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Polens Entscheidung für oder gegen den Euro

Polen ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union. Das ehemalige Ostblockland hat den Euro noch nicht eingeführt. Polens Präsident Bronislaw Komorowski will die Entscheidung darüber erst nach Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2015 diskutieren -im Gegensatz zu Premierminister Donald Tusk.

Von Florian Kellermann | 01.02.2013
    Das Zentrum von Warschau ist im Moment eine große Baustelle, von Ost nach West gräbt sich die zweite Linie der U-Bahn. Höchste Zeit für eine Stadt mit 1,7 Millionen Einwohnern, sagt Marcin, ein 28-jähriger Ingenieur, der seinen Nachnamen nicht nennen mag.

    "Da sind andere Hauptstädte in Europa doch viel weiter als wir, deshalb sage ich: Endlich kommt diese zweite Linie."

    Allein könnte Warschau den Bau kaum stemmen, 54 Prozent finanziert die Europäische Union. Wegen solcher Projekte sei es gut, dass Polen der Gemeinschaft angehört, sagt Marcin. Aber eine engere Zusammenarbeit der Staaten lehnt er ab.

    "Ich will nicht intolerant klingen, aber Polen soll Polen bleiben. Ich bin zum Beispiel gegen einen Status für gleichgeschlechtliche Partnerschaften wie in anderen EU-Ländern. Auch den Euro sollten wir nicht einführen, den Slowaken hat er nur höhere Preise gebracht."

    So wie Marcin denken viele Polen. Nur noch zwischen 20 und 30 Prozent wollen die gemeinsame Währung einführen. Trotzdem spricht die Regierung das Thema immer öfter an. Ministerpräsident Donald Tusk erklärte, sein Land müsse sich in den nächsten Monaten entscheiden, nämlich für den Euro: Die Staaten mit der gemeinsamen Währung bildeten das Herz der Gemeinschaft, so der Regierungschef.

    Polen will zu diesem Herz gehören, es will über die Weichenstellungen in der Gemeinschaft mitbestimmen - deshalb drücke Tusk aufs Tempo, so Pawel Tokarski, EU-Experte beim Institut für internationale Angelegenheiten.

    "Die Regierung geht davon aus, dass es in Zukunft immer schwieriger wird, dem Euro beizutreten, dass neue Barrieren hinzukommen. Schon jetzt gibt es mehr Hürden als etwa vor fünf Jahren. Ein künftiges Mitglied muss den Fiskalpakt unterzeichnen und einen Beitrag zum Europäischen Stabilitätsmechanismus leisten. Für Polen wären das rund 3,7 Milliarden Euro."

    Polen will die Zukunft der EU mitgestalten - und es weiß auch schon wie. Das Land will die Gemeinschaft nach Osten erweitern, die Ukraine so bald wie möglich aufnehmen. Das würde auch Polens Einfluss erweitern - als Anwalt der anderen Mitgliedsstaaten in Osteuropa.

    Außerdem strebt Warschau eine tiefere Integration an. Die Regierung will die EU-Institutionen stärken und eine weiter gehende gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

    Anders sieht es Polen bei der Wirtschaftspolitik: Das Land wehrt sich gegen einheitliche Standards bei Steuern und Abgaben. In diesem Punkt deckt sich Polens Haltung mit der von Großbritannien. Deshalb sei die Rede des britischen Premier David Cameron in Warschau so heftig diskutiert worden, sagt EU-Experte Tokarski.

    "Manche Reaktionen hier waren direkt hysterisch. Ohne Großbritannien, so die Befürchtung, könnten Frankreich und die südeuropäischen Länder in der EU die Oberhand gewinnen. Sie wollen gemeinsame soziale Standards und eine größere Rolle des Staates in der Wirtschaft. Das wäre für Polen ungünstig."

    Sehr gelassen äußerte sich dagegen der polnische Außenminister. Wenn Großbritannien nicht mehr zum inneren Machtzirkel in der EU gehören wolle, dann könne ja Polen diesen Platz einnehmen, erklärte Radoslaw Sikorski. Das sorgte international für Aufsehen, sei aber nicht wörtlich zu nehmen, meint Experte Tokarski.

    "Ein Außenminister sollte immer so tun, als spiele sein Land eine Liga höher als es tatsächlich tut. Aber mit Großbritannien können wir uns wirtschaftlich nicht vergleichen. Polen befindet sich gerade auf halbem Wege beim Umbau zu einer funktionierenden Marktwirtschaft."

    Marcin, der junge Ingenieur, wird die Entwicklung der EU vielleicht bald aus weiter Ferne beobachten. Er hat genug davon, mit seinem Gehalt in Warschau gerade so über die Runden zu kommen - und überlegt auszuwandern. Viel mehr als andere EU-Länder reizen ihn die USA.

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