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Piltdown Man
Forscher entlarven den Affenmensch-Fälscher

Der Piltdown Man gilt bis heute als eine der berühmtesten Fälschungen in der Wissenschaft. Lange war allerdings unklar, wer hinter dem angeblichen Frühmenschen-Fund steckte. Doch dank neuester Technik ist die Forschung einen Schritt weiter. Der Täter ist überführt.

Von Lucian Haas | 10.08.2016
    Der Piltdown Man ist einer der berühmtesten Fälschungsfälle der Wissenschaftsgeschichte. 1912 präsentierten der Paläontologe Artur Smith Woodward und der Antiquitätensammler Charles Dawson in London einige fossile Überreste eines angeblichen Frühmenschen. Dawson gab an, sie in der Nähe des Ortes Piltdown rund 60 Kilometer südlich von London gefunden zu haben. Später kamen noch weitere kleine Fundstücke hinzu. Ein halber Kieferknochen wie der eines Affen, ein paar Zähne, dazu Schädelfragmente, die mehr denen eines modernen Menschen mit großem Gehirn glichen.
    Erst 50 Jahre später stellten andere Forscher eindeutig fest: Beim Piltdown Man handelt es sich nicht um Missing Link, das lange gesuchte Bindeglied der Evolutionsgeschichte vom Affen zum Menschen, sondern um eine Fälschung. Der Kiefer stammte von einem Orang-Utan, die Schädelknochen von einem Menschen. Eine komplette Aufklärung des Falles blieben die Prüfer damals allerdings schuldig. Das hat jetzt eine Gruppe britischer Wissenschaftler versucht nachzuholen – angeführt von der Paläoanthropologin Isabelle de Groote von der Liverpool John Moores University.
    "Wir wollten die neuesten wissenschaftlichen Methoden anwenden, um zu sehen, ob wir etwas Neues im Fall des Piltdown Man herausfinden. Können wir vielleicht sagen, wer der oder die Urheber der Fälschung waren, und wie sie das gemacht haben?"
    Auf der Suche nach neuen Indizien stellte Isabelle De Groote ein Team von Spezialisten zusammen. Anthropologen, Paläo-Genetiker, Experten für Radiokarbon-Datierungen und Farbpigment-Analysen. Sie rückten jeweils auf ihre Weise den alten Fundstücken zu Leibe. Zum Beispiel durchleuchteten die Forscher alle Knochen und Zähne des Piltdown Man mit Computertomografen, um deren innere Struktur dreidimensional zu analysieren. Sie entnahmen kleinste Knochenproben, um darin Überreste alter Erbsubstanz aufzuspüren und diese DNA zu sequenzieren.
    Die Ergebnisse bestätigten frühere Annahmen. Das Kieferbruchstück stammte tatsächlich von einem Orang-Utan – den neuen Gendaten nach aus Borneo. Die Zähne gehörten zum gleichen Tier. Die Schädelknochen waren die von zwei unterschiedlichen Menschen, allen Anzeichen nach aus dem Mittelalter. Alles Material war auf die gleiche Weise eingefärbt worden, um alt zu wirken. Und dann gab es da noch etwas, was noch kein Forscher zuvor bemerkt hatte: Manche Hohlräume in den Zähnen und Knochen waren mit einem besonderen Kitt verklebt.
    "Wir öffneten all diese CT-Bilder, und dann sahen wir: Herrje, dieser Kitt ist ja überall! Dass wir noch etwas gefunden haben, das zuvor niemand gesehen hatte, das war der spannendste und aufregendste Teil dieser Arbeit."
    Ein zentrales Indiz
    Gerade in dem durchgängigen Einsatz des Knochenkitts sieht Isabelle de Groote ein zentrales Indiz dafür, dass Piltdown Man auf die Arbeit eines einzelnen Fälschers zurückzuführen ist. Und ihrer Einschätzung nach gibt es dafür nur einen Kandidaten: Charles Dawson.
    "Dawson war bei allen Funden zugegen. Und dass später nichts mehr gefunden wurde, lässt mich sehr stark glauben, dass Dawson der Urheber war. Er selbst hat die Fundstücke präpariert. Wir können deutlich erkennen, dass bei allen die gleiche Technik zum Einsatz kam. Die Spuren führen klar zu Dawson."
    Krankhafter Wunsch nach Ruhm
    Soweit der Indizienbeweis. Warum Charles Dawson zum Fälscher wurde? Isabelle De Groote vermutet dahinter den krankhaften Wunsch eines Amateur-Forschers, in den Kreis der anerkannten Wissenschaftler der Londoner Society seiner Zeit aufzusteigen. Die neuen Untersuchungen konnten freilich auch weitere Fragen nicht komplett beantworten.
    "Aus den menschlichen Knochenfragmenten konnten wir keine DNA extrahieren. Sie war schon zu degradiert. Wir wissen also nicht, woher diese ursprünglich stammen. Wir wüssten auch gerne, wo Dawson den Unterkiefer her hatte. Wir haben alle Orang-Utan-Exemplare in naturhistorischen Sammlungen des Landes angeschaut, konnten aber keines finden, zu dem der Knochen gehört haben könnte."
    Dass die neue Studie zum Piltdown Man gerade heute veröffentlich wurde, ist übrigens kein Zufall. Charles Dawson ist genau am 10. August vor 100 Jahren gestorben.