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Polen
"Vielleicht die Geburtsstunde eines neuen Verfassungspatriotismus"

Der polnische Publizist Adam Krzeminski zeigte sich im DLF positiv überrascht von der Oppositionsbewegung, die landesweit in den größeren Städten gegen die Reformen der Regierungspartei PiS protestiere. Polen steuere auf eine Verfassungskrise zu, sagte er im DLF. Ab heute befassen sich Rechtsexperten des Europarats mit der umstrittenen polnischen Justizreform.

Adam Krzeminski im Gespräch mit Doris Simon | 11.03.2016
    Man sieht die Fassade des polnischen Verfassungstribunals.
    Das polnische Verfassungstribunal (dpa/ picture-alliance/ Rafal Guz)
    Das polnische Verfassungsgericht selbst hatte am Mittwoch die von der nationalkonservativen Regierung um die PiS-Partei (deutsch: "Recht und Gerechtigkeit") angestrebte Justizreform gekippt. Die Verfassungshüter hatten befunden, dass eine Beschneidung ihrer Arbeitsfähigkeit nicht hinnehmbar sei. Der polnische Publizist Adam Krzeminski bezeichnete es im DLF als "neue Situation, dass die Juristen sagen, dass der zivile Ungehorsam juristisch berechtigt wäre."
    Krzeminski betonte einen Wandel in der öffentlichen Debatte in Polen. Bisher habe das Prinzip gegolten, innere Probleme nicht nach außen zu tragen. Doch der Chef der größten Oppositionspartei wolle Europa anrufen. "Wir steuern auf eine Verfassungskrise zu, die Objekt der europäischen Debatte sein wird", so Krzeminski. Daher könnte die Regierungspartei seiner Auffassung nach einlenken: "Dass PiS eine Staatskrise mit juristischer Anarchie riskiert, ist kaum vorstellbar."
    Die Mobilmachung der Opposition bezeichnete er als "so etwas wie einen Verfassungsmaidan in Warschau", weil alle oppositionellen Gruppierungen und Parteien vor dem Regierungsgebäude demonstrieren.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Doris Simon: Ein Treffen bei Espresso und Keksen, das kann ja nett sein. Aber nett wollte der stellvertretende polnische Justizminister bestimmt nicht sein, als er so gesprochen hat über die jüngste Beratung und Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichtes. Denn die Richter waren am Mittwoch zum Schluss gekommen, dass die Gesetzesänderungen zum polnischen Verfassungsgericht unvereinbar seien mit der Verfassung. Die Regierung hält dagegen. Die sagt, die neuen Gesetze erlauben dem Verfassungsgericht eine solche Prüfung erst gar nicht. Jetzt könnte die Verfassungskrise in ein neues Stadium treten, denn die Rechtsexperten des Europarates nehmen ab heute Stellung zu den Gesetzesänderungen. Und deren Entwurf, der so durchgesickert ist, der ist deutlich. Die sehen nämlich nicht nur die Rechtsstaatlichkeit in Polen in Gefahr, sondern auch Demokratie und Menschenrechte.
    - Adam Krzeminski ist jetzt am Telefon, in Polen und Deutschland bekannt als Publizist. Guten Morgen.
    Adam Krzeminski: Guten Morgen!
    Simon: Herr Krzeminski, bislang hat die polnische Regierung nicht reagiert auf Kritik von außen oder ihren Kurs eher noch verschärft. Wird die Stellungnahme des Europarates, um die ja die polnische Regierung gebeten hat, daran etwas ändern?
    Krzeminski: Schwer zu sagen natürlich. Aber wir haben eine heftige Debatte jetzt in der Opposition. Bis jetzt galt das Prinzip, dass man nach außen die inneren Probleme nicht trägt. Aber vorgestern hat der Chef der größten Oppositionspartei gesagt, dass eigentlich auch die Opposition Europa anrufen müsste hier. Das heißt, wir steuern auf eine Verfassungskrise zu, die nicht nur intern, innerpolnisch ist, sondern ein Objekt der europäischen Debatte sein wird.
    Simon: Aber Sie können sich vorstellen, wenn die Stellungnahme dieser Expertenkommission negativ ausfällt, dass die polnische Regierung, auch wenn sie darum gebeten hat, darauf nicht weiter eingeht?
