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Polens neue Partei "Wiosna"
Weniger Kirche wagen

Polens neue Partei "Wiosna" will den Einfluss der Kirche auf den Staat zurückdrängen und findet damit auch unter gläubigen Katholiken Gehör. Gegründet hat "Wiosna" Robert Biedroń, bis vor kurzem noch Bürgermeister der Ostseestadt Słupsk, zudem Atheist und offen homosexuell.

Von Martin Sander | 01.03.2019
Atheist und offen homosexuell - der Vorsitzende der neu gegründeten Wiosna-Partei in Polen Robert Biedroń
Atheist und offen homosexuell - der Vorsitzende der neu gegründeten Wiosna-Partei in Polen Robert Biedroń (imago stock&people)
Weniger Kirche im Staat: Das ist eine populäre Forderung der erst im Februar gegründeten polnischen Partei "Wiosna" (auf Deutsch: Frühling). Aus der Taufe gehoben hat "Wiosna" Robert Biedroń, bis vor kurzem noch Bürgermeister der Ostseestadt Słupsk. Biedroń lebt offen homosexuell und ist Atheist. Landauf, landab fordert er für Polen in diesen Wochen eine gerechte Besteuerung der Kircheneinkünfte, den Rückzug von Priestern und Katecheten aus den öffentlichen Schulen, radikale Aufklärung von sexuellen und anderen Missbrauchsfällen durch Geistliche und eine 12-Wochen-Fristenlösung bei Schwangerschaftsabbrüchen. Kritiker sehen in Biedroń einen linken Populisten, spätestens seit er in Umfragen Zustimmungswerte von über 15 Prozent verzeichnet.
Biedron ruft auf einer Veranstaltung ins Publikum: "Das ist kein Populismus. Das ist Realismus. Das sind unsere wahren Probleme: Die Trennung von Kirche und Staat. Ist das etwa Populismus oder Notwendigkeit in einem demokratischen Staat?"
Was Robert Biedroń in Schlagworten verkündet, hat sein Berater, der Soziologieprofessor und Kulturforscher Maciej Gdula zum Programm ausgearbeitet. "Wiosna" soll damit nicht nur Atheisten ansprechen, sondern auch katholische Gläubige.
"Angebot zur Veränderung der Kirche"
"Die katholische Kirche Polens untergräbt derzeit die Moralvorstellungen der Menschen oder sie steht für Skandale – zum Beispiel im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch. Das sind traurige Skandale, die starke gesellschaftliche Emotionen auslösen. Unsere Reformpläne sind auch ein Angebot an die Kirche, sich zu verändern, hellhöriger zu werden und empfänglicher für die Stimme des Papstes. Die meisten polnischen Bischöfe wollen das allerdings nicht und hoffen darauf, dass das Pontifikat von Franziskus irgendwann wieder vorbei ist."
Viele Priester und Bischöfe haben sich auf einen Deal mit den derzeitigen weltlichen Machthabern eingelassen. Sie unterstützen die konservativ-nationalistische PiS-Regierung von der Kanzel und auf vielen anderen Wegen. Dafür sichert ihnen PiS Geld und Einfluss. In kaum einem anderen EU-Land sind Staat und Kirche derzeit so eng verbunden wie in Polen. Das ruft Widerstand hervor, auch unter praktizierenden Katholikinnen und Katholiken. Gegen einen lebensfernen, autoritären Stil der Amtskirche opponiert zum Beispiel "Glaube und Regenbogen". Die Gruppe verlangt Raum für offen Homosexuelle in der Kirche.
"Fürchtet Euch nicht" heißt eine weitere Organisation, die nicht nur, aber auch von Gläubigen unterstützt wird. Vertreter von "Fürchtet euch nicht" haben auf der unlängst abgehaltenen Vatikan-Konferenz zum sexuellen Missbrauch polnischen Bischöfen vorgeworfen, Pädophilie-Skandale im Klerus zu vertuschen.
"Linksgeziefer"
Das sei Manipulation, konterte der stellvertretende Vorsitzende des Episkopats, der Krakauer Erzbischof und Metropolit Marek Jędraszewski. Er und die ihm zugetanen Hierarchen tun Kritiker wie Biedroń und andere gern als "Linksgeziefer" ab.
"Wenn wir liberale Linke, die sich in der Politik betätigen und bei den jungen Leuten beliebt sind, als Linksgeziefer beschimpfen, dann können wir das Evangelium nicht vermitteln, zumal nicht denjenigen, die dem Evangelium noch gar nicht begegnet sind. Ich habe so etwas nie von Johannes Paul II. gehört oder von den Bischöfen seiner Generation, die auf friedlichem Weg und ohne Blutvergießen zur Überwindung des Kommunismus beigetragen haben.", sagt Cezary Gawryś.
Er ist Autor und langjähriger Chefredakteur von "Więź". Die Zeitschrift ist seit den 1950er-Jahren ein bekanntes Forum sozial engagierter Katholiken in Polen. Gawryś hofft, dass "Wiosna" frischen Wind in die polnische politische Szene bringt, aber auch in die Kirche. Er glaubt, eine Trennung von Kirche und Staat, wie sie die neue Partei Biedrońs fordere, könne der katholischen Glaubensgemeinschaft in Polen nur gut tun. Sogar Biedrońs vielfach öffentlich ausgelachtes Postulat einer Steuer für Kollekten will Gawryś nicht einfach vom Tisch wischen:
"In der Praxis geht so etwas natürlich nicht. Der Priester kann da ja keine Quittungen ausstellen. Aber Spott ist hier dennoch fehl am Platz. Wenn man Kontrolle über Einkünfte und eine Transparenz des Budgets in den Gemeinden und Diözesen fordert, ist das kein Akt der Kirchenfeindschaft. In anderen zivilisierten, demokratischen Ländern hat man das gesetzlich geregelt, bei uns nicht."
Schwierige Frage Abtreibung
Gewissenhaft geht Gawryś den Katalog von Biedroń durch: Verdrängung des Religionsunterrichts aus den Schulen? Nein, das ginge zu weit. Aber man solle in der Schule mehr Wissen über andere Religionen vermitteln. Homo-Ehe? Lieber doch nur rechtlich abgesicherte Partnerschaften ohne Sakrament. Die schwierigste Frage ist für Cezary Gawryś die der Abtreibung: In Polen ist ein Schwangerschaftsabbruch derzeit nur nach Vergewaltigung oder bei schwerer Missbildung des Fötus erlaubt. Die dadurch entstandene illegale Abtreibungsindustrie übersieht Gawryś keineswegs. Aber der prinzipielle Schutz des ungeborenen Lebens geht für ihn vor. Gawryś Bilanz:
"Wenn es in Polen zu einem Referendum zur gesetzlichen Neuregelung der Abtreibung kommen sollte, würde ich unbedingt gegen Biedrońs Vorschlag einer Zwölf-Wochen-Frist für Schwangerschaftsabbrüche stimmen. Aber wenn seine Partei "Wiosna" Kandidaten für die Europawahlen im Mai aufstellt, werde ich vielleicht für sie stimmen, um ihnen zu zeigen, ihr habt Unterstützung, ihr sollt etwas tun. Gleichzeitig würde ich meiner Kirche signalisieren: Unterschätzt diese neue Kraft nicht. Das aber nur bei den Europawahlen. Wenn sich dann bei den Parlamentswahlen im Herbst andeuten würde, dass Biedroń die parlamentarische Mehrheit bekäme und seine Gesetzesvorhaben umsetzen könnte, dann würde ich wieder gegen ihn stimmen."