch Flüchtlinge aus der Ukraine und dem geringeren Wirtschaftswachstum begründet.
Bevölkerung nach Alter - Vergleich 2018 mit 2035

Kann Zuwanderung das Problem des Fachkräftemangels lösen?
Angesichts eines zunehmenden Mangels an Arbeitskräften will die Bundesregierung die gezielte Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt fördern. Rund 400.000 Zuwanderer braucht Deutschland, so Experten, um den Bedarf an Fachkräften zu stillen. Erleichtert werden soll das bereits mit dem "Fachkräfteeinwanderungsgesetz", das Union und SPD 2019 eingeführt hatten: Menschen aus Drittstaaten, also nicht EU-Ländern, mit beruflicher, nicht-akademischer Ausbildung sollen damit einfacher nach Deutschland einwandern können. Bislang wirkt das Gesetz allerdings nicht als Magnet.
Das Kabinett beschloss am 12.10.2022 in Berlin eine Fachkräftestrategie, wonach unter anderem das Einwanderungsrecht reformiert und die Verfahren beschleunigt werden sollen. Firmen, Länder, Kommunen, Sozialpartner, Bundesagentur für Arbeit, Bildungsträger und die Bundesregierung sollten zudem stärker zusammenarbeiten.

Bei einem seit 2019 mit 13 Millionen Euro geförderten Pilotprojekt der Europäischen Union und des Entwicklungsministeriums zur Arbeitsmigration und -mobilität zwischen Nordafrika und Europa (THAMM) werden bereits Arbeitsagenturen in Tunesien, Marokko und Ägypten geschult und mit den Arbeitsagenturen in Belgien, Frankreich und Deutschland verbunden. Deutsche Unternehmen können über diesen Weg Stellen besetzen, falls sie dafür in Deutschland niemanden finden. Laut Entwicklungsministerium wurden bislang 234 Auszubildende und 44 Fachkräfte aus Tunesien, Marokko und Ägypten an Betriebe in Deutschland vermittelt.
Reform des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes
Am 29. März 2023 verabschiedete das Bundeskabinett eine Novelle des Fachkräfte-Einwanderungsgesetzes. Profitieren sollen von den Neuregelungen auch Menschen, die keine Fachkräfte sind, aber über lange Berufserfahrung in Bereichen verfügen, in denen in Deutschland Arbeitskräfte fehlen – in der Pflege zum Beispiel.
Drei Personengruppen soll künftig die Einwanderung erleichtert werden:
- Fachkräften und Hochschulabsolventen. Voraussetzung: ein anerkannter Abschluss, ein gültiger Arbeitsvertrag und zu Inländern gleichwertige Beschäftigungsbedingungen. Neu ist: Personen, die über einen in Deutschland anerkannten Abschluss verfügen, sollen in Zukunft jede qualifizierte Beschäftigung ausüben können. Eine Mechanikerin soll demnach auch als Logistikerin eingestellt werden können. Die geforderte Gehaltsgrenze wird maßvoll abgesenkt. Auch die sogenannte Vorrangprüfung wird abgeschafft, die bisher deutsche Arbeitnehmer schützen sollte.
- Menschen, die über eine zweijährige Erfahrung in dem Beruf verfügen, der in Deutschland ausgeübt werden soll, wenn sie in ihrem Heimatland einen Berufs- oder Hochschulabschluss gemacht haben. Dieser muss dann nicht mehr wie bisher in Deutschland als gleichwertig anerkannt werden. Eine Prüfung der Sprachkenntnisse soll dem Arbeitgeber obliegen. Bei IT-Spezialisten soll auf einen Sprachnachweis ganz verzichtet werden.
- Menschen "mit Potential", die aber bei der Einreise noch keinen Arbeitsvertrag in Deutschland vorweisen müssen. Personen mit einem guten Potential sollen sich für eine sogenannte "Chancenkarte" bewerben können – auch wenn sie noch keinen Arbeitsvertrag vorweisen können. Dafür soll ein Punktesystem nach dem Vorbild Kanadas eingeführt werden. Als Auswahlkriterien werden Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter genannt.
