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Podcast "Faking Hitler"
Die Mutter aller Fälschungen

Im April 1983 veröffentlichte der "Stern" Auszüge aus den "Hitler-Tagebüchern". Doch schon nach wenigen Tagen wurde die vermeintliche Sensation als Fälschung entlarvt. Nun arbeitet das Magazin selbst daran, die Erinnerung an den Presse-Skandal wach zu halten - mit der Podcast-Reihe "Faking Hitler".

Von Michael Borgers | 17.01.2019
    Der Journalist Gerd Heidemann hält bei einer Pressekonferenz im April 1983 ein Exemplar der angeblichen "Hitler-Tagebücher" hoch. Im Hintergrund hängen Titelbilder der "Stern"-Ausgabe zu der Veröffentlichung.
    "Stern"-Reporter Gerd Heidemann präsentiert die angeblichen Hitler-Tagebücher. (picture-alliance/ dpa)
    "Der 25. April 1983 ist einer der wichtigsten, spannendsten, absurdesten und skurrilsten Tage der deutschen Pressegeschichte."
    An diesem Tag, so erinnert der Podcast "Faking Hitler" gleich zu Beginn, habe der "Stern" auf einer internationalen Pressekonferenz eine "Jahrhundertstory" vorgestellt: die Geschichte eines Reporters, der geglaubt hatte, die originalen privaten Tagebücher von Adolf Hitler gefunden zu haben.
    Eine Geschichte, von der sich "Stern"-Herausgeber Henri Nannen schon bald distanziert hat, wie der Podcast ebenfalls deutlich macht: "Und dann hab' ich diesen Vorspann gelesen und habe gelesen, dass die Geschichte neu geschrieben werden muss. Daraufhin habe ich als Erster sofort gesagt: Seid Ihr denn wahnsinnig geworden?"
    Denn: Die Geschichte, so Nannen, sei geschrieben worden von Hitler und seinen Vasallen. "Die kann man doch nicht mit Tagebüchern wegdiskutieren!"
    Akribisch dokumentierte Recherchen
    Doch vor diesem Urteil stand der Hype. Das Feuer entfacht für den erhofften journalistischen Scoop hatte Gerd Heidemann, ein ehemaliger Kriegsberichterstatter. Und ein Journalist, der seine Recherchen akribisch dokumentiert hat. So hatte er die Gespräche mit Fälscher Konrad Kujau, der sich als Konrad Fischer vorstellte, mitgeschnitten.
    "Ja, schönen guten Abend, Herr Fischer. - Ja, guten Abend, Herr Heidemann. - Ich wollte mich noch mal ganz herzlich für das Bild von Ihnen und Ihrer Frau bedanken. - Bitteschön!"
    Anfang der 1980er-Jahre, als Heidemann glaubte, der Geschichte seines Lebens auf der Spur zu sein, sei er ein "Star-Reporter" gewesen, befindet der Podcast. "Star-Reporter" – ein Superlativ, mit dem heute, mehr als 35 Jahre später, auch Claas Relotius beschrieben wurde, also der Journalist, der für den größten deutschen Presseskandal dieser Tage verantwortlich ist.
    Parallelen zum Relotius-Fall
    Michael Seufert, zur Zeit der vermeintlichen Hitler-Enthüllungen beim "Stern", findet die Bezeichnung im Deutschlandfunk-Interview in beiden Fällen schwierig: "Filmstars mag es ja geben. Aber Reporter – die sollten immer auf dem Fußboden bleiben."
    Was die beiden, Heidemann und Relotius, verbinde, sei gewesen, was sie durften in ihren Redaktionen. "Heidemann war ein hervorragender Rechercheur, der wirklich sich verbissen hat in Themen. Und das war sowohl hervorragend als auch gefährlich, denn er verlor sehr schnell die Distanz zu seinen Themen. Und auch Claas Relotius hat ja einen Sonderstatus beim 'Spiegel' gehabt, man hat ihm schließlich alles geglaubt."
    Nach seiner Zeit bei der Hamburger Wochenzeitschrift schrieb Michael Seufert ein Buch über den "Skandal um die Hitler-Tagebücher". Auch er wird noch in dem zehnteiligen "Stern"-Podcast zu Wort kommen: als der Mann, der damals nach Bekanntwerden des Skandals für Aufklärung sorgen musste beim "Stern", damals als Politikmagazin auf Augenhöhe mit dem "Spiegel". Seine Kollegen dort, die nun vom "Fall Relotius" am meisten betroffen sind, sieht der ehemalige stellvertretende "Stern"-Chefredakteur vor einer ähnlich schwierigen Aufgabe.
    "Das musste schiefgehen"
    Der "Spiegel" müsse alle Arbeitsabläufe hinterfragen und wieder skeptisch gegenüber jedermann werden, auch innerhalb des eigenen Hauses. So hätten beim "Stern" Autor Heidemann und sein Ressortleiter die "Hitler-Tagebücher" quasi direkt an den Vorstand des Verlages verkauft, ohne die Chefredaktion zu beteiligen.
    "Das ist der Grund, weshalb das schiefgehen musste. Für mich ist das eine programmierte Katastrophe gewesen."
    Der Podcast erzählt dieses dunkle Kapitel des "Stern" nicht neu, aber als unterhaltsame Geschichte. Originale Aufnahmen wechseln sich ab mit neuen Interviews und Passagen aus den erfundenen Memoiren Adolf Hitlers: "Mit E musste ich wieder einige ernste Worte reden. Sie glaubt, dass ein Mann, der an der Spitze Deutschlands steht, sich so viel Zeit nehmen kann, wie er will, um Sachen nachzugehen. Sie hat in ihren jungen Jahren keine Ahnung, was es für ein Kampf ist, Kanzler des Reiches zu sein."
    Geschichte hat sich wiederholt
    Mit dem Wissen von heute fällt es schwer, Sätze wie diese ernst zu nehmen und für echt zu halten. Auch im Fall von Claas Relotius fragen sich heute viele, warum der Reporter so lange seine Geschichten veröffentlichen konnten.
    "Wenn es vor allen Dingen darauf ankommt, dass schön geschrieben wird, dass tolle Geschichte geschrieben werden, dass man plötzlich auch schreibt, was der Handelnde auch denkt und dergleichen. Wenn das bejubelt wird und auch an Journalistenschulen gelehrt wird und nicht großes Gewicht auf die Recherche gelegt wird, dann muss man sich nicht wundern, dass sowas dabei rumkommt."
    Und welcher Skandal ist nun der größere? Das wolle er nicht entscheiden, sagt Seufert. Fatal sei nur, dass sich Geschichte in dieser Form wiederholt habe.