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Plötzlich beste Freunde

Neue Bundestagsabgeordnete werden überschüttet mit Glückwünschen, Einladungen und Geschenken. Dafür sollen sie den Lobbyisten ein offenes Ohr schenken. Alles erlaubt in einer Demokratie mit Meinungsfreiheit. Kritiker fordern aber mehr Transparenz.

Von Verena Herb |
    Vergangenen Dienstag, Berlin. Regierungsviertel. Die frisch gewählte grüne Bundestagsabgeordnete Anja Hajduk betritt mit einem Lächeln das Café gleich hinter dem Reichstag. Wenige Stunden vor dem Treffen mit dem Deutschlandfunk wurde sie von ihrer Bundestagsfraktion zur parlamentarischen Geschäftsführerin gewählt. Hajduk kennt das politische Geschäft, war 2002 bis 2008 bereits Abgeordnete des Bundestags, später als Umweltsenatorin Mitglied einer schwarz-grünen Landesregierung in Hamburg. Sie hat sich keinesfalls gewundert, dass sie schon vor der Wahl von diversen Interessengruppen angeschrieben wurde:

    "Meistenteils ist es so, dass während des Wahlkampfes Organisationen, Verbände und Institutionen einen anschreiben, Positionspapiere einem zusenden und auch Positionen abfragen. Wie stehen sie zu dem und dem, das veröffentlichen wir in unserem verbandsinternen Magazin. Diese Art von Beschickung, dass man eben mit Positionen konfrontiert wird, fand sehr sehr zahlreich statt."

    Ebenso wie Anfragen für persönliche Treffen und Gesprächsbitten zu ganz spezifischen Vorhaben:

    "Die habe ich dann aber ganz bewusst vertagt, weil ich gesagt habe, das muss nicht unbedingt im Wahlkampf stattfinden. Und ob das für mich später von Relevanz ist, das zeigt sich später daran, wofür man zuständig ist. Ob ich das dann inhaltlich relevant finde, das ist nochmal 'ne ganz andere Frage."

    Jetzt, wo sie Abgeordnete ist, türmen sich die Glückwünsche und Einladungen auf ihrem Schreibtisch - und in ihrem Postfach. Alltag einer Bundestagsabgeordneten - und durchaus legitim.

    "Ich glaube, es ist normal in so einer freien Gesellschaft, dass man auch mit Meinungen und Interessen konfrontiert wird als Abgeordnete."

    Und damit eben jene Meinungen und Interessen bei den Abgeordneten Gehör finden, gibt es Menschen wie Christian Wenning.

    Ein schickes Bürohaus in Berlin-Mitte. Hier hat der gebürtige Münsteraner sein Büro. Er ist Inhaber von Wenning Services, einer "politischen Unternehmensberatung", die in der Hauptstadt und in Brüssel aktiv ist. Christian Wenning bietet Dienstleistungen wie strategische Beratung und politische Kommunikation an. Auch stehen er und seine Mitarbeiter bereit, Aufbauhilfe zu leisten und sachkundig zu beraten, wenn es um die Positionierung des jeweiligen Kunden im politischen Umfeld in Berlin geht. Man könnte es auch so übersetzen: Wenning ist Lobbyist: knüpft Kontakte, erläutert Positionen und Standpunkte und sorgt dafür, dass die inhaltlichen Anliegen seiner Kunden bei politischen Entscheidern Gehör finden. Das passiert per Email oder Brief oder bei einem persönlich vereinbarten Termin, weniger auf einem der zahlreichen Abendempfänge in der Hauptstadt, betont der 39-Jährige.

    "Informationen sammeln oder tatsächlich lobbyieren, wird dort ja nicht strukturiert machbar sein. Das heißt, wenn ich ein Thema habe: Zum Handel, zum Energiethema, zum Thema Informationstechnologie, dann muss ich schon "die Mail in die Hand nehmen" - buchstäblich - und da versuchen, mein Thema zu adressieren. Und das sollte man vorbereitet machen und dann auch nur, wenn's etwas gibt."

    Für den Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW gibt es ein konkretes Thema, das für die Branche in den kommenden Jahren eine Rolle spielen wird und sicherlich im Koalitionsvertrag auftaucht: Die von SPD und CDU geforderte Mietpreisbremse

    "Da werden wir eben auch in der Diskussion versuchen, aufzuzeigen, wie sie wirkt. Dass, was man erreichen will - nämlich, dass wir entspanntere Wohnungsmärkte haben - werden wir durch `ne Mietpreisbremse nicht erreichen. Und wenn man die Mietpreisbremse dann noch so anlegt, wie sie im Moment dasteht, würde es dazu führen, dass eher weniger gebaut wird als mehr, was eigentlich nötig wäre, um die Märkte zu entspannen. Diesen Zusammenhang deutlich zu machen, der eigentlich gar nicht so schwer zu vermitteln ist, versuchen wir dann auch noch zu schaffen","

    zeigt sich Axel Gedaschko, der Präsident des GdW optimistisch. Schon vor der Wahl gab es Schreiben an die Fraktionen, an einzelne Abgeordnete - jetzt dreht man das Rad weiter:

    ""Man versucht dann mit den jeweiligen Entscheidungsträgern, die Berichterstatter sind in dieser Frage, der Fraktion zu reden und ihnen deutlich zu machen, wo denn der Schuh drückt und was passiert, wenn das denn so in die Welt gehen würde, wie's geplant ist. Wir arbeiten selbstverständlich auch mit den Medien, wobei, das ist immer die ultima ratio, eigentlich."

    Lobbyisten, egal ob sie in einer Public-Affairs-Agentur arbeiten, bei großen Unternehmen oder Branchenverbänden - ihr Image ist schlecht. Was daran liegt, dass dieser Berufsstand in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder versucht hat, Einfluss auf Gesetze zu nehmen. Bei Energie und Auto, Gesundheit, Tabakindustrie und Finanzwirtschaft, Rüstung, Lebensmittel und Handel. Überall dort, wo der Staat stark regulierend eingreift. Das ist nicht nur legitim, sondern durchaus notwendig, findet Berater Christian Wenning:

    "Dass man sich die ausführlichst zurate zieht, das halte ich für geboten und wichtig. Genauso wie man dann die Gegenpartei sich anhört und im normalen demokratischen Prozess wirklich alle anhört, die's betrifft. Um dann eben zu entscheiden, wie man's schreibt. "

    Die lauteste Stimme gegen Hinterzimmer-Lobbyismus und Interessenkonflikte ist die Organisation Lobbycontrol. Sie setzt sich für strengere Regelungen ein: Fordert etwa eine Karenzzeit von drei Jahren für wechselfreudige Politiker, die nun in der Wirtschaft ihr Geld verdienen wollen sowie ein Transparenzregister, damit immer sichtbar ist, wer für wen wie arbeitet. Denn es ist Fakt: Die Zahl der politischen Strategen und Kommunikationsberater, der Agencies und Consultancies, der "Übersetzer zwischen Wirtschaft und Politik", sie steigt. Es werden zunehmend mehr. Und man verliert leicht den Überblick.