    Krzeminski: Möglichkeiten zu Kompromiss sind da
    Krzeminski: Das kommt auf die Position des Chefs der regierenden Partei Jaroslaw Kaczynski an. Und er ist in einer merkwürdigen Situation. Er ist einfacher Abgeordneter und Chef der Partei. Er ist nicht verantwortlich und nicht haftbar. Haftbar ist der Staatspräsident und die Ministerpräsidentin. Bis jetzt nimmt er eine harte Position ein. Aber es gab schon 2007 eine ähnliche Situation. Bis zuletzt war Jaroslaw Kaczynski hart, damals Ministerpräsident - es ging um den Lissaboner Vertrag -, und lenkte im letzten Moment ein. Die Frage ist, ob er tatsächlich eine Konfrontation mit der ganzen Außenwelt riskiert, mit allen Folgen, auch Sanktionen, oder doch einlenkt. Es gibt Möglichkeiten, einen Kompromiss einzugehen. Darauf hat vorgestern Aleksander Kwasniewski, der frühere Staatspräsident Polens, hingewiesen. Aber das hängt natürlich von der Position der regierenden Partei ab.
    Simon: Herr Krzeminski, in Polen ist es ja oft so und gerade bei dieser Regierung, auch bei der PiS-Partei, dass Kritik von außen dazu führt, dass die Reihen noch fester geschlossen werden. Gibt es ein Rezept, was die polnische Regierung und, wie Sie beschrieben haben, vor allem den Parteichef Kaczynski dazu bringen könnte, ihre Haltung zu überdenken oder zu ändern?
    Krzeminski: Rezepte? - Es gibt natürlich jetzt eine Mobilmachung der Opposition. Wir haben so etwas wie einen Verfassungs-Maidan in Warschau. Alle oppositionellen Gruppierungen und Parteien protestieren jetzt vor dem Regierungsgebäude. Das Verdikt des Verfassungsgerichts wurde projiziert auf die Außenwand des Gebäudes. Das ist fast ein Ulk, könnte man sagen. Und es ist insofern eine neue Situation, dass die Juristen sagen, dass der zivile Ungehorsam durchaus juristisch berechtigt wäre. Dass die PiS so eine Staatskrise riskiert, fast mit einer juristischen Anarchie, das ist kaum vorstellbar. Ich glaube schon, dass sie einlenken wird, weil der Preis auch außenpolitisch gesehen enorm wäre.
    Simon: Auch wenn dieses Thema bei vielen Polen anscheinend eine nicht so wichtige Rolle spielt. Das hat uns unser Korrespondent vor einer Stunde berichtet.
    Krzeminski: Auch Anhänger der PiS merken, dass Preis zu hoch ist
    Krzeminski: Es ist so. Im Dezember, Januar, am Anfang der Krise gab es einen Einbruch der Umfragewerte der regierenden Partei. Heute ist sie erneut bei 30 Prozent etwa. Sie hält schon ihre Anhänger bei der Stange. Eines der Argumente ist natürlich das Versprechen, etwa 130 Euro pro Kind den Familien zu versichern. Und man erwartet in dieser Partei, dass das praktisch ausreicht. Aber irgendwo ist der Punkt, wo auch die Anhänger der Partei merken, dass der Preis enorm hoch ist.
    Simon: Das was in Polen derzeit geschieht, das überrascht ja viele außerhalb Ihres Landes und nicht nur Juristen. Man hat ja ein anderes Bild von Polen, die Vorstellung, um es zu vergleichen, eines viel gefestigteren Rechtsstaates als etwa in Ungarn. Sind Sie auch überrascht von dieser Härte der Konfrontation?
    Krzeminski: Ja, aber ich bin eher positiv überrascht über die Standhaftigkeit der Opposition. Das ist auch ein Unterschied zu Ungarn. Wir haben jetzt eine Bewegung landesweit in allen größeren Städten. Zuerst war es nur Warschau. Es sind zigtausende Menschen, die jede Woche protestieren. Und der Unterschied zu Ungarn ist auch der, dass Ungarn, dass die Fidesz-Partei eine Verfassungsmehrheit hat. Das heißt, sie konnte die Verfassung ändern. In Polen hat die PiS keine Verfassungsmehrheit. Das heißt, sie versucht, die Verfassung auszuhöhlen, das Verfassungsgericht auszuhebeln. Und das ist ein eklatanter Verstoß und das sehen viele Leute in Polen ein. Insofern ist das, glaube ich sogar, vielleicht eine Geburtsstunde eines neuen Verfassungspatriotismus.
    Simon: Die Einschätzung von Adam Krzeminski, polnischer Publizist. Herr Krzeminski, vielen Dank!
    Krzeminski: Vielen, vielen Dank.
    Simon: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.