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Polen
"Ihr zerstört den polnischen Staat"

In Polen hat das Verfassungsgericht künftig wohl weniger Rechte als bisher. Das Parlament hat am Abend die umstrittene Neuordnung verabschiedet, jetzt fehlt noch das Ja des Senats. Kritiker vermuten, dass die Regierung sich der Kontrolle entziehen und durchregieren will. Sie warnen vor der Abschaffung der Demokratie.

    Der Blick in die Halle des polnischen Sejm in Warschau während der Abstimmung des Parlaments über eine umstrittene Gesetzesänderung
    Das polnische Unterhaus hat eine umstrittene Neuordnung des Verfassungsgerichts verabschiedet. (picture alliance / dpa / Orestis Panagiotou)
    Die neue Regierung der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zögert nicht. Seit nicht mal sechs Wochen ist sie im Amt und hat schon einen Teil der Bevölkerung gegen sich aufgebracht, indem sie die Rechte des Verfassungsgerichts beschnitten hat. 235 Abgeordnete stimmten am Dienstagabend für den Gesetzentwurf, 181 dagegen, vier enthielten sich.
    Das polnische Verfassungsgericht ist ähnlich wie das deutsche dazu da, die Arbeit der Regierung zu kontrollieren. Durch eine Reihe von Änderungen soll ihm das nun deutlich erschwert werden.
    1. Bisher wurden die meisten Entscheidungen mit fünf anwesenden Richtern getroffen, nur bei sehr wichtigen Fällen war die Anwesenheit von mindestens neun Richtern notwendig. Künftig müssen mindestens 13 der 15 Richter anwesend sein. Das bedeutet, dass auch einige oder alle der von der Regierungspartei neu benannten fünf Richter in Entscheidungen mit einbezogen werden müssten. Kritiker halten diese jedoch für regierungstreu; von ihnen seien keine Urteile gegen die Regierung zu erwarten, ganz gleich wie die Rechtslage sei.
    Eigentlich hatte vor dem Machtwechsel noch das alte Parlament mit liberalkonservativer Mehrheit mehrere neue Verfassungsrichter gewählt. Statt sie zu vereidigen hat Präsident Andrzej Duda dagegen fünf neue Richter ernannt, die als Gefolgsleute der neuen Regierungspartei PiS gelten. Er widersetzte sich damit offen einer Entscheidung des Verfassungsgerichts selbst. Die PiS hatte ein neues Wahlgesetz bestimmt und damit eine Welle der Kritik von Opposition, Medien und ausländischen Politikern ausgelöst. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hatte im Deutschlandfunk gesagt: "Was sich da in Polen abspielt, hat Staatsstreich-Charakter und ist dramatisch." Die polnische Regierungschefin Beata Szydlo hatte daraufhin eine Entschuldigung verlangt.
    Überprüfung von Gesetzen wird verzögert
    2. Urteile dürfen nur noch mit Zweidrittel-Mehrheit gefällt werden. Bisher reichte die einfache Mehrheit aus. Die Erfahrung zeigt, dass äußerst selten Zweidrittel-Mehrheiten erreicht werden. Das Gericht könnte also künftig deutlich seltener zu Urteilen kommen.
    3. Das Gericht darf Fälle demnächst nur noch chronologisch abarbeiten. Im Moment liegen ihm 300 Fälle vor. Das würde bedeuten, dass jetzt beschlossene Gesetze erst Monate, vielleicht sogar erst Jahre nach Inkrafttreten überprüft werden könnten.
    4. Das Parlament darf künftig Disziplinarverfahren gegen einzelne Verfassungsrichter in die Wege leiten. Damit ist die Unabhängigkeit der Richter bedroht, die Angst haben müssen, wegen ihrer Entscheidungen abgesetzt zu werden. Ein solcher Fall liegt dem Gericht bereits vor.
    Die zweite Parlamentskammer, der Senat, hat jetzt 30 Tage Zeit, sich mit dem Gesetzentwurf zu befassen.
    Die Regierung verteidigt ihre Reform unter anderem damit, dass das Gericht nicht effektiv arbeite. Bei einer Demonstration von Regierungsanhängern Mitte Dezember in Warschau sagte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, das Gericht hindere seine Partei an der Umsetzung ihrer Wahlversprechen, wie etwa an einer Reform der Familienförderung, eine Absenkung des Renteneintrittsalters und Gratis-Medikamente für Menschen ab 75 Jahren. Kaczynski sagte auch, das Gericht sei Komplize bei einem "gigantischen" Machtmissbrauch, bei dem "Dutzende Milliarden Zloty" veruntreut worden seien. Dahinter stecke ein Teil der politischen Klasse, nämlich Ex-Kommunisten und ihre Verbündeten. Kaczynski kündigte an, er wolle "diese Bande von Kumpanen zerschlagen".
    Verfassungsklage angekündigt
    Kritiker bemängeln, mit den Reformen werde die Gewaltentrennung in Polen aufgehoben. Die Opposition kritisiert, das Gericht werde in seiner Arbeitsfähigkeit beschnitten und "zerstört". Sie hält das Gesetz für verfassungswidrig. Ex-Minister Andrzej Halicki von der liberalen Bürgerplattform (PO) sagte: "Heute ist mit bloßem Auge zu erkennen, dass wir es mit einem schleichenden Staatsstreich zu tun haben." Die Partei kündigte an, Verfassungsklage zu erheben. Oppositionspolitiker hatten bei der Debatte in den Saal gerufen: "Ihr zerstört den polnischen Staat und das Verfassungsgericht." Nach der Abstimmung klatschten die Abgeordneten des Regierungslagers Beifall und riefen "Demokratie!"
    In den vergangenen Wochen hatten in Polen immer wieder zehntausende Menschen gegen die Pläne der neuen Regierung demonstriert.