Durch die Maßnahme könnte die Zuwanderung um 60.000 Fachkräfte pro Jahr erhöht werden, heißt es im Gesetzentwurf.
Kritik an der Reform
Für die Opposition geht die Reform in die falsche Richtung. "Wir brauchen Fachkräfte. Was die Ampel jedoch will, ist eine allgemeine Arbeitsmigration", sagte Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion. Im geltenden Gesetz gebe es bereits die Regelung, dass eine Berufsausbildung ausreichend sei und man über Aufbaukurse eine Nach-Qualifizierung absolvieren könne. Es gebe viele Menschen in Deutschland, die arbeitslos seien, aber grundsätzlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen würden. Hier müsste man ansetzen, um eine "Zuwanderung in die Sozialsysteme" zu verhindern.
Die Linke warnt davor, anderen Ländern Menschen abzuwerben, die dort ausgebildet wurden und dort dringend benötigt werden. Zudem sollte man auch auf die Menschen setzen, die bereits in Deutschland sind, wie zum Beispiel Geflüchtete. Außerdem, moniert die Linke, sei der Arbeitsmarkt bereits stark dereguliert.
Ohnehin sei die Zuwanderung "kein Allheilmittel", sagte Ulrich Kober, Direktor Demokratie und sozialer Zusammenhalt bei der Bertelsmann-Stiftung, im Dlf. Das sehen auch andere Experten so. Laut des IaB (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) kann Migration den Rückgang des Arbeitskräftepotenzials verschieben und abschwächen, aber nicht stoppen.
Welche Rolle spielt das Thema Bildung beim Fachkräftemangel?
Die Ampel-Bundesregierung will sich laut ihrer Fachkräftestrategie verstärkt auch um die Ausbildung von Fachkräften bemühen. Vorgesehen ist unter anderem eine Ausbildungsgarantie, durch die ein rechtlicher Anspruch auf einen Ausbildungsplatz eingeführt wird. Ziel ist es, die hohe Quote an Jugendlichen ohne Schulabschluss und anschließender Ausbildung zu senken. Zu den weiteren Vorhaben gehört auch, die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu erhöhen.
Rente mit 70 - ist das die Lösung für den Fachkräftemangel?
Jüngst wieder aufgeflammt ist die Debatte über das Renteneintrittsalter. Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, hat sich für eine schrittweise Anhebung auf 70 Jahre ausgesprochen. Ansonsten werde das Sozial- und Rentenkassen-System mittelfristig nicht mehr finanzierbar sein, sagte Wolf der Funke-Mediengruppe.
Gewerkschaften und Sozialverbände haben diese Idee heftig kritisiert und auch aus der Politik gab es Gegenwind. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch bezeichnete den Vorschlag als "unsozialen Bullshit". Viele Kritiker befürchten, dass eine Anhebung auf Rentenkürzungen hinauslaufen würde, denn viele Menschen könnten ihren Beruf nicht länger ausüben - man denke an Pflegeberufe oder handwerkliche Arbeiten.
Eine weitere Überlegung ist die Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden. Umfragen zeigen offenbar, dass viele Teilzeitkräfte gerne mehr arbeiten würden, viele Vollzeitkräfte aber dafür gerne weniger. Die Ökonomin und Wirtschaftsweise Monika Schnitzer fordert eine Flexibilisierung der Arbeitszeit, um einfach möglichst viele Menschen in den Arbeitsmarkt zu bekommen.
Quellen: Statistisches Bundesamt, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IW, epd, rtr, tei, og, tmk, Bundesagentur für Arbeit, Nastassja Shtrauchler, Silke Hahne, Kate Maleike, Dirk-Oliver Heckmann