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Pilotprojekt für Flüchtlinge
Deutsches Rechtsdenken verständlich gemacht

Die bayerische Staatsregierung versucht im Rahmen eines Pilotprojekts Flüchtlingen und Asylbewerbern die Grundlagen des deutschen Rechtssystems nahezubringen. Dabei gehe es nicht um Belehrung, sondern schlicht um Rechtskunde.

Von Susanne Lettenbauer | 12.01.2016
    Flüchtlinge und Asylbewerber sitzen während eines Vortrag auf roten Stühlen.
    Flüchtlinge verfolgen den Rechtsbildungsunterricht in der Berufsschule von Ansbach. (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer)
    50 fragende Blicke. 50 schüchterne junge Flüchtlinge verfolgen angespannt ihren ersten Rechtsbildungsunterricht in der Berufsschule von Ansbach. Bayerns Justizminister Winfried Bausback persönlich hält den ersten Vortrag. Er spricht langsam, versucht sich einfach auszudrücken, nicht zu belehrend zu klingen:
    "Bei uns haben Frauen und Männer gleiche Rechte und gleiche Pflichten. Egal in welcher Situation, eine Frau bestimmt darüber, mit wem sie sich unterhält, mit wem sie Kontakt hat und Vorgänge wie in Köln sind in unserem Rechtssystem nicht akzeptabel und werden mit aller Härte konsequent verfolgt werden."
    Die Übersetzerin versucht das deutsche Rechtsdenken verständlich zu machen. Ab und an schüttelt ein Teilnehmer leicht den Kopf, andere lachen leise. Bausback will die Veranstaltung als Dialog verstehen. Was ist am deutschen Recht unklar, gab es Situationen, die die Flüchtlinge nicht verstehen? Ein junger Mann meldet sich und fragt, warum es so viele Flüchtlinge wie in Köln gibt, die nicht regisiert sind, die trotzdem überall hingehen können.
    Der Justizminister weicht der Frage aus und bleibt lieber allgemein. Jeder Flüchtling könne sich in Deutschland sicher sein, ...
    " ...dass die Justiz alle ihre Möglichkeiten nutzt, um einen solchen Fall aufzuklären, dass aber eines bei uns nicht passieren wird: Dass jemand, nur damit man einen Schuldigen der Öffentlichkeit vorweisen kann, ohne dass der Richter die Überzeugung hat, er war es auch, dann verurteilt wird."
    "Soll keine Belehrung sein, sondern eine Information sein"
    Alle 50 jungen Teilnehmer seien freiwillig gekommen, betont der verantwortliche Landgerichtspräsident Gerhard Karl. Er organisierte die Auftaktveranstaltung, gefolgt von 20 weiteren Terminen für alle Bewohner von Erstaufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsheimen. Es gehe hier nicht um eine Belehrung ist Karl überzeugt, sondern schlicht um Rechtskunde:
    "Nein, das soll keine Belehrung sein, sondern eine Information sein, eine wichtige Information, weil Integration natürlich auch bedeutet dass man sich, ich will nicht sagen anpasst, aber doch auch die Werte, die wir hier haben, auch aufnimmt."
    700.000 Euro lässt sich der Freistaat den Rechtsbildungsunterricht kosten. 800 Justizbeamte haben sich seit der ersten Ankündigung im Oktober bereit erklärt, Stunden zu geben, entweder in den Flüchtlingsunterkünften direkt oder wie in Ansbach an Berufsschulen, wo die Sprachkurse laufen. Diese Rechtsschulung sei längst überfällig gewesen, ist Bausback überzeugt:


    "Wenn wir einfordern, dass sich die Menschen an Regeln halten, dann muss auch klar sein, was sind die Grundregeln und dazu leistet die Justiz einen wichtigen und bemerkenswerten Beitrag."
    Sprechzettel zum Thema "Rechtsbildung für Flüchtlinge und Asylbewerber durch die bayerische Justiz"
    Bayerns Justizminister Winfried Bausback spricht zur Einführung. (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer)
    Bausback, der als Verfassungsrechtler in Wuppertal lehrt, versucht in seinem Vortrag grundlegende Prinzipien anzusprechen. Nicht nur dass Kinder in Deutschland nicht geschlagen werden dürfen und die Gleichberechtigung von Mann und Frau normal sei, auch die freie Meinungsäußerung sei in Deutschland gesetzlich festgeschrieben.
    "Also wir betreten hier heute natürlich Neuland, auch für die bayerische Justiz, ich glaube für die deutsche Justiz auch insgesamt. Wir werden uns nach Ostern zusammensetzen, die Erfahrungen diskutieren. Wir werden mit 30 bis 40 Veranstaltungen bis Ostern starten und uns dann zusammensetzen und überlegen, was man verändern kann und wie man auch weitermacht."
    Modularer Unterricht
    Auf vier Module ist der Unterricht aufgegliedert. Neben dem allgemeinen Teil, den zum Auftakt der Justizminister übernommen hatte, behandeln die drei Spezialmodule unter anderem die Grundfragen des deutschen Strafrechts, des Zivilrechts mit seiner Handlungs- und Vertragsfreiheit wie auch das Familienrecht, Sorgerecht und Gewaltschutz.
    "Ich meine auch, dass man durchaus nachdenken muss, ob nicht ein solcher Rechtskundeunterricht, eine Information über unsere grundlegenden Werte unserer Gesellschaft, wenn wir diskutieren über Integrationspflichten, ob wir dann nicht auch ein Pflichtprogramm irgendwann einmal damit verbinden, aber das ist Zukunftsmusik."
    Gut eine Stunde dauert die erste Einführungsveranstaltung mit Bayerns Justizminister. Irgendwann werden die jungen Flüchtlinge unruhig, die Konzentration lässt nach. Trotzdem überwiegend positive Reaktionen:
    "Diese Veranstaltung ist gut für uns, wenn wir wissen wollen, wie das Leben hier funktioniert, wenn du ein gutes Leben haben willst, musst du es wissen, deshalb war das Treffen wichtig."