Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Warum Arbeitskräfte fehlen und was dagegen getan wird

Der Bundestag hat Maßnahmen gegen den Fach- und Arbeitskräftemangel beschlossen. Dazu gehören Anreize für qualifizierte Zuwanderer, Perspektiven für abgelehnte Asylbewerber sowie die Stärkung der Aus- und Weiterbildung.

    Ein Mann mit kariertem Hemd arbeitet mit Holz. Seine Hand hält einen Hobel, es fallen Späne.
    Nicht nur im Handwerk: In Deutschland fehlen Fachkräfte. (picture alliance / Zoonar / Oleksandr Latkun)
    Am 23. Juni 2023 hat der Bundestag eine umfassende Palette von Maßnahmen beschlossen, um dem Mangel an Fach- und Arbeitskräften entgegenzuwirken. Denn der Fachkräftemangel liegt in Deutschland weiter auf hohem Niveau. Zwar ist die Nachfrage nach Arbeitskräften laut Bundesagentur für Arbeit seit dem Sommer 2022 leicht zurückgegangen, im Mai 2023 waren aber immer noch knapp 767.000 offene Stellen gemeldet.
    Bestand an offenen Arbeitsstellen im Jahresdurchschnitt von 2011 bis 2023. 2011 waren 466.000 Stellen frei, 2023 waren es 772.000.
    Die Zahl der offenen Arbeitsstellen steigt (Statista/Bundesagentur für Arbeit)
    Die sogenannte Fachkräftelücke lag laut Institut der deutschen Wirtschaft im Dezember bei 533.000. Die Zahl beinhaltet die offenen Stellen, die rein rechnerisch nicht besetzt werden konnten, da es keine passend qualifizierten Arbeitslosen für sie gab.

    Wie möchte die Bundesregierung mehr Fachkräfte ins Land holen?

    Mit dem neuen Gesetz möchte die Bundesregierung sowohl sehr hoch qualifizierte Akademiker ins Land holen als auch Menschen aus Fachberufen wie Handwerk und Pflege, in denen großer Mangel herrscht.
    Drei Personengruppen soll künftig die Einwanderung erleichtert werden:
    Fachkräften und Hochschulabsolventen. Voraussetzung: ein anerkannter Abschluss, ein gültiger Arbeitsvertrag und zu Inländern gleichwertige Beschäftigungsbedingungen. Neu ist: Personen, die über einen in Deutschland anerkannten Abschluss verfügen, sollen in Zukunft jede qualifizierte Beschäftigung ausüben können. Eine Mechanikerin soll demnach auch als Logistikerin eingestellt werden können. Die geforderte Gehaltsgrenze wird maßvoll abgesenkt. Bei Akademikern soll zukünftig ein Gehalt von 3.500 Euro reichen. Auch die sogenannte Vorrangprüfung wird abgeschafft, die bisher deutsche Arbeitnehmer schützen sollte.
    Menschen, die über eine zweijährige Erfahrung in dem Beruf verfügen, der in Deutschland ausgeübt werden soll, wenn sie in ihrem Heimatland einen Berufs- oder Hochschulabschluss gemacht haben. Dieser muss dann nicht mehr wie bisher in Deutschland als gleichwertig anerkannt werden. Eine Prüfung der Sprachkenntnisse soll dem Arbeitgeber obliegen. Bei IT-Spezialisten soll auf einen Sprachnachweis ganz verzichtet werden.
    Menschen "mit Potenzial", die aber bei der Einreise noch keinen Arbeitsvertrag in Deutschland vorweisen müssen. Personen mit einem guten Potenzial sollen sich für eine sogenannte "Chancenkarte" bewerben können – auch, wenn sie noch keinen Arbeitsvertrag vorweisen können. Dafür soll ein Punktesystem nach dem Vorbild von Einwanderungsländern wie Kanada und Australien eingeführt werden. Als Auswahlkriterien werden Qualifikation, deutsche und englische Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und das eigene Alter sowie das der mitziehenden Lebens- und Ehepartner genannt. Wer eine Chancenkarte hat, darf dann in Deutschland ein Jahr nach einem Job suchen – und bleiben, wenn er einen findet. Durch die Maßnahme könne die Zuwanderung um 60.000 Fachkräfte pro Jahr erhöht werden, hieß es im Gesetzentwurf.

    "Spurwechsel" für Geflüchtete wird verankert

    Asylsuchende, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden, sollen zukünftig in Deutschland bleiben dürfen, auch wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Sie müssen dafür fachlich qualifiziert sein und ein Jobangebot oder bereits einen Arbeitsplatz haben. Diese Option wird als Spurwechsel bezeichnet, weil die Menschen damit von ihrem Asylgesuch auf den Pfad der Arbeitsmigration wechseln.
    Für die Spurwechsel-Regelung gibt es allerdings einen Stichtag. Die Regelung kann nur von Menschen in Anspruch genommen werden, deren Asylverfahren am 29. März 2023 bereits eröffnet war. Die Botschaft dahinter: Das ist eine einmalige Sache für diejenigen, die bereits in Deutschland sind. Am 29. März 2023 hatte die Bundesregierung den ersten Entwurf für die Gesetzesnovelle vorgelegt.

