Dienstag, 19. März 2024

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Pläne für Molenbeek
Das Kapitel der Attentate schließen

Keimzelle für Islamisten, sozialer Brennpunkt, ein Symbol für gescheiterte Integration. Das Ansehen Molenbeeks hat nach dem Terror in Belgien und in Frankreich gelitten. Doch der Brüsseler Stadtteil will dem etwas entgegensetzen.

Von Burkhard Birke | 18.06.2019
Eine Panoramaansicht des Stadtviertels Molenbeek in der belgischen Stadt Brüssel, hinter einer Straße ist ein Kanal und dahinter Häuser zu sehen.
Stadtviertel Molenbeek in Brüssel (imago / Marie Van den Meersschaut)
Auf der einen Seite des Kanals unweit des alten Schlachthofs leben und tummeln sich vor allem Menschen, die aus Afrika südlich der Sahara stammen. Von hier aus wird Afrika mit Gebrauchtwagen aus ganz Europa versorgt. Auf der anderen Seite dominieren Marokkaner das sehr friedliche Straßenbild. Seit 20 Jahren lebt Aziza hier. In Molenbeek spürt sie nicht den Rassismus, der ihr in ihrer Jugend in Flandern begegnete.
Aziza will das dunkle Kapitel der Attentate schließen: Gemeinsam mit anderen Müttern hat die Belgierin marokkanischen Ursprungs vor drei Jahren die Académie Les Quartiers Molenbeek als Anlaufstelle gegen Radikalisierung gegründet.
Angebote für Jugendliche
Als Mutter und Vater fungiere die Académie für Jugendliche im Viertel, erklärt Aziza, denn häufig haben die Jugendlichen keinen Ansprechpartner zu Hause. Die meist in prekärsten Verhältnissen lebenden Eltern sind in der Regel hoffnungslos überfordert.
"Die Leute sprechen mit uns über ihre Gefühle, ihr Leben, teilen ihre Sorgen. Wir haben Gesprächstische eingerichtet und organisieren verschiedene Aktivitäten. Dabei beziehen wir alle ein: Marokkaner, Flämisch und Französisch sprechende Belgier, Afrikaner. Und am Jahresende gibt es immer einen großen Meinungsaustausch mit mehr als 60 Personen."
Armut in der Gemeinde
Mehrfach die Woche versammeln Aziza und ihre Helfer Jugendliche zu Workshops, animieren sie Schule und Ausbildungen zu beenden. Zwei Jahre lang arbeitete Aziza gratis, denn Molenbeeks größtes Problem ist akuter Geldmangel. Der Beigeordnete für Stadtentwicklung, Jef van Damme, klagt sein Leid:
"Molenbeek hat die ärmste Bevölkerung von ganz Belgien und deswegen haben wir auch ganz wenig Geld: 150 Millionen. Wir haben 100 000 Einwohner, d.h. wir sind im Vergleich zu allen anderen Gemeinden in Belgien ganz arm. Und wir haben eigentlich zu wenig Geld, um alles, was wir machen sollen auch zu tun."
Seit den Attentaten greifen die Region, der Belgische Staat und auch die EU der Gemeinde finanziell stärker unter die Arme.
"Das wird das Leuchtturmprojekt", erklärt Ellen Jacobs von der Gemeindeverwaltung. Es kostet 25 Millionen Euro. Ellen Jacobs zeigt auf ein riesiges momentan noch für den Gebrauchtwagenhandel genutztes Industriegelände.
Wohnungsnot und Jugendarbeitslosigkeit
Eine sozial integrierte Zirkusschule, eine Kindertagesstätte, eine Werkstatt, um Möbel und eine andere um Fahrräder zu recyceln und zu reparieren sollen hier entstehen. Die Gemeinde will aber vor allem Plätze der Begegnung für ihre sehr gemischte Bevölkerung schaffen. In vier Jahren sollen das Projekt und einige neue Sozialwohnungen fertig sein. Wohnungsnot und eine Jugendarbeitslosigkeit von 30, teils 40% sind die größten und langfristig zu lösenden Probleme Molenbeeks. Kurzfristig wäre Jef van Damme schon glücklich, wenn er mehr Polizisten beschäftigen könnte:
"Wir haben eigentlich 200 Polizisten zu wenig im Vergleich zur Einwohnerzahl, die wir haben. D.h., dass wir die offiziell haben könnten, aber das Geld nicht haben, um die selbst zu zahlen."
Polizisten aus dem Viertel für das Viertel, eine Nachbarschaftspolizei will Stadtrat van Damme. Das könnte auch helfen, das Kompetenzgerangel zwischen den verschiedenen zuständigen Polizeistellen – drei verschiedene sind es – zu regeln.