    Welche Kritik gibt es an der Reform der Ampel?

    Bei der Abstimmung im Bundestag lehnten Union und AfD das Gesetz ab, die Linksfraktion enthielt sich der Stimme. Andrea Lindholz, stellvertretende Vorsitzende der Unions-Fraktion, kritisierte das Gesetz als "Mogelpackung". Obwohl es als Fachkräfte-Einwanderung deklariert sei, handle es sich hauptsächlich um die Zuwanderung von Geringqualifizierten aus aller Welt sowie um ein neues Bleiberecht für Ausreisepflichtige.
    Der AfD-Abgeordnete Norbert Kleinwächter lehnt generell Arbeitskräfte aus dem Ausland ab und ist der Meinung, dass Deutschland diese nicht benötigt. Er bemängelt, dass zwar jeder hereinkomme, aber niemand abgeschoben werde, insbesondere im Hinblick auf ausreisepflichtige Ausländer, die in Deutschland leben.
    Linke-Politikerin Gökay Akbulut wirft der Ampel-Koalition vor, dass die Reform zu sehr den Interessen der Wirtschaft diene. Ihrer Ansicht nach sollten stattdessen die Rechte von Migranten und ihren Familien gestärkt werden.
    Arbeitgeber und die Bundesagentur für Arbeit (BA) verweisen auf zu hohe bürokratische Hürden. BA-Vorständin Vanessa Ahuja begrüßt die Reform, betont jedoch die Notwendigkeit eines gemeinsamen digitalen Austauschs zwischen den beteiligten Partnern - etwa Ausländerbehörden, Visastellen und der BA - um schnellere und unbürokratische Verfahren zu ermöglichen.
    Isabell Halletz, Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbandes Pflege, sieht wenig Verbesserungen für zuwanderungswillige Pflegefachkräfte. Sie fordert standardisierte Prozesse und verbindliche Fristen anstelle weiterer staatlicher Anwerbeprogramme. Halletz unterstreicht, dass beschleunigte Verfahren nur dann sinnvoll sind, wenn sie auch tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden können.

    Welche Gründe gibt es für den Fachkräftemangel in Deutschland?

    Manche Engpässe gehen noch auf die Corona-Pandemie zurück. Viele Branchen haben während der Pandemie Beschäftigte verloren oder entlassen, die jetzt nicht zurückkommen. Laut Bundesagentur für Arbeit haben allein bei Gastronomie und Hotellerie im ersten Coronajahr 2020 knapp 390.000 Beschäftigte - das ist mehr als die Hälfte - neue Stellen angetreten. Viele davon im Verkauf, der Logistik und in der Verwaltung von Unternehmen.
    Eien Grafik zeigt die Berufsgruppen mit den meisten offenen Stellen im Februar 2023.
    Vor allem in Verkehr und Logistik, Verkaufsberufen und medizinischen Gesundheitsberufen sind Stellen offen. (Bundesagentur für Arbeit/statista.de)
    Eine besonders starke Abwanderung gab es bedingt durch die Coronakrise im Bereich der Dienstleistungsberufe. Das merken Verbraucher im Alltag, wenn beispielsweise Handwerker fehlen oder Friseure. So wie es aussieht, wollen die meisten der Beschäftigten auch nicht in ihre alten Berufe zurückkehren. Die Zahl unbesetzter Stellen war allerdings schon vor der Corona-Pandemie stetig gestiegen - vor allem aufgrund einer veränderten Altersstruktur der Bevölkerung.

    Welchen Einfluss hat der demografische Wandel auf den Fachkräftemangel?

    Die zahlenmäßig starken Jahrgänge der Babyboom-Generation gehen langsam in Rente. Sie wurden Ende der 1950er- und in den 1960er-Jahren geboren. In den 2020er-Jahren werden diese Altersjahrgänge den Arbeitsmarkt verlassen. Aktuell machen Menschen im Rentenalter noch den kleinsten Teil der Bevölkerung aus. In zehn bis 15 Jahren werden sie den größten Anteil darstellen, davon geht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus. Zugleich werden in Deutschland, so schätzt es das Statistische Bundesamt, voraussichtlich immer weniger Kinder geboren. Der Stellenmarkt wird aber nicht kleiner.
    Zwar arbeiten mehr Frauen als früher, viele Arbeitskräfte bleiben auch länger erwerbstätig, doch das reicht nicht, um alle Jobs zu besetzen. Die bis 2026 errechnete Fachkräftelücke von rund 240.000 Personen aus Neubedarf und Neuangebot fällt aber laut Zahlen des Bundes weniger als halb so groß aus wie noch im vorigen Jahr für 2025 erwartet (540.000 Personen). Dies wird mit dem höheren Arbeitskräfteangebot etwa durch Flüchtlinge aus der Ukraine und dem geringeren Wirtschaftswachstum begründet.

    Bevölkerung nach Alter - Vergleich 2018 mit 2035

    Eine Statistik zeigt die Altersverteilung in Deutschland in den Jahren 2018 und 2035
    Die Altersverteilung in Deutschland in den Jahren 2018 und 2035 im Vergleich (Deutschlandradio / Andrea Kampmann)

    Kann Zuwanderung das Problem des Fachkräftemangels lösen?

    Rund 400.000 Zuwanderer braucht Deutschland, schätzen Experten, um den Bedarf an Fachkräften zu stillen. Erleichtert werden sollte das bereits mit dem "Fachkräfteeinwanderungsgesetz", das Union und SPD 2019 eingeführt hatten: Menschen aus Drittstaaten, also nicht EU-Ländern, mit beruflicher, nicht-akademischer Ausbildung sollen damit einfacher nach Deutschland einwandern können. Bislang wirkt das Gesetz allerdings nicht als Magnet.
    Das Kabinett beschloss am 12.10.2022 in Berlin eine Fachkräftestrategie, wonach unter anderem das Einwanderungsrecht reformiert und die Verfahren beschleunigt werden sollen. Firmen, Länder, Kommunen, Sozialpartner, Bundesagentur für Arbeit, Bildungsträger und die Bundesregierung sollten zudem stärker zusammenarbeiten.
    Eine Grafik zeigt den Anteil der Menschen, die aus dem Ausland zum Arbeiten nach Deutschland kommen
    Im Jahr 2021 kamen rund 1,9 Millionen Menschen aus dem Ausland nach Deutschland, um hier zu arbeiten. Die Mehrheit dieser Arbeitskräfte stammte aus anderen Ländern der Europäischen Union. (dpa-infografik GmbH)
    Bei einem seit 2019 mit 13 Millionen Euro geförderten Pilotprojekt der Europäischen Union und des Entwicklungsministeriums zur Arbeitsmigration und -mobilität zwischen Nordafrika und Europa (THAMM) werden bereits Arbeitsagenturen in Tunesien, Marokko und Ägypten geschult und mit den Arbeitsagenturen in Belgien, Frankreich und Deutschland verbunden. Deutsche Unternehmen können über diesen Weg Stellen besetzen, falls sie dafür in Deutschland niemanden finden. Laut Entwicklungsministerium wurden bislang 234 Auszubildende und 44 Fachkräfte aus Tunesien, Marokko und Ägypten an Betriebe in Deutschland vermittelt.

    Welche Rolle spielt das Thema Bildung beim Fachkräftemangel?

    Die Ampel-Bundesregierung will auch die Aus- und Weiterbildung stärken. Die Koalitionsfraktionen einigten sich Mitte Juni 2023 auf letzte Details für das geplante Aus- und Weiterbildungsgesetz, das für eine bessere Qualifikation der erwerbsfähigen Menschen in Deutschland sorgen soll. Dazu gehöre eine Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen in Deutschland. Inländische Potenziale zu unterstützen und zu fördern, sei die zweite Seite der Medaille, um Fachkräfte zu gewinnen, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Katja Mast. Das Gesetz wurde ebenfalls am 23. Juni im Bundestag verabschiedet.

    Rente mit 70 - ist das die Lösung für den Fachkräftemangel?

    Wieder aufgeflammt ist auch die Debatte über das Renteneintrittsalter. Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, hat sich für eine schrittweise Anhebung auf 70 Jahre ausgesprochen. Ansonsten werde das Sozial- und Rentenkassen-System mittelfristig nicht mehr finanzierbar sein, sagte Wolf der Funke-Mediengruppe.
    Gewerkschaften und Sozialverbände haben diese Idee heftig kritisiert und auch aus der Politik gab es Gegenwind. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch bezeichnete den Vorschlag als "unsozialen Bullshit". Viele Kritiker befürchten, dass eine Anhebung auf Rentenkürzungen hinauslaufen würde, denn viele Menschen könnten ihren Beruf nicht länger ausüben - man denke an Pflegeberufe oder handwerkliche Arbeiten.
    Eine weitere Überlegung ist die Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden. Umfragen zeigen offenbar, dass viele Teilzeitkräfte gerne mehr arbeiten würden, viele Vollzeitkräfte aber dafür gerne weniger. Die Ökonomin und Wirtschaftsweise Monika Schnitzer fordert eine Flexibilisierung der Arbeitszeit, um einfach möglichst viele Menschen in den Arbeitsmarkt zu bekommen.
    Johannes Kuhn, Silke Hahne, Kate Maleike, Dirk-Oliver Heckmann, epd, rtr, dpa, tei, og, tmk, Nastassja Shtrauchler, pto, Reuters